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K0ontroverses


 

Das Elend mancher Debatte.

Die immer wieder eingeforderte, weil  immer noch unbefriedigende Kultur des Streits unter den Linken meint meistens mehr Toleranz, mehr good will im Umgang miteinander. Das bleibt wichtig, weil die unter den Linken waltende gewisse Familiarität für manche das Recht einzuschließen scheint, auf Höflichkeit im Umgang miteinander verzichten zu dürfen. Wie im Beitrag von Manfred Wolf auf der Leserbriefseite v. 16.6. nachzulesen. Natürlich darf  die Wahrheitssuche auch unter der Höflichkeit nicht leiden. In der Sache ist Rücksichtslosigkeit im Debattieren geboten
Das Hauptproblem aber scheint mir die oft mangelnde mangelnde geistige, rhetorische Hygiene im Disputieren zu sein. Und die verbreitetste Unart ist, nicht das zu kritisieren wozu sich der Autor geäußert hat, sondern etwas, was er gar nicht gesagt hat; und in aller Regel wird ihm dann zum Nichtgesagten eine Meinung unterstellt, die er gar nicht hat. Das Muster soolchen Argumentierens ist in der Tat das folgende: Gesetzt den Fall, die Meinung, der Himmel sei blau, wäre zwar eine  wichtige Entdeckung, gefalle   aber jemandem nicht. Dann wird diese Erkenntnis erst einmal mit der Bemerkung abgetan, dass in Wahrheit der Himmel sehr verschieden blau sein könne; und wie nebenbei lässt der Kritiker durchblicken, dass die Blauheit des Himmels entweder keine  wichtige Erkenntnis  oder doch jedermann bekannt sei - auch wenn dies  bislang niemand bemerkt hat. Nicht selten wird dann dem Entdecker des Himmelblau auch noch entgegen geschleudert: "Aber dass das Gras grün ist, hat er übersehen!"  Und schliesslich lässt man durchblicken: "Dieser Himmelblau-Entdecker behauptet doch allen Ernstes, dass Gras rot sei" Dies soll zu starker Tobak sein? Mitnichten. Fast In jeder Debatte kommt dies vor. Manche Diskussion wurde auf eben solchen Wegen  regelrecht zugeschüttet, abgewürgt.
Angenommen, es sei mir, wie in meiner Kolumne v.12.5.,  in dem dort behandelten Zusammenhang wichtig gewesen, auf die im Artikel 1 des GG bestimmte Unantastbarkeit der Würde des Menschen, und auf Art. 79 zu verweisen, welcher die Aufhebung oder Änderung dieses Artikels untersagt. Dann (ND v. 15.5., S. 4)),und macht darauf aufmerksam,  dass, worauf der Autor nicht eingegangen sei, die Würde des Menschen in diesem Lande durchaus angetastet wird. Ich würde das gern als Ergänzung zu meinem Beitrag ansehen. Der Kitiker aber meint das nicht als Ergänzung, sondern als Kritik. Er unterstellt, ich wüsste das nicht oder würde es bestreiten, Woher weiß  er das? Die wirkliche Meinungsverschiedenheit zwischen uns besteht offenbar darin: Er ist, weil die Verfassungswirklichkeit anders ist als die Verfassungstext, dafür, diesen Text gleich in den Rauch, und nicht in das GG zu schreiben. Da bin ich aber entschieden dagegen. Es ist dies ein Fall von Geringschätzung kodierten Rechts, die unter Linken ziemlich verbreitet ist. Vergessen scheint, dass die deklarierten Menschenrechte Errungenschaften vor allem der unterdrückten Klassen waren, den Herrschenden in harten Auseinandersetzungen abgerungen.
Eine weitere Unart ist, die Meinung eines Autors „mit eigenen Worten“ wiederzugeben, dabei  den Blickwinkel, den Akzent nur geringfügig zu verschieben in Richtung einer abwegigen Ansicht, die leicht zu kritisieren ist, die es sogar erlaubt, den Autor als komplletten Idioten vorzustellen. Dies ist das Argumantationsmuster des Herrn Manfred Wolf.
Auf die in meiner Kolumne v. 9.6. behandelte Frage, ob der Kapitalismus in eine „Sackgasse“, eine  „Stagnationsfalle“ gerate, weil es angeblich eine Tendenz zunehmender Sättigung der Bedürfnisse gäbe, was eine neue Variante der „Zusammenbruchstheorien“ bedeute, geht der Kritiker nicht ein. Natürlich auch nicht auf Verbindungen dieser „Sättigungstendenz“ mit den unter Linken verbreiteten Verzcitsstrategien einer „Wende zum Weniger“. „WIR brauchen nicht so viel Geld, sollten lieber mehr Bücher lesen, mit Freunden reden…“ usw.
Herr Wolf meint, die Absicht meines Beitrags, meiner Polemik gegen „Zusammenbruchstheorien“ sei, dem Kapitalismus eine ewige Zukunft vorauszusagen. Nun sollte, um es in der arroganten Redeweise des Herrn Wolf zu sagen, auch ein Nicht-Professor  wissen, dass  M,arx durchasus kein Verfechter solcher „Zusammenbruchstheorien“ gewesen war, Nach der Lesart des Herrn Wolf hätte er der Klassiker solcher Theorien sein  müssen.
Als "Zusammenbruchstheorien" werden Auffassungen verstanden; wonach der Kapitalismus nicht durch Gegenkräfte überwunden werde sondern sich selbst zerstöre. Seine eigene innere Entwicklungslogik  treibe ihn quasi naturgesetzlich dem Abgrunde zu. In dem von mir diekutierten Falle durch den Widerspruch zwischen produktivitätssteigerung einerseits und Bedürfnissättigung andererseits.  In einem Zustande wirtschaftlicher Stagnation aber könne der Kapitalismus nicht überleben.
Die bekannteste Version solcher "Zusammenbruchstheorien" ist die sich auf Rosa Luxemburg berufende, nicht zu Unrecht, wenngleich sie selber sie so nicht  benannt hat. Der Kapitalismus vermöge den von ihm angeeigneten Mehrwert nicht vollständig zu realisieren, d.h. in entsprechende Nachfrage umsetzen. Hierfür benötige er ein  "nichtkapitalistisches Milieu"., in Gestalt von Kolonien zum Beispiel. Wenn dieses Milieu aufgbebraucht, die Welt aufgeteilt sei,  gerate der Kapitalismus in eine Sackgasse. Imperialismus definierte sie als Kämpfe um die Aufteilung der Reste solchen „Nichtkapitalistischen Milieus.“

Zusammenbruchstheorien haben sich noch immer als Irrtum erwiesen. Die Behauptung, dass die menschliche Phantasie in der Hervorbringung immer neuer Bedürfnisse hinter der Phantasie in der Steigerung ihrer Produktivkraft immer mehr zurückbleibe, ist reine Spekulation. Da helfen auch keine Stützungen durch die linken Verkünder einer "Wende zum Weniger", die für den Massen, Konsumzurückhaltung  predigen, statt sie zu sozialer Unbescheidenheit zu ermutigen.
Vielleicht ist die Tatsache, dass   die Hoffnungen auf die  "historische Mission der Arbeiterklasse" im Marxschen Verständnis erloschen sind,  welche dem Kapitalismus das Ende bereiten sollte, dafür verantwortlich, dass  unter den Linken  wieder Theorien verbreitet werden, die weniger  auf die Marxsche "allgemeine historische Tendenz des Kapitals" setzen, auf die Verschärfung der sozialökonomischen Widersprüche, des Gegensatzes von Kapital und Arbeit, sondern auf sozialökonomisch wie politisch zunächst indifferente Ursachen der heutigen kapitalistischen Schwierigkeiten, auf allgemein menschliche, vor allem auch psychische Faktoren und natürlich auf den Sündenbock Nr.1, den technologischen Fortschritt. Nicht, dass der Kapitalismus wirtschaftliche Stagnation und  Massenarbeitslosigkeit verursache, sondern dass er mit deren Wirkungen schlecht fertig werde, ist ihm dann nur noch vorzuwerfen.
Die Zusammenbruchstheorien  sind irreführend. Sie versperren oder verengen den Zugang zur Politik. Sie blenden die antikapitalistischen Akteure aus historischem Geschehen aus. Sie engen den Blick auf nur ein Szanarium kapitalistischer Entwicklung ein. In Wirklichkeit gibt es deren drei: Fall in die Barbarei; ein langes wirtschaftliches, soziales und moralisches Siechtum; eine gewisse Revitalisierung des Kapitalismus, sofern es gelingt, die Wege von menschlicher Produktivität zu Verbesserung menschlichen Lebens gangbarer zu machen. Verketzerung des Wirtschaftswachstums ist kein Wegbereiter zu besserem Leben, Herr Wolf

Eine „feindliche Übernahme“

Über die Wahlversammlung des Nachbarschaftsvereins „Kiezspinne“, Berlin-Lichtenberg

, am 28. Februar 2002

Aus meinem Redebeitrag

Ich bin der Lebensgefährte der Vereinsvorsitzenden. Wer möchte, mag mich für voreingenommen halten; ich selber halte mich nicht dafür.

Ich bin vor einer Woche dem Verein beigetreten vor allem , weil ich auf dieser Versammlung Rederecht haben will. Und weil ich meine, dass das, was ich Ihnen sagen will, für den Verein sehr wichtig ist.

In den letzten Wochen musste ich mit wachsender Verwunderung, wachsender Verärgerung und aufkommendem Zorn beobachten, wie der Vereinsvorsitzenden wegen ihrer Unterstützung der Kandidatur  von Frau Dr. Schulze als Nachfolgerin im Vereinsvorsitz, von einer Mehrheit des Vorstandes zugesetzt wurde, bis zu beleidigenden Äußerungen.

Es war unschwer zu erkennen, worum es wirklich ging. SPD-Mitglieder, offensichtlich angeregt durch den Impuls, den das neue Vereinsgebäude allenthalben auslöste, hatten den Entschluss gefasst, die Leitung des Vereins vollends in SPD-Hände zu legen. Die Geschäftsführerin, Frau Monteiro, ist ein bekanntes Mitglied der Lichtenberger SPD, sie wurde zur SPD-Direktkandidatin für den hiesigen Wahlkreis gewählt. Nun sollte auch zum Vorsitzenden des Vereins  ein prominentes Mitglied der Lichtenberger SPD gewählt werden; Herr Becker, stellv. Vorsitzender der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung.  

Nichts blieb unversucht: SPD- und Kiezspinnenvorstandsmitglied, Herr Kurt Hemmerlein, suchte Frau Dr. Schulze persönlich auf, um sie zum  Verzicht auf ihre Kandidatur zu bewegen.

Kurz vor dieser Wahlversammlung unseres Vereins  wurde eine Werbeaktion für den Verein gestartet, in deren Folge die Mitgliederzahl des Vereins von etwa 60 auf etwa 100 emporschnellte. Ich halte es für sicher, dass die SPD  dies vor allem in der Absicht tat, ihren Kandidaten durchzubringen. Es ist schon erstaunlich, dass die Hälfte der Mitlieder der SPD-Fraktion in der Lichtenberger BVV heute hier anwesend ist. Von der PDS-Fraktion sind viel weniger zu sehen.  . Die PDS hat auch, wie die Vorsitzende auf der letzten Hauptversammlung der Lichtenberger PDS, für den Verein geworben, die Genossen zum aktiven Mitwirkung aufgerufen hat, aber im Sinne der Vereinsinteresses, nicht im Sinne einer parteipolitischen Übernahme. Hätte die PDS sich so verhalten wie die SPD, wäre das Wahlergebnis ein anderes gewesen: Organisieren und mobilisieren können wir auch, und unsere Mitgliederzahl und Anhängerschar ist weit größer als die der SPD.

Letztlich wird solche „feindliche Übernahme“ - die auch bei feindlichen Übernahmen von Kapitalgesellschaften nur über Wahlen möglich ist, nachdem viele  Aktien vorher ihren Besitzer gewechselt haben –  auch der Lichtenberger SPD auf die Füße fallen. Vor allem dem Verein wird sie keineswegs guttun.

„Wir wollen keine schmutzige Wäsche waschen“

war der Kommentar des Versammlungsleiters zu meiner Rede. Was aber macht man denn mit schmutziger Wäsche? Lässt man sie liegen bis sie modert und schließlich stinkt? Was liegen gelassene schmutzige Wäsche für Folgen hat, war auch in den letzten Wochen vor der Vereinswahl zu beobachten. Es stank zum Himmel. Die Vereinsmehrheit war ja nicht nur entschlossen, die „schmutzige Wäsche“ von der Mitgliederversammlung fernzuhalten. Sie ist  einer sauberen Klärung der strittigen Fragen auch im Vorstand ausgewichen. Nach meiner Erfahrung sind diejenigen, die sich gegen das Waschen schmutziger Wäsche wehren, keineswegs die Friedfertigen und auf Ausgleich Bedachten, eher im Gegenteil, es sind diejenigen, die wissen, dass sie im Unrecht sind.

 PDS-Mitglied Mario Schönherr, eine Schachfigur in der SPD-Kabale.

Einen verständlich tiefen Eindruck auf die Versammlung machte die Mitteilung des Herrn Schönherr, dass er die Kandidatur des Herrn Becker befürworte, obwohl er PDS-Mitglied sei. Manche PDS-Mitglieder waren selber so davon beeindruckt, dass sie dies als  einen Beleg für die „Überparteilichkeit“ ihrer Parteimitglieder als Mitglieder des Vereins verstanden, geradezu stolz auf solche Haltung sind.  Die Haltung des Herrn Schönherr ist mehr als eine abgrundtiefe Illoyalität gegenüber seiner Partei. Sein Einsatz für den SPD-Kandidaten hat politischen Grund: eben einen Vorsitzenden aus der SPD auf den Schild zu heben.

Wie wäre es sonst zu erklären, dass er sich für einen Kandidaten so vehement einsetzte, den er bislang kaum kannte? Warum kämpfte er für einen Wahltermin, an dem Frau Dr. Schulze nicht anwesend sein konnte?

„Was haben Sie denn schon für den Verein geleistet?“

fragte mich wütend ein SPD-Genosse nach meiner Rede.

Mit welchem Recht? Weil ihm meine Rede nicht gefiel, begründet solches Recht nicht. Wohl aber wäre es  nötig  gewesen, diese Frage an den Kandidaten für den Vereinsvorsitzenden  zu stellen.  Ich habe nicht viel, aber einiges – zwei Vorträge - für den Verein getan.  Herr Becker hat null komma gar nichts getan. Aber ihn hat niemand gefragt.

Frau Dr. Schulze hatte keine Chance

Frau Dr. Scholze hatte in ihrer Vorstellung sehr ausführlich und für mich sehr überzeugend – vielleicht aber auch zu komprimiert, detailliert, die Aufmerksamkeit vieler überfordernd – eine Vorstellung von ihrer bisherigen Arbeit im Verein, in der Wahrnehmung anderer Mandate und Ämter, gegeben. Vor allem aber waren ihre Vorstellungen über künftige Arbeit des Vereins ausführlich und überzeugend.

Aber gewählt wurde sie nicht. Sie erhielt 36, Herr Becker 47 Stimmen.

Gewählt wurde Herr Becker, der nichts sagte, sagen konnte, über bisherige Aktivitäten im Verein. Und der auch nichts sagte über seine Vorstellungen zur künftigen Vereinsarbeit. Den Ausführungen von Frau Dr. Schulze könne er nichts hinzufügen. Keine Ergänzung , keine eigene Idee fiel ihm ein. Seine Rede war eloquent, flüssig. Herr Becker vermochte so auch mit wenig Substanz zu beeindrucken.

Frau Dr. Schulze hatte keine Chance. Die Wahl war vor Beginn der Versammlung entschieden. 36 Stimmen waren immerhin mehr, als ich erwartet hatte. Glückwunsch!

Persönliche Erklärung

Den Kleingeistern, die mir in diesen Debatten so zahlreich begegnet sind, auch in meiner PDS, und die aus meinen Äußerungen Vorwürfe gegen meine Lebensgefährtin und die frühere Vereinsvorsitzende herleiten – sie hätte mir ihre Erlebnisse  nicht mitteilen sollen – sage ich folgendes:

1.       Wenn ich mit jemandem zusammen lebe, will ich teilhaben an allem, was ihn bewegt. Bei uns ist das gegenseitige Selbstverständlichkeit;

2.       Ich bin zu Beichtgeheimnis nicht verpflichtet; alles, was ich politisch für wichtig halte, werde ich auch öffentlich machen.

3.       Meine Frau ist nicht für meine Äußerungen verantwortlich. Auch in diesem Falle ist sie in manchem nicht meiner Meinung.