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"Gemeinwesen DDR"

Erinnerungen und Überlegungen eines PolitökonomenVSA Verlag, Hamburg 2003, 241 S. 20,50 €
Aus dem Vorwort
„Ich schreibe Flaschenpost“ sagte mir mein vor kurzem verstorbener Hausgenosse Ralf Schröder, früher Lektor im Aufbauverlag, in der DDR zu fünf Jahren Gefängnis (im sog. Janka-Prozess) verurteilt, überzeugter Sozialist bis zu seinem Lebensende. Er meinte damit, er schreibe sich von der Seele, nicht darauf vertrauend, dass das jemals auch  gefunden würde, irgendwen überhaupt  interessieren könnte. Ich kenne mehrere solcher unverzagter „Flaschenpost“schreiber.

Es ist die Angst, dass Vieles verloren gehen könnte, was nicht nur von Historikern gebraucht wird. Als ich, auf eine schwarzmalerische Äußerung über die soziale DDR-Wohnwelt vor allem in den „Plattensiedlungen“ allergisch reagierend, mich entschloss aufzuschreiben, was ich  selber in solchem Plattenbau erlebte – der Leser wird dies im dritten Abschnitt nachlesen können – habe ich mühsam alle erreichbaren Unterlagen, Protokolle, Rechnungen der Hausgemeinschaftsleitungen (HGL) zusammengetragen, ausgewertet. Gibt es die noch?
„Schreib das auf!“ ist wichtig, weil Vorgänge in dieser untergegangenen sozialistischen Gesellschaft DDR  nicht nur unter dem heute, auch von Staats wegen,  über sie gekippten Müll hervorgeholt werden müssen, sondern auch aus den politisch zugerichteten DDR-offiziell-authentischen Quellen, den Gesetzen, Vorschriften und Verlautbarungen. Nicht zuletzt auch, weil überhaupt in diesen Gesellschaften informelle Regeln, stillschweigende Übereinkünfte eine große Rolle spielten. Vor allem aber: Weil es sich um einen ernsthaften sozialistischen Versuch gehandelt hat, der letztlich misslungen, missraten war. Und weil dieses Scheitern, dieser Neubeginn ein historisch singulärer Vorgang war, der Hirn und Herz aller, die diesen Kapitalismus nicht als das Ende der Geschichte ansehen wollen, sehr lange noch beschäftigen wird.
Da ich nicht zu den allgemein interessierenden Persönlichkeiten gehöre, werde ich meine persönlichen Haltungen, Meinungen, meine subjektiven Sichten   zu Fragen äußern, die allgemeines Interesse erwarten können. Was also kann der Leser erwarten? Vor allem Berichte und Kommentare  über die wirtschaftliche Entwicklung der DDR, über gesellschaftspolitische und wirtschaftspolitische Konzepte, über Debatten, die hierüber in der DDR geführt wurden. Auch über theoretische Debatten unter DDR-Ökonomen, die allerdings auch den theorie-ökonomisch nicht vorgebildeten Leser nicht überfordern werden. Über DDR-Lebensweise auch. Über Ursachen des politischen und wirtschaftlichen Versagens. Darüber, wie es jemandem erging und ergeht, der bewusster, überzeugter  Parteigänger dieses Gemeinwesens DDR war. Es ist über weite Strecken eine streitbare Schrift. Auch in Auseinandersetzung mit m.E. immer noch verengten Auffassungen mancher DDR-Aktivisten  über Ursachen des DDR-Niedergangs. Und natürlich über Erklärungen des wirtschaftlichen „Absturz Ost“ nach der Wende. Ich bin zuversichtlich, dass meine Überlegungen auch denjenigen Leser nicht langweilen können, der den Großteil der hierüber erschienenen, kaum noch übersehbaren Literatur gelesen hat.

Ich lag, seitdem ich wissenschaftlich arbeite, fast immer mit irgend jemandem im öffentlichen, publizistisch ausgetragenen Streit. Und war von Anfang an ganz in der Streitkultur befangen, wie sie von Marx, Engels, Lenin  geschaffen worden war, und die in anderer sozialwissenschaftlicher Literatur nicht üblich ist: Dinge und Personen beim Namen nennend, polemisch, manchmal die Fragen zuspitzend. Eines nur kann ich versichern: Fairness im Umgang auch mit Widersachern war und ist für mich selbstverständlich.  Auch über Kultur und Unarten von Meinungsstreit habe ich mich in diesem Bericht ausführlich geäußert. 

Die „Topfdeckeltheorie“ akzeptiere ich nicht.

Ich laufe auf einer Wiese zwei polnischen Jungen hinterher, die mir  schon seit Tagen ausgewiche+n sind, mit verlegenem Grinsen sich vor mir in jeden Busch schlagen, obwohl es meine besten Kumpels sind. Als ich sie endlich erwische   und zur Rede stelle,  drucksen sie herum. Schließlich kommt`s raus: „Du bist ein Schwob. Außerdem haben uns die Eltern verboten, mit Dir zu spielen“. „Schwob“ war das in unserer Gegend verbreitete Schimpfwort für „Deutscher“. Einige meiner Verwandten frönten wenige Jahre später  der damals grassierenden Ahnensuche und fanden heraus, dass unsere Vorfahren sowohl mütterlicher- wie väterlicherseits im 17. Jahrhundert  aus Schwaben eingewandert waren.

Schließlich begreife ich.
Es ist Sommer 1939. Ich bin mit meinen sieben Jahren im August  in die Schule gekommen. Ohne Zuckertüte, so etwas gab es in unserer  Gegend  nicht. Und auch ohne Begleitung, überhaupt ohne allen Aufhebens. Außerdem kam ich zu spät. Lehrer Krüger und ich guckten uns eine Weile an, bis ich ihn frage: „Wo soll ich mich denn hinsetzen?“ Er ließ mich eine Weile stehen, bis er mir einen Platz anwies.
In unserem Dorf, Justinow bei Lodz, gibt es seit kurzem immer öfter und immer heftigeren   Krach zwischen Deutschen und Polen, von denen es  im Dorf wohl jeweils etwa gleich viele gibt. Und viele Ehen zwischen Polen und Deutschen. Meist waren die Männer deutscher, die Frauen polnischer Herkunft, was mir schon  sehr früh eingeleuchtet hat. In der Nazizeit gab es dann „Volkslisten“, eine Art Personalausweis, in verschiedenen Farben: blau für die „ganz Deutschen“, grün für „ Halbdeutschen“ (Kinder aus deutsch-polnischen Ehen) und Rot für die „Vierteldeutschen“ (ein Großelternteil war polnischer Herkunft). Diese rassische bzw.  völkische Staatsbürgerdefinition gilt in Deutschland noch immer. Hier geborene Türken kriegen nicht ohne weiteres die deutsche Staatsbürgerschaft, im fernen Kirgisien geborene „Deutschstämmige“ kriegen sie sofort.
Diese Streitereien zwischen Deutschen und Polen kamen aus heiterem Himmel, von einem Monat zum anderen. Wie von einer plötzlichen Verblendung heimgesucht,  flohen Deutsche ins Reich. Meine Mutter auch. Sie hatte Vater und mich einfach verlassen, kehrte unterwegs aber wieder um, weinend kam sie ins Haus. Mein Vater hatte sie, gedrängt von seinen Nachbarn und Verwandten, bei der Polizei angezeigt. Es geschah ihr  nichts.
Die Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Polen wurden schließlich handgreiflich und  so arg, dass die Deutschen sich in einer Nacht aus dem Dorf machten, im Wald Zuflucht suchten. Ich erinnere mich, wie in der Nacht davor polnische Nachbarn an unsere Fensterläden wummerten und Drohungen ausstießen.  In  der Umgebung war es  zu Mord und Totschlag gekommen.
Zuerst  vorsichtig aus dem Waldverstecken kommend,  sahen wir die langen Kolonnen polnischen Militärs auf der Landstraße, bald danach folgten ihnen  die Deutschen. Wir begrüßten sie jubelnd. Wir gingen zurück ins Dorf. Irgendwelche Racheakte der Deutschen hat es in unserem Dorfe nicht gegeben.
Als das große Morden im zerfallenden Jugoslawien anhob, und allgemeines Entsetzen die Leute heimsuchte -  die Ostdeutschen wohl mehr als die Westdeutschen, weil sie   von der von Tito geschmiedeten neuen Völkergemeinschaft auf dem Balkan mehr gehört hatten, wenngleich weniger von ihnen im sonnigen Kroatien oder Slowenien ihre Ferien verbringen konnten – und das große Rätselraten anhob, wie so etwas möglich sei, war ich ein wenig weniger überrascht als andere Die „Topfdeckeltheorie“ stimmt nicht. Sie lautet schlicht, dass Serben, Kroaten, bosnische Muslime in Wahrheit nur durch die Autorität, die starke Hand  Titos davon abgehalten wurden, aufeinander loszustürzen und sich gegenseitig umzubringen. Nach  seinem Tode gab’s eben den „Deckel“ nicht mehr und es kam nun zur grässlichen Wirkung, was  unter ihm in Wahrheit auch vordem schon vorhanden war, tiefer nationaler Hass.
Nein. Die Leute haben früher tatsächlich, bei allen unterschwelligen und nie verschwundenen nationalen Egoismen, einigermaßen normal zusammen gelebt, kreuz und quer sich verschwägernd.
Ich war zwischen 1980 und 1986 jedes Jahr für eine Woche in Jugoslawien, in Cavtad bei Dubrovnik, und habe dort am internationalen Rundtischgespräch „Der Sozialismus in der Welt“ teilgenommen, welches jährlich vom Bund der Kommunisten Jugoslawiens ausgerichtet wurde. Nun sind solche Treffen durchaus keine günstige  Gelegenheit zu erfahren, wie es im Volke, unter den normalen Leuten, so üblicherweise zugeht. Aber ein politisch interessierter Mensch erfährt eben auch hundertmal mehr als ein BRD-Adria-Urlauber.. Sticheleien zwischen Serben und Kroaten habe ich erlebt, aber sie waren nie gehässiger Art. Natürlich überkam mich das Entsetzen, als ich von der Bombardierung Dubrovniks hörte. Es ist die schönste Stadt, die ich kenne.
Ähnliche Erinnerungen und Gefühle überkamen mich, als ich um die Jahreswende 1989/90 von den furchtbaren Kämpfen in Südossetien/Georgien hörte. Noch im September 1989 war ich dort, auf meiner letzten Auslands-Vortragsreise  im Auftrage der „Urania“, der „Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse“ in der DDR . Einen sehr langen Abend, bis in den Morgen hinein, saßen wir in Zhindali, dem Zentrum Südossetiens, beim Weine beisammen und redeten über Gott und die Welt, über die DDR-Flüchtlinge in den BRD-Botschaften in Prag und Budapest und über das furchtbare Massaker, das im April unter Demonstranten in Tbilissi angerichtet worden war. Hier hörte ich zum ersten Mal die herrlichen, unnachahmlichen georgischen Trinksprüche im Original. Von Struwweleien zwischen Osseten und Georgiern war die Rede; aber dass es mehr werden könnte, hatte an diesem Tisch, an welchem zwei grusinisch-ossetische Ehepaare saßen, niemand geglaubt. Nur zwischen aberwitzigen Jugendlichen käme es manchmal zu Rempeleien.
Und Monate später wurde diese Stadt von der grusinischen Armee belagert, von Panzern und Kanonen beschossen.
Offenbar können Menschen, vor allem Menschenmassen,   sehr schnell ihr Verhalten ändern. Offenbar liegt solch aufbrechender verheerender Nationalismus nicht in erster Linie an immer vorhandenem latenten Nationalismus. Offenbar spielen Interessen hier die große Rolle; offenbar müssen sie vor allem bei denjenigen gesucht werden, die solche Hassgefühle erwecken, anpeitschen, organisieren. Offenbar ist die „ökonomische“ Erklärung wichtiger als allgemein vermutet, allein aber auch  unzureichend. Offenbar sind Menschen überhaupt in der Lage, aus Unterschieden – der verschiedenen Art, nicht nur aus ethnischen – sehr schnell Gegensätze und aus denen tiefe Unverträglichkeit und schließlich Todfeindschaft, Mordfähigkeit  hervorzuzaubern. Offenbar können  überhaupt aus normalen friedfertigen Menschen Bestien hervorkriechen. Und dies massenhaft.

Die Blockierung des „Aufbaus des Kommunismus“

Ihren sichtbaren sprachlichen Ausdruck der neuen Gesellschaftsstrategie – die ein Neues Ökonomisches System hervorbringen sollte – fand sie in solchen Begriffen wie „umfassender Aufbau des Sozialismus und schließlich in „Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“.  Sie gipfelten in der These von einer relativ eigenständigen sozialistischen Produktionsweise, von einer „eigenständigen sozialistischen Gesellschaftsformation.“
Der Ausgangspunkt dieser sprachlichen Geburt des „Sozialismus als relativ eigenständiger Gesellschaftsformation“ war banal. Es solle, dies sei der Wunsch von Walter Ulbricht, mehr Grundsätzliches,  für die Gesellschaftsstrategie theoretisch bedeutsames gesagt werden, sagte Otto Reinhold in einer Beratung im Frühjahr 1967 mit denjenigen, die   den Entwurf des Referats von Walter Ulbricht auf der für September  vorgesehenen Konferenz anlässlich des 100. Jahrestages des Erscheinens des ersten Bandes des „Kapital“ von Karl Marx ausarbeiten sollten. In diesem Kreis wurde die Idee geboren, das Sozialismus-Bild theoretisch genauer, politisch handhabbarer und anders zu fassen, als dies bislang üblich war.
Das entscheidende: Der Sozialismus solle nicht mehr, wie dies in Anlehnung an die Marxsche „Kritik des Gothaer Programms“ im „Marxismus-Leninismus“ und in den strategischen Verlautbarungen der KpdSU festgehalten war, als relativ kurze historische Durchgangsphase verstanden werden, in der die aus den  vorkommunistischen Gesellschaften überkommenen „Muttermale“ Geldwirtschaft und Leistungsprinzip allmählich an Bedeutung verlören, wie in einem Fegefeuer abgezundert würden, um möglichst schnell zu den lichten Höhen des Kommunismus, zur „eigentlichen“ kommunistischen Gesellschaft, zu gelangen, in welcher  das Prinzip herrschen werde: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Der Punkt  auf dieses theoretische „i“  sollte eben die Formulierung sein: „Der Sozialismus ist eine relativ eigenständige Gesellschaftsformation“.
 Bislang galt die auf Marx zurückgehende Formationenabfolge: Urgesellschaft, Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus, Kommunismus. Der Kommunismus wieder wurde, auch nach Marx, in eine sozialistische und in eine kommunistische Phase eingeteilt, welch letztere dann, von den Formationen her, das „Ende der Geschichte“ sein solle; genauer: Alles Vorangegangene würde sich aus der kommunistischen Perspektive als Vorgeschichte zur eigentlichen menschgemäßen Daseinsform darstellen, als Vorgeschichte der Menschheit. Wenn von einem Gedanken gesagt werden könnte, dass er zu schön sei, um wahr zu sein, dann vielleicht  dieser. Aber: wir sind auch heute noch nicht am „Ende der Geschichte“ Vielleicht  sieht die Sache am Ende dieses Jahrtausends wieder ganz anders aus.
Schriftlich tauchte diese Formulierung von der „relativ selbständigen Gesellschaftsformation“ zum ersten Mal in einem Artikel von mir auf, der demselben Anlass, dem 100. Jahrestag des Erscheinens des „Kapital“, gewidmet war und um den mich die FDGB-Zeitschrift „Arbeit“ gebeten hatte.   „Die These, dass der Sozialismus sich auf seiner eigenen Grundlage entwickelt, bedeutet auch, die sozialistische Produktionsweise als relativ selbständige Gesellschaftsordnung, nicht einfach als kurze Übergangsphase zum Kommunismus zu betrachten“[1]  Ich erinnere mich, dass mir das später ein wenig peinlich war – es war auch ungehörig -  schließlich hatten wir diese Formulierung für das Referat des Generalsekretärs empfohlen. Aber ich wusste einfach nicht, wie ich mein Anliegen anders hätte artikulieren sollen. Und schließlich war auch nicht heraus, ob und wie Walter Ulbricht mit diesem Vorschlag verfahren würde. Damit allerdings hatten wir nicht gerechnet: Im Referat von Walter Ulbricht auf der Konferenz anlässlich des 100. Jahrestages des Erscheinens des ersten Bandes von Marx` „Kapital“ im September 1967 wurde die Vorstellung vom Sozialismus als „relativ selbständige sozialökonomische Formation“ als die wichtigste strategische Schlussfolgerung bezeichnet, die die SED aus der bisherigen Entwicklung, vor allem seit Beginn der sechziger Jahre, gezogen hätte.            
Das war nun nicht der Anfang, aber die jetzt offen vorgetragene Rebellion gegen das herrschende Dogma. Denn die politisch-theoretischen Vorgaben für die Bestimmung der  einzuschlagenden Strategie waren klar und eindeutig: Nach dem sowjetischen Vorbild und der in der marxistisch-leninistischen Theorie damals herrschenden Auffassung sollte nach Abschluss der „Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus“ – der von der SED mit dem Anfang der sechziger Jahre terminisiert wurde – die „Schaffung der Grundlagen des Kommunismus“ verkündet werden. Das war in der Sowjetunion so geschehen und so war es auch in zwei anderen sozialistischen Ländern – in der Volksrepublik Bulgarien und in der Tschechoslowakischen Republik – Anfang der sechziger Jahre verkündet worden (dies wurde allerdings sehr bald, stillschweigend, zurückgenommen). Auch hier signalisierte die Volksweisheit, diesmal allerdings sich vornehmlich artikulierend in den Parteikreisen, die um diese Strategiedebatten wussten, dass irgendwas nicht stimmen könnte an der bislang geltenden offiziellen Weisheit: Nie vorher und nachher hatten Witze über den Kommunismus eine solche Hochkonjunktur. In der Sowjetunion noch mehr als bei uns.
* Kommt ein Delegierter vom KpdSU-Parteitag in sein Dorf zurück und berichtet. “Am Horizonte sind schon die lichten Höhen des Kommunismus zu sehen, wurde dort gesagt.“  “Aber was heißt `’Horizont?” will jemand wissen. Holt doch mal schnell das Lexikon, verlangt der Redner. Als man es ihm reichte, liest er vor: “Horizont ist eine gedachte Linie zwischen Himmel und Erde, die sich um so weiter entfernt, je näher man ihr zu kommen glaubt.”

* “Sag Mal, Genosse, wird es nun Geld geben im Kommunismus oder nicht?” “Das musst Du dialektisch sehen, Genosse, manche Leute werden Geld haben, manche keins.”
* “Also, wie wird es denn nun stehen um die Ware-Geld-Beziehungen im Kommunismus?” “Um die Waren wird es schlecht stehen, um das Geld besser, und die Beziehungen werden das wichtigste sein”.

Die Partei- und Staatsführung der DDR, namentlich Walter Ulbricht, hatten sich von Anfang an mit Händen und Füßen gegen jegliche Ankündigung eines bevorstehenden Übergangs zum Kommunismus gewehrt.
In internen Beratungen hatte Walter Ulbricht, vor allem auf die Lebensverhältnisse in Westdeutschland verweisend, mehrfach auf die politischen, ideologischen  Wirkungen aufmerksam gemacht, die eine solche offiziell verkündete Strategie haben musste; sie hätte zu einer geradezu grotesken Diskriminierung des Kommunismus führen müssen.
 Mit dieser Verweigerung gegenüber dem sowjetischen Strategieverständnis hatte es sich Walter Ulbricht mit der sowjetischen Führung, namentlich mit Breshnew, gründlich verdorben. Dies erwies sich für ihn als verhängnisvoll und  Erich Honecker hat dies im Gerangel um die Ablösung Walter Ulbrichts (197071), für die er die Gunst Breshnews brauchte, bedenkenlos genutzt. Vordergründig wurde die Ablösung Ulbrichts Anfang 1971 mit dem Vorwurf unrealistischer Planungen, der Überforderung der Wirtschaft durch forcierte Automatisierung, mit Vernachlässigung der Rationalisierung in der Breite der Volkswirtschaft, begründet (noch vordergründiger mit dem Gesundheitszustand Ulbrichts). Abgesehen davon, dass solche Vorwürfe zum Teil gerechtfertigt waren, Erich Honecker seinen Vorgänger in genau denselben Fehlern in den achtziger Jahren um Längen übertraf, war dies eine Wende zu spekulativeren, weniger realistischen Orientierungen, zu kommunistischer Klopffechterei.
Honecker  hat  die These Ulbrichts vom „Sozialismus als relativ selbständiger Gesellschaftsformation“ gegeißelt und in einer Rede in Weißwasser 1972 gar geäußert, dass er selbst noch den Kommunismus zu erleben hoffe. Ein Nebenprodukt dieser Ergebenheit gegenüber Breshnew war die plötzliche und verhängnisvolle Entscheidung im Jahre 1972, die halbstaatlichen Betriebe in Staatseigentum zu überführen, weil er hierzu von Breshnew aufgefordert worden war.
An der Substanz der Ulbrichtschen Strategie – Entwicklung des Sozialismus „auf seiner eigenen Grundlage“, in einem historisch langen Prozess, keine Verkündung eines unmittelbar bevorstehenden Übergangs zum Kommunismus – wurde nichts geändert, retardierende Tendenzen aber, namentlich einer moralischen Degradation von Geldwirtschaft, Leistungsprinzip, Gewinnorientierung der Betriebe, gefördert. Alles in allem sollte sich das als verhängnisvoller Rückschritt erweisen, das endgültige Aus für ernsthafte Wirtschaftsreformen. Und kommunistische Floskeln – „kommunistische Erziehung“ u.ä. – wurden Mode.
Das Konzept von der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ blieb, trotz retardierender Elemente die bis zum Ende der DDR gültige offizielle Gesellschaftsstrategie der SED. Jürgen Kuczynski erzählte nach der Wende, dass er schon damals die Bezeichnung „entwickelt“ für den Sozialismus als unberechtigt angesehen habe, besser wäre die Bezeichnung „unreif“ gewesen. Kuczynski übersieht hier das wesentliche: Das Konzept von der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ ist entstanden als theoretische Begründung für ein realistischeres Vorgehen, für eine gründlichere Beachtung der wirklichen Umstände, gegen diejenigen Auffassungen, die in „revolutionärer“ Phrasendrescherei den baldigen Übergang zum Kommunismus oder auch den baldigen wirtschaftlichen Niedergang des Imperialismus verkündeten.
Die Anführer, Wortführer und Drahtzieher nichtöffentlicher Anstrengungen um die Verwirklichung einer solchen Strategie, die auf die Entfaltung der Ware-Geld-Beziehungen hinwirkten und sich  ihrer Unterschätzung und moralischen Degradation entgegenstemmten, waren unter den Gesellschaftswissenschaftlern vor allem die ZK-Mitglieder Otto Reinhold,  Rektor der Akademie Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, und Helmut Koziolek, Direktor des Zentralinstituts für Sozialistische Wirtschaftsführung beim ZK der SED und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates für die Wirtschaftswissenschaftliche Forschung in der DDR. Die Gegenpartei wurde von Hanna Wolf angeführt, der Direktorin der Parteihochschule „Karl Marx“ der SED. Die Kämpfe fanden vor allem unter der Oberfläche statt. Jürgen Kuczynski war nicht der Mann, der sich von irgendjemanden ins Schlepptau nehmen ließ. Faktisch aber hatte er Otto Reinhold zu seinem Hauptgegner erkoren. Ich glaube nicht, dass er wusste, es ihn interessierte, worum es in diesem Streite wirklich ging.

 Für die „Einbürgerung“ von Geldwirtschaft und Leistungsprinzip im sozialismus

Eine einigermaßen realistische wirtschaftspolitische Strategie, die eben eine radikale Veränderung des wirtschaftlichen Lenkungsmechanismus einschließen musste, konnte  in der DDR nur eine Chance erhalten, wenn man sich endgültig und entschieden von der Geringschätzung, moralisch negativen Bewertung von Geldwirtschaft, Leistungsprinzip (nicht nur auf die individuellen Einkommen, sondern auch auf die betrieblichen bezogen) und Gewinnorientierung der Betriebe trennte. Es ging nicht nur um die quantitative Dimension, darum, den Sozialismus als lange historische Periode anzusehen, was allerdings für das Zurückdrängen allzu euphorischer, weltfremder Vorstellungen über einen baldigen Übergang zum Kommunismus  außerordentlich wichtig war.
Das wichtigere  war, eine  direkt entgegengesetzte Sicht auf die sozialökonomischen Besonderheiten des Sozialismus - auf all dies, was es nach damaliger marxistisch-leninistischer Vorstellung im Sozialismus, nicht aber im Kommunismus geben sollte, vor allem die materielle Interessiertheit und Ware-Geld-Beziehungen und genossenschaftliches Eigentum – zu gewinnen.  "Es kommt nicht darauf an, die Existenz zweier Eigentumsformen, das Leistungsprinzip und die Ware-Geld-Beziehungen zurückzudrängen, mit der Absicht, sie in absehbarer Zeit überhaupt zu überwinden; sie dürfen nicht als Fremdkörper im Sozialismus angesehen und gewissermaßen mit negativem Vorzeichen versehen werden; im Gegenteil: Es kommt darauf an, sie für die Entfaltung der Vorzüge des Sozialismus besser zu nutzen."[2]
Das sollte einen endgültigen Bruch vor allem mit den Auffassungen bedeuten, die die Ware-Geld-Beziehungen immer nur negativ werteten, bestenfalls als unvermeidbares Übel betrachteten. Eine andere Sichtweise hatte es in den sozialistischen Ländern seit der Oktoberrevolution nicht gegeben. Selbst die auf die Entfaltung der Marktkräfte zielende Neue Ökonomische Politik in der Sowjetunion wurde immer als "zeitweiliger Rückzug" verstanden, sie wurde nach Lenins Tod gestoppt, die Entfaltung der Ware-Geld-Beziehungen regelrecht zurückgedreht, es verstärkten sich die essentiellen praktischen und theoretischen Schwierigkeiten im Umgang mit den Ware-Geld-Beziehungen. Jahrzehntelang wurde darüber diskutiert, ob das Wertgesetz im Sozialismus überhaupt wirke. Als Stalin im Jahre 1951 in seiner Schrift "Probleme des Sozialismus in der UdSSR" die Existenz von Ware und Wert im Sozialismus anerkannte, wenn auch nur in Gestalt von "Warenhülle und Wertform", gleichzeitig der Tendenz einer Ablösung des Warenaustausches durch direkten Produktenaustausch das Wort redete, bedeutete dies damals einerseits eine Aufwertung der Rolle der Ware-Geld-Beziehungen und andererseits war damit eine "Formel" gegeben, die die Abwertung, die Unterschätzung der Ware-Geld-Beziehungen in den sozialistischen Ländern für eine lange Zeit befestigte.
Ein solcher allgemeiner Durchbruch zu einem anderen - konstruktiven, positiv wertenden - Verständnis der materiellen Interessiertheit und der Ware-Geld-Beziehungen ist in der politischen Ökonomie des Sozialismus bis zuletzt nicht gelungen. Es herrschten Meinungen vor, wie sie zum Beispiel im 1970 erschienenen sowjetischen Lehrbuch Politische Ökonomie Sozialismus, erarbeitet von einem Autorenkollektiv unter Leitung von N. A. Zagolow, vertreten wurden:  "Die sozialistischen Produktionsverhältnisse haben ihrem Wesen nach keinen Warencharakter" wie die kapitalistischen, sie sind "zunächst frei von der Warenform". Die Ware-Geld-Beziehungen seien "hinsichtlich ihrer Genesis nicht sozialistisch". Jene "soziale Isolierung, die der Warenproduktion ihrem innersten Charakter nach eigentümlich ist, (ist) in sämtlichen Sektoren der sozialistischen Produktion überwunden." Und schließlich: "Sozialismus und Warenproduktion sind Gegensätze." Warum Ware-Geld-Beziehungen wirklich notwendig sind, ist nicht zu erfahren. Insgesamt: "Die Verhältnisse der Warenproduktion spielen eine wichtige, jedoch ... untergeordnete Rolle"[3] 
Dieses Wörtlichnehmen der Marxschen Vorstellungen über die Unvereinbarkeit von Sozialismus und Ware-Geld-Wirtschaft wurde immer mehr zu einem Hindernis für notwendige Reformen des wirtschaftlichen Lenkungsmechanismus. Selbst die meisten der Ökonomen, die sich für progressive Veränderungen des Wirtschaftsmechanismus einsetzten, kamen aus defensiven Positionen im Grunde nicht heraus, blieben Gefangene eines Verständnisses der Rolle der Ware-Geld-Beziehungen, welches sie lediglich als Instrumentarien der Planwirtschaftakzeptierte. Es hätte in diesem Punkte eben auch Marx theoretisch überwunden werden müssen, für den Warenproduktion mit Gemeineigentum schlechthin unvereinbar war. Für mich gab es für Ware-Geld-Beziehungen im Sozialismus nur eine Ursache: "Die relative Eigenständigkeit der materiellen Interessen der Betriebe ist die Ursache der Warenproduktion im Sozialismus"[4]
Das hieß vor allem, gegen die Verketzerung des Gewinns anzugehen, die geradezu Züge ideologischer Kriminalisierung annahm. Viele theoretische Ökonomen scheuten sich, hierfür einzutreten, weil sie sich sofort dem Verdachte aussetzten, gegen marktwirtschaftlich-kapitalistische Einflüsse nicht immun zu sein.
Nun war ich natürlich gegen eine Dominanz des Profit-/Gewinnprinzips. Und ich bin es noch heute. Nur damals war dies praktisch nicht die eigentliche Gefahr. Diese Nicht-Dominanz  des Gewinnprinzips hat vor allem auf gesamtwirtschaftlicher, auf gesellschaftlicher Ebene zu gelten, auch durch Herausnehme bestimmter Bereiche aus der Marktregulation. Die Gesellschaft muss dafür sorgen, dass Wohnen, Kultur, Gesundheitsvorsorge u.a. nicht zur bloßen Ware werden, dass die Ökologie nicht der Ökonomie geopfert wird. Sie muss ihre Prioritäten durch Vorgaben, Rahmenbedingungen, Ge- und Verbote, positive und negative Anreize geltend machen. Auf betrieblicher Ebene aber kann das Wirtschaftlichkeitsprinzip  ohne Gewinnorientierung nicht verwirklicht werden. "Natürlich ist der Gewinn nicht Ziel der sozialistischen Produktion und kein Instrument  zur Steuerung der Produktion. Er ist nichts anderes als Geldausdruck des Mehrprodukts und damit die am meisten aggregierte Kennziffer der Effektivität auf der betrieblichen Ebene.  In der Gewinnentwicklung laufen die ökonomischen Wirkungen aller wirtschaftlichen Vorgänge im Betrieb in ihrer wertmäßigen Widerspiegelung zusammen... In dieser Funktion als synthetischer Ausdruck des Nutzeffekts der betrieblichen Tätigkeit ist der Gewinn durch keine andere Kategorie  ersetzbar...Aus der oft unzulänglichen Ausgestaltung der gewinnbildenden Faktoren sollten Schlussfolgerungen im Hinblick auf ihre Verbesserung gezogen werden, nicht aber in Richtung einer Verminderung der Rolle des Gewinns, seines Ersatzes durch eine Vielzahl neuer, zusätzlicher ökonomischer Hebel"[5] Anregung für diesen Artikel war die Bitte eines Kollegen der Hochschule für Ökonomie, Professor für Finanzwirtschaft, der wegen ähnlicher Auffassungen zu leiden hatte; es war dies die Zeit der Honeckerschen Restauration, der Zurücknahme des NÖS.
Der gesamte Lenkungsmechanismus der Wirtschaft ist seit dem Versuch der Einführung eines  "Neuen  Ökonomischen Systems des Sozialismus" als ein "System der Leitung, Planung und ökonomischen Stimulierung" bezeichnet worden. Aber seine verschiedenen Elemente wurden keineswegs gleichberechtigt behandelt. Ein Symptom für das Überhandnehmen des Subjektivismus, des Zentralismus in der Wirtschaftslenkung war nicht nur die Geringerschätzung der "ökonomischen Hebel" (worunter die Geldkategorien gemeint waren)  gegenüber der Leitung und Planung, sondern die subjektivistische Konstruktion ökonomischer Hebel, die Geringschätzung  der "Grundprinzipien der Wirtschaftlichen Rechnungsführung" und der "Grundkategorien der Warenproduktion" (Preis, Gewinn, Kosten, Kredit, Zins), ihre Überlagerung durch einen Wust von "Surrogaten". "Dies festzustellen ist deshalb notwendig, weil gerade in dem Bestreben, die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts wirksam zu fördern, viele Vorschläge zur Stimulierung einzelner Seiten und Prozesse des wissenschaftlich-technischen Fortschritts unterbreitet werden, ohne dass in der Wirkungsweise der grundlegenden Prinzipien und Kategorien der Wirtschaftlichen Rechnungsführung (vor allem: Vervollkommnung und höhere Wirksamkeit des Prinzips der Eigenerwirtschaftung, Industriepreisbildung, der Rolle des Gewinns) etwas Wesentliches geändert werden soll. Häufig werden solche Vorschläge damit begründet, dass die grundlegenden Prinzipien und Kategorien der Wirtschaftlichen Rechnungsführung nicht genügend wirksam seien und daher zusätzliche ökonomische Regelungen eingeführt werden müssten. Meines Erachtens bedeuten solche Vorschläge, dem eigentlichen Problem aus dem Wege zu gehen. Gäben wir ihnen nach, müsste das die Wirksamkeit der objektiven Kategorien der Wirtschaftlichen Rechnungsführung weiter herabmindern und dazu führen, dass sie immer mehr von einem wenig durchschaubaren Gestrüpp  oft sich einander durchkreuzender ökonomischer Regelungen überwuchert würden. Letztlich liefen alle derartigen Versuche darauf hinaus, sich nicht an den grundlegenden Kategorien und Prinzipien der Wirtschaftlichen Rechnungsführung, an ihren `Originalen`  sozusagen, zu orientieren, sondern an Surrogaten oder `Stellvertretern`. Dagegen spricht, dass diese `Stellvertreter` von vornherein nur aus subjektiven Überlegungen entsprungen sind, während den objektiven Kategorien und Prinzipien der Wirtschaftlichen Rechnungsführung  auch objektive Bestimmungsfaktoren zugrundeliegen, das heißt, es gibt objektive Anhaltspunkte für deren Ausgestaltung. ... Ein Beispiel: Es wird vorgeschlagen, den volkswirtschaftlichen Nutzeffekt bestimmter Maßnahmen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der unter den gegenwärtigen Bedingungen nur unzureichend in den Kategorien der wirtschaftlichen Rechnungsführung seine Ausdruck findet, zu berechnen und einen bestimmten Anteil dieses berechneten Nutzens den betrieblichen Fonds zuzuführen. Dies würde doch im Grunde genommen aber bedeuten, nicht von der tatsächlichen Wirkung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, nicht vom realen wirtschaftlichen Prozess auszugehen, sondern bloße Rechengrößen in Zuführungen zu betrieblichen Fonds zu verwandeln. Etwas drastischer formuliert hieße das, es käme nicht so sehr auf die Erwirtschaftung ökonomischer Effekte an als vielmehr auf die Art und Weise ihrer Berechnung. Gewinne könnten gleichsam am Schreibtisch produziert` werden."[6] 
Dominierend in der ökonomischen Theorie blieb die Auffassung,  dass selbst die Geldausdrücke der fundamentalen Ware- und Wertkategorien (Preis, Gewinn, Kosten, Kredit und Zins) nicht wirklich sie selbst waren, sondern zwangsläufig Surrogate sein mussten. Die Preise waren im Grunde "Schattenpreise";  Planpreise oder staatlich bestimmte Festpreise, die unter bestimmten Umständen, z.B. aus sozialpolitischen Erwägungen heraus, sinnvoll sein können - widersprechen der Natur der Warenproduktion, des Werts selbst. Gewiss war ich im Kampfe gegen die subjektivistische "Hebelei" sehr weit gegangen, weiter als meine Ökonomie-Kollegen; aber die Idee, dass sich Preise überwiegend auf dem Markt, durch Angebot und Nachfrage, bilden müssen, blieb  auch mir zu DDR-Zeiten fremd.

DDR-Gestalten

Werner Lamberz

1971 kam er ins Politbüro des ZK der SED, 1978 verunglückte er in Lybien  in einem Hubschrauber. In dieser Zeitspanne war er für viele in der SED der Hoffnungsträger,  als Kronprinz, als Nachfolger von Erich Honecker angesehen.. Nicht nur, weil er in der Politbüroriege unverhältnismäßig jung war.

Ungewöhnlich war er schon. Es gehörte zu den selbstverständlichen Aufgaben der Professoren und Dozenten an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften, an Entwürfen für Reden der Politbüromitglieder mit zu arbeiten. Zu Walter Ulbrichts Zeiten auch für den Generalsekretär, später vor allem für Reden Kurt Hagers. Man konnte nun seine Befriedigung darin finden, sich selber in solchen Reden wenigstens satz- oder absatzweise wieder zu entdecken. Wirkliche Genugtuung bereitete es, wenn man ein besonderes Anliegen, über die Bedeutung der Ökonomie der vergegenständlichten Arbeit zum Beispiel, auf solchem Wege unterbringen konnte, was mir öfter gelang.
Eines Tages rief mich Werner Lamberz an. Das war ungewöhnlich; wir erhielten unsere Anfragen, Aufträge über "Zuarbeiten"  über den Leitungsweg; nur innerhalb der Akademie über "kurzen Draht", direkt vom Rektor. Werner Lamberz möchte einen Artikel für die "Einheit" schreiben und bitte mich um meine Überlegungen, meine Hilfe. Der Artikel - an das Thema kann ich mich nicht mehr erinnern - erschien dann auch. Und bald darauf rief mich Werner Lamberz an und bat mich, mal rüber zu kommen. Er erklärte mir, was und warum er zugefügt, weggelassen und verändert hatte; der Großteil meines Entwurfs war geblieben. Und dann gab er mir einen Umschlag und sagte: Das ist Dein Teil des Honorars. Ich war wirklich verdattert. Solches ist mir auch nur einmal passiert.
Ob er eine Änderung zum Besseren hätte erreichen können? Versucht hat er es. Dass dies nicht geht, hat er dann selber erfahren und vorgeführt. Eines Tages wurde ich zu einer Beratung mit Werner Lamberz gerufen, an der vielleicht 50 oder mehr Leute teilnahmen. Eine Agitationskonferenz sollte vorbereitet werden. Ich jedenfalls fiel aus allen Wolken, und meinen Nachbarn schien es nicht anders zu gehen: die Probleme sollten künftig beim Namen genannt werden, Schönfärberei sollte ein Ende haben; die Langeweile aus den politischen Sendungen von Rundfunk und Fernsehen sollte vertrieben werden. Die Zustimmung war heftig und, so weit ich das übersehen konnte, auch einhellig. Dann gab es eine weitere Zusammenkunft, die hier vorgelegten Materialien waren schon viel zahmer. Und dann kam die große Konferenz; auf der Werner Lamberz  verkündete: Es ist gut wie es ist und folglich bleibt  alles wie es ist, dem Klassenfeind darf kein Futter geliefert werden. Nein, ein einzelner ändert das "System" nicht.
Als die Nachricht von Werner Lamberz` Tod eintraf, hatte ich ein ungutes Gefühl, das Misstrauen ist im Laufe der Zeit stärker geworden.

Otto Reinhold

Wie nebenbei sagte er mir im Einstellungsgespräch im September 1962,  dass ich statt der bisherigen 1200 Mark monatlich 1000 bekommen würde. Die Prozedur dieses Arbeitsstellenwechsels wie auch die geringeren Einkommen im Parteiapparat waren Selbstverständlichkeiten: „Ich gehe dorthin, wo die Partei mich braucht“
Es gab ein perfektes Informationssystem im ZK über Reaktionen der Westpresse. Eine versehentlich veröffentlichte Zahl etwa über Auslandsschulden der DDR konnte dem Redakteur seine Funktion kosten. Regelmäßig trafen Zitate aus West-Zeitungen und auch Abschriften  aus Rundfunkkommentaren ein, angefertigt vom Staatlichen Rundfunkkomitee der DDR,  zum Beispiel: „Die in der Zeitschrift ‚Wirtschaftswissenschaft‘ veröffentlichte Kritik von Prof. Nick ist so hart, dass der Propagandaapparat der SED sie vermutlich als antikommunistische Hetze bezeichnen würde, käme sie vom Westen her“ (SFB 21.4.78). Natürlich bekam ich so etwas zu spüren, in der Rundfunkarbeit zum Beispiel. Aber eben nicht in der Akademie; ich kriegte solche „Informationen“ auf den Tisch ohne Kommentar und ohne Nachfrage. Undenkbar an der Parteihochschule. Hier wie in jeder staatlichen Einrichtung wäre ich ohnehin nach der ersten Republikflucht eines „Verwandten 1. Grades“ – es gab dann noch einen zweiten solchen Fall - hinausgeflogen. Als ich Genossen Reinhold berichtete, sagte er mir jedes Mal, ich solle eine kommentarlose Mitteilung an die Kaderabteilung geben. Die schmerzlichste Konsequenz: Ich war nun kein „Reisekader“ mehr; d.h. das westliche Ausland war mir verschlossen.
Die Frage ist natürlich, welchen Wert man heute den partei- und staatsinternen Debatten in der DDR überhaupt beimessen sollte. Georgi Arbatow, Direktor des USA-Instituts der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion,  schreibt in seinen Erinnerungen (Das System, S. Fischer 1991),  ohne die  Auseinandersetzungen in diesem Raume wäre das Schicksal der untergegangenen sozialistischen Gesellschaften nicht zu verstehen, weil es sich so nicht vollzogen hätte. Vom Ende her gesehen, und gemessen an den notwendigen Einwändungen gegen herrschende Politik und Ideologie, mag man sie auch für unzureichend  halten.Wahr ist jedenfalls auch: Sollte es überhaupt ernsthafte Reformbemühungen unter den Gesellschaftswissenschaftlern der DDR gegeben haben, war ohne jeden Zweifel die Akademie für Gesellschaftswissenschaften eines ihrer geistigen Zentren. Und spiritus rector war Otto Reinhold.
Er konnte dies sein, weil er eine Schar exzellenter Wissenschaftler um sich hatte, denen auch ich außerordentlich viel verdanke: Dem Philosophen Erich Hahn, dem Historiker Harald Neubert, dem Soziologen  Rudi Weidig, dem Kulturwissenschaftler Helmut Hanke, dem Kapitalismus-Forscher Heinz Petrak, meinen Ökonomen-Gefährten Gudrun Langendorf und Gerhard Schulz. Wir waren DDR-Patrioten und überzeugte Jünger von Karl Marx auch in unserem  Bemühen, die verhängnisvollen Fehlschlüsse, die oft direkt aus seiner Theorie hergeleitet wurden, zu widerlegen. Dass in der Exekution des Endsiegs im Kalten Krieg die Regierungen Kohl wie Schröder die Professoren der SED-Wissenschaftseinrichtungen mit Strafrente belegen, hat eine gewisse Logik.
Otto Reinhold, die Akademie für Gesellschaftswissenschaften, waren in den theoretischen,  politökonomischen Fragen der Wirtschaftsreform, des NÖS, zweifellos führend. Das gilt vor allem auch für die Probleme nach dem Verhältnis von Plan und  Markt, nach der Rolle des Betriebes im NÖS, der Rolle der Ware-Geld-Beziehungen im Sozialismus.
An der Akademie für Gesellschaftswissenschaften wurde die Idee vom Sozialismus als „relativ selbständiger Gesellschaftsformation“ geboren.
Otto Reinhold und seine Mitstreiter waren auch Inspirator und Wortführer einer realistischeren Analyse der Veränderungen im Kapitalismus. Herausragendes Werk waren  hier „Imperialismus heute“ (1965) und „Imperialismus der BRD“ (1971). Diese Ideen führten hin bis zu der damals sensationellen These von der „Friedensfähigkeit des Kapitalismus“.
Nur die Akademie für Gesellschaftswissenschaften, nur Otto Reinhold konnten auf der SED-Seite Anreger und Partner sein in dem Dialog mit der Grundwertekommission der SPD, an dessen Ende das im August 1987 gemeinsam verabschiedete Papier "Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" stand.
Anfang 1990 war Otto Reinhold als Rektor der Akademie abgelöst worden, die nun „Akademie für Gesellschaftswissenschaften“ ohne „beim Zentralkomitee der SED“ hieß, schließlich in „Stiftung Gesellschaftsanalyse e.V Berlin .“ umbenannt wurde. Am 31.12.1990 kam das Aus. Ich habe Otto Reinhold im Jahre 1990 aus unmittelbarer Nähe erlebt. Er war redlich bemüht, das Geschehene zu verarbeiten, und schonte sich nicht. In der Zeitung „Der Morgen“ v. 23./24. Februar 1991 war in einem ganzseitigen Interview das Resümè seiner Überlegungen nachzulesen. Sein Fazit: „Dieser Sozialismus“ sei auf Dauer gescheitert. „Ich denke inzwischen, dieses System war nicht reformierbar „als System. Ich meine nicht den Sozialismus, aber dieses System“ An der Akademie sei Rechtfertigungsideologie produziert, aber auch eine Menge solider Arbeit geleistet worden. Und er bekannte: Für manches, was an dieser Akademie hervorgebracht wurde, schäme er sich jetzt. „Ich versuche nun, meine Zeit zu nutzen, aber ich weiß nicht, ob das jemand braucht, ob das für jemand nützlich sein kann“ Offenbar hat er diese Zweifel verloren, denn es war seitdem niemals wieder etwas von ihm zu hören. Dass Otto Reinhold nach der Wende sich völlig aus der Öffentlichkeit zurückzog, bedaure nicht nur ich. Verstehen kann ich das schon, führende ostdeutsche Sozialisten hätten so gar nichts mit seiner Person anfangen können.

Jürgen Kuczynski

„Der Mentor“, nicht von irgendwem, sondern "Mentor der Gesellschaftswissenschaften in der DDR" war der hartnäckig immer wieder genannte Ehrentitel, den manche Leute Jürgen K. verleihen wollten. Wahrscheinlich  kam von dorther die wechselseitige Hauptgegnerschaft  mit Prof. Otto Reinold, dem Rektor der Akademie für Gesellschaftswissenschaften. Einen bequemeren Widerpart hätte sich J.K. nicht wünschen können. Otto Reinhold war in allem Äußerlichen  das schlichte schlechte Gegenteil von J.K.: J.K. war ein exzellenter Rhetoriker wie Schriftsteller, dem zuzuhören oder ihn zu lesen, einen Genuss bereitete, der sich vom Gehalt der  Inhalte sehr weit abheben kann. Otto Reinhold war nicht nur von der Gestalt, sondern von seiner ganzen Rede-, Schreib- und Auftrittsweise eher langweilig. Aber man hörte ihm nicht nur seines Amtes wegen zu. Er war vielleicht nicht weniger klug, aber seine Klugheit zerstob nicht im Brillieren, sondern steckte in Ideenketten, die meist    in der Wirklichkeit solide verankert waren. Gemessen an damaligen  Kriterien, war Otto Reinhold eindeutig der Reformer, J.K. eher der DDR-Konservative. In jedem Falle war J.K. der Hof-Wissenschaftler, der eben sein Ansehen und dieses Privileg  für das Aussprechen mancher Grobheiten nutzen konnte, die den weniger Ausgezeichneten schwere Parteistrafen eingetragen hätten. Er war, wie er selbst von sich sagte,  ein "linientreuer Dissident".
Ungenießbar für mich waren seine Lobhudeleinen für Walter Ulbricht, Erich Honecker, seine in diesen Dunst gehüllten regelmäßigen Lesehilfen für das jeweils letzte ZK-Plenum im ND und seine unentwegten wirklichkeitsfremden  Prophezeiungen des alsbald zu erwartenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Imperialismus, namentlich des US-amerikanischen. Ich habe nur einen einzigen Artikel aus der "Weltbühne" sofort herausgerissen und aufgehoben; er hieß "Mein Freund und Genosse Erich Honecker" und war von J.K. Dies in der Zeit, da auch innerhalb der SED über die rüde Art der Ablösung von Walter Ulbricht durch Honecker und Breshnew noch vernehmlich gemurrt wurde.
J.K. lernte ich 1951/52  zunächst aus der Ferne kennen. Und zwar aus den Vorlesungen von Prof. Hans Mottek über Wirtschaftsgeschichte an der damaligen Hochschule für Planökonomie. Es war immer dasselbe: Hans Mottek betonte, auch beim hundertstenmal wie beim erstenmal, dass J.K. ein hervorragender Wissenschaftler sei und wies dann   nach, dass das Genie sich in dem konkreten Falle aber geirrt habe. Da J.K. in seiner vierzigbändigen "Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung"  historisch sehr weit zurückgegangen war, kam er in fast jeder Vorlesung vor. Der Verdacht tauchte auf: Genial, aber nicht sehr solide; eher Schriftsteller als Wissenschaftler; der Effekt geht ihm über die Wahrheit. In dieser Meinung habe ich mich über die Jahrzehnte nicht korrigieren müssen.. Damit war ich aber auch gefeit gegen die unentwegten Empörungen über J.K. mal unter Historikern, mal unter Ökonomen, mal unter Soziologen. Und weil ich dagegen gefeit war, weil ich ihn wissenschaftlich nicht sehr ernst nahm, konnte ich mich immer wieder von ihm anregen lassen, seine Elaborate gelassen genießen. Und  Genuss bereiteten sie fast ohne Ausnahme.
Natürlich ließ ich mir die Gelegenheit nicht entgehen, J.K. aus der Nähe zu erleben, als angekündigt war, er werde als Gutachter zu einer Dissertationsschrift am Institut für Wirtschaftsgeschichte  der Hochschule für Planökonomie auftreten. Verblüffend, provozierend die Kürze seines Gutachtens zu einer Arbeit von mehreren hundert Seiten. Darin kamen die Sätze vor: Wenn einer ein Auto baut, so sollte er sich vorher darüber klar werden, ob dies ein Gebrauchsauto oder ein Rennauto werden solle. Das aber habe der Autor offenbar nicht überlegt. Außerdem sei auf S. dreihundertundsowieso eine Behauptung aufgestellt, die offenbar falsch sei. Da aber der Autor sich diesen schwierigen Themas... usf. ... wäre er für die Annahme der Dissertation. Hans Mottek hatte dem mit sichtbar zunehmender Erregung zugehört, ergriff das Wort und wies nach, dass der Kandidat mit der Behauptung auf Seite 3... ganz zweifelsfrei Recht habe. Geradezu begierig wartete ich auf die Erwiderung von J.K., der sich zurückgelehnt hatte, lächelte. Als Hans Mottek sich, den Schweiß vom Gesicht wischend, wieder setzte, kam das, was ich bei J.K. später noch viele Male genossen habe: Er erhob sich ohne Hast und sprach im heitern Tone: Ganz offensichtlich besteht zwischen meinem Freunde Hans Mottek und mir eine sehr grundsätzliche Meinungsverschiedenheit. Die geht nicht um den Punkt auf Seite 3.., sondern um die viel wichtigere Frage, welche Rolle dem Irrtum in der Wissenschaft zukommt. Ich war nie der Meinung, dass der Irrtum ein Fremdkörper in der Wissenschaft sei, im Gegenteil: Er ist sozusagen das Salz in der Suppe. Natürlich gibt es Irrtümer sehr verschiedener Art. Die einen kommen aus Unkenntnis oder Ignoranz oder Dummheit zustande. Andere aber sind das Ergebnis hartnäckigen Forscherdrangs, mühevoller Arbeit. Nur kreative Geister können solche Irrtümer produzieren, siehe die Theorie über das Phlogiston u.ä. Aber, so rief er in das Auditorium, stellen wir doch die Frage, welche Art von Irrtum mir hier unterlaufen sein soll, an den Kandidaten. Damit hatte er das Publikum schon deshalb auf seiner Seite, weil es bei dieser Veranstaltung ja eben um die Arbeit des Kandidaten, um die Verteidigung dessen Dissertation ging. Hans Mottek hatte  in seiner Rage einen Part übernommen, der gar nicht ihm, sondern dem Kandidaten zustand. Dieser Nachmittag war für mich ein Schlüsselerlebnis, nicht nur  was die Gestalt J.K. anging.
J.K. initiierte nicht nur  manchen Streit, er  kannte wohl auch kein gesellschaftswissenschaftliches Thema, in dessen Erörterung er sich nicht engagiert einmischte. Natürlich auch in den Streit um die wissenschaftlich-technische Revolution. Den Wechsel von Ulbricht zu Honecker ergriff er beim Schopfe, um die Tragweite der wissenschaftlich-technischen Revolution, deren wirkliche Rolle  zu Ulbrichts Zeiten in der Tat parteioffiziell  überhöht worden war,  zu Lasten der Mittel für die "normale" Erneuerung vorhandenen Potentials, zu bagatellisieren. "Wir erleben heute die allerersten Anfänge der wissenschaftlich-technischen Revolution... Es wäre aber illusionär zu glauben, dass sie bereits heute die Struktur, das Profil der Wirtschaft bestimmt, in irgendeinem Teil der Welt", schrieb er in einem ND-Artikel v. 14. April 1971, ausgerechnet mit dem Untertitel "Einige Lehren des XXIV. Parteitages der KpdSU“, auf welchem Breshnew erstmals die Formel von der "organischen Verbindung der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den Vorzügen des Sozialismus" kreiert hatte. Es war ein politisch-taktisches Meisterstück, das damals von mir überhaupt nicht durchschaut werden konnte: Einerseits eine Hommage an Breshnew, der Honecker, wie ich später erfuhr,  in den Sattel half, andererseits  eine flammende Rede (der Artikel enthielt mehr als ein Dutzend Ausrufungszeichen) gegen Ulbricht und für Honecker, aufgehängt an der Entgegensetzung von Rationalisierung (pro Honecker) und wissenschaftlich-technischer Revolution (contra Ulbricht).  Dass dies den Intentionen des XXIV. Parteitages widersprach, spielte in diesem Kalkül dann keine Rolle mehr.  
Ich war ausersehen, den   Gegenbeitrag zu schreiben. Er erschien als Kellerartikel im Neuen Deutschland am 25. April 1971 unter der Überschrift "Alle Quellen der Effektivität nutzen". Ich betonte die Abhängigkeiten, Wechselwirkungen von  revolutionären und mehr evolutionären  technologischen Entwicklungen und wandte mich gegen die  "Vertagung" der wissenschaftlich-technischen Revolution  "Kann man diejenigen, die von der Verkürzung der Zeitspanne zwischen Entdeckung eines neuen Prinzips und seiner industriellen Umwälzung sprechen, als Unsinn verbreitende Märchenerzähler bezeichnen?", wie J. K. das getan hatte. Die Sache ging hin und her, die Beiträge - es erschienen insgesamt noch zehn - wurden von der Redaktion relativ zeilengenau auf pro und contra verteilt. Für mich war das herausragende persönliche  Ergebnis: Auf den Tag genau über sechs Jahre  veröffentlichte ND von mir, für das  ich seit 1965 jedes Jahr wenigstens zwei längere Artikel  geschrieben hatte,  keinen Beitrag mehr; ich habe mich aber auch nicht danach gedrängelt.
Nun schien aber doch eine Gelegenheit zu kommen, sich in dieser Sache mit J.K. in einer soliden Weise auseinander zu setzen. "Diesmal kommt er nicht davon; diesmal ziehen wir ihm die Hosen aus", jubilierte mein Kollege, der wie ich Mitautor der Thesen für eine Tagung des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung zum Thema "Die organische Verbindung der Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den Vorzügen des sozialistischen Wirtschaftssystems und die Einheit von wissenschaftlich-technischem und sozialem Fortschritt"  gewesen war. Er wollte mir einfach nicht glauben, dass niemand dem J.K. Hosen ausziehen konnte. Am 3. November 1972 fand die Tagung statt. J.K. meldete sich unter den ersten Diskussionsrednern. Er nahm die Thesen mit ans Rednerpult und sagte etwa: "Der Brauch, Thesen anzufertigen als Grundlage für wissenschaftlichen Disput, ist alt und in Deutschland begründet worden. Der klassische Fall fand statt am 31. Oktober 1517, als Martin Luther seine  92 - es ist immer noch nicht heraus, ob es nicht doch 95 waren, denn Luther hatte nicht ordentlich nummeriert - Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg nagelte. In jedem Falle waren es zwei Blätter, d.h. zwei Seiten. Wenn ich nun dieses Viertelkilo Papier - jetzt hob er die Thesen hoch - damit vergleiche, frage ich mich, ob wir in dieser Tradition wirklich einen Fortschritt erreichten" Und außerdem sei auf Seite sowieso eine unhaltbare Behauptung enthalten. Dann ging er, begleitet von reichlichem Beifall auf seinen Platz, stopfte seine Pfeife und verließ alsbald die Tagung. Ich jedenfalls hatte mich amüsiert, mein Mitstreiter fand dies keineswegs lustig.
Das Selbsturteil J.K. nach der Wende, auch die Urteile über ihn gehören zum aufschlussreichsten für das Studium des Dramas „Ostbiografien“. Das Resümee von J.K.: Ich hätte an der DDR nicht das System loben und die Einzelheiten kritisieren, sondern das System kritisieren und die Einzelheiten loben sollen.
Zu der üblen Sorte der nach der Wende im politisch lukrativen Geschäft von Biografiebewältigung anderer gehörte Herr Herbert Schwenk, zu DDR-Zeiten Professor für Politische Ökonomie des Kapitalismus. Im Neuen Deutschland v. 18. April 1997 breitete er sein denunziatorisches Elaborat aus: J.K. habe immer wieder - Schwenk hatte hier die betreffenden ND-Ausgaben sorgfältig notiert - den wirtschaftlichen Niedergang der USA prophezeit. Das stimmte zwar. Aber was hat Herr Schwenk prophezeit, zum Beispiel als Mitautor des Buches „Proletariat in der BRD“, erschienen 1974?  Zum Beispiel dies: „Zeugnisse des  Niedergangs, Symptome des Verfalls, charakterisieren den staatsmonopolistischen Kapitalismus auf allen Gebieten: Währungskrisen, Kriegsvorbereitungen und Aggressionen, parasitäre Vergeudung von Nationalreichtum durch die Monopolbourgeoisie und vor allem die wachsende Degradation der Menschen“. Das alles ist aber auch nicht völlig falsch geworden, nur weil Herr Schwenk sich nicht mehr daran erinnern mag.
Ich erwiderte im Neuen Deutschland v. 9.5.97 und schrieb u.a.: „Jürgen Kuczynski ist ein Genie, das einzige,  das ich aus einiger Nähe kenne und dessen Gratwanderung zwischen  Hellsichtigkeit und Scharlatanerie man nur staunend besehen kann. Und das einzige, das man dem wahrscheinlich größten Vielschreiber  deutscher Zunge seit Angedenken sagen kann, ist: Schreibe - und höre auf, bei dem jeweils letzten Buche zu versprechen, dass es das letzte sei!“ J.K. hat danach noch drei Bücher veröffentlicht. Die auf seine briefliche Anfrage, was wohl Scharlatanerie hier bedeuten solle, von mir gegebene Erläuterung, darauf hinauslaufend, dass sie die Schwester des Genies sei, und die ich mit einem Beispiele aus seinem eigenen Verhalten und Argumentieren belegte, antwortete er mir am  16.7.97: „Dein Brief war eine reine Freude“

"Ich bin ein überzeugter Demokrat."

Was an diesem Satze wahr ist

Diesen Satz sprach ich öfter, zum Beispiel, wenn ich mich einer Mehrheitsmeinung meiner Mitstreiter fügen musste. Und er blieb immer eine Weile in der Luft  hängen. Ein Hauch von Befremden, Nachdenklichkeit und  Sympathie zugleich schien dann in ihr zu schweben. Dies entsprach der Zwielichtigkeit, die diesen Begriff in meiner Umgebung umgab. Da war der immer gegenwärtige Respekt vor "wahrer Herrschaft des Volkes", aber auch die Assoziation mit  bürgerlich-parlamentarischer Demokratie; und mit ihr die Assoziation mit unergiebigem und nicht enden wollendem Palaver, "bürgerlichen Schwatzbuden." Und mit politischer Verdummung der Massen. Das kannte ich durchaus aus meiner Schulzeit der Klassen 1-6, aus meiner Pimpf-Zeit. Zweifelsohne hat dieses früh gesäte Misstrauen gegen die parlamentarisch-bürgerliche Demokratie nachgewirkt. Dieses Misstrauen ist nicht verschwunden; aber die Nahrung, die es erhielt, hat gewechselt. Und auch die Vorstellung über die Auswege, die über ihre Beschränktheiten hinausführen.
"Ich bin ein überzeugter Demokrat" habe ich gesagt,  als ich mich im Juli 1987, anlässlich des Pfingsttreffens der FDJ in Berlin auf einem von ihr ausgerichtetem Forum zu Fragen zur Demokratie in der DDR äußerte. Warum - so wurde gefragt - gibt es in der DDR keinen politischen Pluralismus, warum treten die Parteien nicht mit getrennten Listen, im Wettbewerb gegeneinander, an?  Meine Antwort lautete etwa: Das Grundprinzip des Sozialismus ist nicht die Konkurrenz, das Gegeneinander, sondern die Assoziation, die Kooperation, das Miteinander. Wie sollte eine Wirtschaft, die auf gesellschaftlichem Eigentum beruht und in der zentrale Entscheidungen eine wichtige Rolle spielen, unter den Bedingungen eines politischen Konkurrenzkampfes funktionieren? Außerdem - und in diesem Hinweis lag viel Selbstbeschwichtigung angesichts deutlich zunehmender politischer Beunruhigung über die DDR-Zustände - wären die Räume für eine demokratische Ausgestaltung der Verhältnisse in der DDR bei weitem nicht ausgeschöpft.

Was an diesem Satze unwahr ist.

Wie konnte man sich unter solchen Verhältnissen für einen Demokraten halten!? Das frage ich mich heute selber. Zu DDR-Zeiten war ich bei wachsendem politischem Unwohlsein bis  zu systemischen Zweifeln nicht angelangt. Mit Sicherheit aber hätte es nicht mehr lange gedauert. Wenn ich den Satz  "Ich bin ein überzeugter Demokrat" heute  wiederhole, schließt das die bittere Einsicht ein, dass die DDR wie die anderen untergegangenen sozialistischen Gesellschaften vor allem politisch versagt haben, dass sie in den politischen und Persönlichkeitsrechten hinter die bürgerlich-parlamentarische Demokratie zurückgegangen waren, statt, wie dies einer sozialistischen Gesellschaft zugekommen wäre, über sie hinauszuwachsen; dass sie gerade politische sozialistisch-humanistische Ideale in ihr Gegenteil gekehrt hatten.
Diese Perversion zu begreifen und einzugestehen, ist der zentrale Punkt in der Konversion von "demokratischen Zentralisten" zu Demokratischen Sozialisten.
Unwahr an meinem selbstgefälligen Demokratieverständnis war die Ignoranz gegenüber dem entscheidenden: Das zum  dirigistischen Zentralismus in den "realsozialistischen" Ländern entartete politische System war schließlich so ziemlich das Gegenteil von der Marxschen emanzipatorischen Idee der Selbstverwirklichung des Menschen, einer Gesellschaft, in der die freie Entwicklung eines jeden  die Bedingung für die Entwicklung aller ist. Aber es war eben auch die Entartung  einer Marxschen Idee, der Idee des Zentralismus, welche ein untrennbares Moment der Marxschen emanzipatorischen Idee darstellt.
Aus der historischen Mission der Arbeiterklasse, die sich nach Marx nicht selbst befreien kann, ohne die Klassenteilung überhaupt aufzuheben, d.h. ohne die menschliche Gesellschaft insgesamt und für immer von jeder Ausbeutung und Unterdrückung zu befreien, wurde die Legitimation der Diktatur des Proletariats hergeleitet, schließlich als höhere Form der Demokratie ausgegeben, schließlich mit dem Führungsanspruch der Partei verknüpft, aus dem dann nichts anderes wurde als die Herrschaft einer kleinen Führungsschicht, und letztlich die Allmacht des Generalsekretärs.
Aus der "gesellschaftlichen Bewusstheit" im Marxschen Verständnis wurde so grassierender Subjektivismus auf allen politischen Ebenen, dominiert von immer weniger gebremster politischer Willkür der Führung.  Die für Kooperation und solidarisches Verhalten unumgänglich notwendige Komponente eines gemeinschaftlichen Willens, einer aus übergeordneter Sicht zu bewerkstelligenden Koordination degenerierte zu einem hypertrophvierten dirigistischen Zentralismus. Die Aufforderung nach Einsicht in die Notwendigkeit, gemeint als Aufforderung, objektive Umstände zu respektieren, wurde das Gegenteil: die Forderung, sich den Weisungen der übergeordneten Organe zu unterwerfen, die eben am besten wüssten, was notwendig ist.
Aus der (natürlich legitimen) Überzeugung, mit der von Marx begründeten materialistischen Geschichtsauffassung sei endlich nicht nur der Sozialismus aus einer Utopie zur Wissenschaft, sondern eine wissenschaftliche Einsicht in den Gang der Geschichte überhaupt, eine Wissenschaft von der Gesellschaft,  möglich geworden,  wurde  ein absoluter Wahrheitsanspruch, den nicht nur alle Mitglieder der führenden Partei, sondern alle Bürger des Staats zu respektieren hatten, eine kleinliche Zensur und geistige Bevormundung, die in nichts mehr an Marx  und sozialistisches Ideal erinnerten.
Aus der großen Marxschen Entdeckung des Zusammenhangs zwischen der Veränderung der objektiven (vor allem der ökonomischen) Verhältnisse  und der Veränderung menschlichen Verhaltens, eben aus seinem materialistischen Geschichtsverständnis, wurde durch Verkürzung - auch hier gefördert durch wirtschaftliche Zurückgebliebenheit und den Druck äußerer Umstände - ein idealistisches Menschenbild, eine praktische Politik, die zu sehr auf Ideale und zu wenig auf die realen Interessen setzte. Weil die Erwartung, das gesellschaftliche Eigentum werde zu massenhaftem und dauerhaftem Arbeitsansporn führen, sich nicht im erhofften Maße erfüllten, wurde hieraus, in geradezu typisch idealistischer Weise, vor allem Legitimation für mehr "Erziehung" und Administration, nicht aber für grundlegende Veränderungen in den Interessenstrukturen gezogen. Der produktive Aspekt des Zusammenhangs zwischen Ego und Individualität, zwischen Selbstinteresse und Selbstverwirklichung blieb weitgehend verborgen, wurde praktisch vernachlässigt. Dies musste  zwangsläufig zu einer Fehlkonstruktion des gesamten Systems sozialer Triebkräfte führen.
Es war kein geradliniger, aber ein tendenziell deutlich erkennbarer Abstieg. Gewiss waren in den sechziger  Jahren manche politische Praktiken in der DDR restriktiver, die Bevormundung von Künstlern und Wissenschaftlern in vielen Fällen vielleicht gar schlimmer als in den achtziger Jahren unter den Auspizien der Helsinki-Konferenzen.
Im Inneren des Apparates aber wurden die Führungsmethoden tendenziell immer straffer, der zentralistische Dirigismus durchgreifender, die Kontrolle von oben perfekter. 

Bei  Freunden zu Gast

Ich hatte mehrfach Gelegenheit, sowjetische Familien kennen, zu lernen ihr Zuhause, ihre Gastfreundschaft, ihren Alltag, den letzteren allerdings  weniger.  Russen verstehen zu feiern. Ein gut gedeckter Tisch ist ein reich gedeckter Tisch, auf welchem kaum noch etwas Platz hat.   Das Geschirr vom Hauptgericht wird zwar abgeräumt, aber ansonsten bleibt das Essen auf dem Tisch. Obligatorisch auch die vielen Arten von "Sakuski", Eßhäppchen könnte man sagen: Gurken, Tomaten, Fisch, Eier, manchmal Kaviar, und natürlich Brot. Getrunken wird, wie bei offiziellen Empfängen auch bei Familienfeiern, auf Kommando. Das heißt, die im allgemeinen kleinen Gläschen werden alle gefüllt, dann kommt ein Trinkspruch, dann wird ausgetrunken, erzählt, gesungen, nach einer Weile wieder eingeschenkt usf. Natürlich kann man mit dem Trinken auch aussetzen; Gästen männlichen Geschlechts aber wird so was manchmal krumm genommen, vor allem, wenn sie sich gleich zu Anfang zieren. Viele, viele  Stunden kann man so verbringen. Es kommen sehr, sehr viele Stunden zusammen, die ich so erlebt habe. Es ist nicht einfach zu erzählen, wie sie waren,  was und wie über Gott und die Welt, die Bekannten und die öffentlichen Gestalten so zusammengeredet wurde. Kann man sich in unseren Gefilden vorstellen, dass jemand - das konnte ebenso ein junges Mädchen wie ein alter Mann oder ein beinharter Ingenieur sein - plötzlich Gedichte vorträgt; Puschkin zum Beispiel? Das gibt’s nur hier.  Wenigstens soviel: Diese Stunden  gehören zu meinen allerbesten Erinnerungen; und: es gab sie nur in diesem Freundesland.
Übrigens: Wer war nicht schon mal richtig blau? In Russland kam dies vielleicht etwas öfter vor. Aber nie habe ich es in einer  Familienrunde erlebt; niemals, wo Frauen dabei waren, niemals auch  in einem größeren Kreis von Männern. Das waren immer die kleineren Zirkel unter Männern, wo weniger gegessen, dafür im so mehr getrunken wurde. .
Berühmt im ganzen Lande waren die grusinischen Tischsitten. Fand sich in einer Moskauer Runde ein Grusinier, wurde er unbedingt zum "Tamada" berufen. Das ist der Tischherr, der Wortführer. Er ruft die Redner auf, von sich aus, Wortmeldungen gibt es nicht. Wobei er immer ein paar kluge, schmeichelhafte, humorvolle, hintergründige oder auch  bissige Bemerkungen zur Person des Redners macht.
Die Reihenfolge der ersten Toaste aber ist immer dieselbe: Zuerst wird auf die Eltern aller Anwesenden getrunken, dann auf die, "die von uns gegangen sind", dann auf die, "die nach uns kommen werden", dann "auf unsere Brüder und Schwestern", dann "auf alle, die uns nahe sind". Das alles aber nicht in ein paar kurzen dürren Worten, sondern in einer zumindest fünfminütigen, feinsinnigen  Rede, an welcher von vielen über viele Jahrzehnte gedrechselt worden sein muss . Ich habe das mehrmals in Grusinien erlebt. Nach diesem obligaten Teil kommen dann andere Tischsprüche, für die man sich auch mal anmelden kann. Darunter auch richtige Geschichten.

Ein altgrusinischer Fürst hatte eine wunderschöne Tochter. Als sie in die Jahre kam, sagte der Vater zu ihr: Ich werde dir einen Gemahl auswählen. Nein, sagte die Prinzessin, ich habe keine Lust, tausend Jahre zu warten, bis endlich ein gewisser Lenin die Gleichberechtigung der Frau einführt. Ich suche mir meinen Mann selber. Aber der erste beste darf es nicht sein. Ich werde einen Apfel zwischen meine Brüste legen. Und derjenige, der mit einem Schwerthieb diesen Apfel zerteilt, ohne mich zu verletzen, den will ich zum Manne wählen. Der erste kam, verletzte sie zwar nicht, aber unten an der Schale hingen beide Apfelhälften noch zusammen. Er musste sterben. Der zweite hieb den Apfel zwar durch, zwischen den Brüsten der Prinzessin aber perlte ein Tropfen Blutes. Auch er musste sterben. Und deshalb, liebe Freunde, trinken wir auf das Wohl unserer Sicherheitsorgane, die solchen Unfug heutzutage unterbinden.

Ein sehr alter altgrusinischer Fürst versprach, demjenigen seine Tochter zur Frau zu geben, der ein Bild von ihm male, das zugleich schön und wahr sei. Nun war dies aber ein alter Recke, der in seinen vielen Schlachten viel verloren hatte, darunter sein linkes Auge und sein rechtes Bein. Über das Bild des ersten, der um die Hand der Prinzessin warb, und auf welchem das fehlende  Auge und das fehlende Bein zu sehen waren, sagte er: Das Bild ist zwar wahr, aber nicht schön; du musst sterben. Der zweite malte ihn mit zwei Augen und zwei Beinen. Da sagte der Fürst: Das Bild ist zwar  schön, aber nicht wahr; auch du musst sterben. Dann kam einer, der setzte den Fürsten auf ein Pferd, so dass sein rechtes Bein  auf der abgewandten Seite und das linke Auge vom Schild verdeckt waren, den er ihm in die Hand gegeben hatte. Dieses Bild ist wahr und schön, sagte der Fürst. Und deshalb, liebe Freunde, trinken wir auf unseren sozialistischen Realismus in Kunst und Literatur!

Wassja sitzt auf den Treppenstufen des Wirtshauses und weint bitterlich. Kommt sein Freund Wanja vorbei und fragt: Hat man dich wieder mit einem Fußtritt hinausbefördert, weil du randaliert hast?! Nein, nein, sagt Wassja, viel schlimmer! Ach, die Rubelchen sind alle?! Nein, nein, noch viel schlimmer! Jetzt versteh ich gar nichts mehr, sagt Wanja. Dann sagt Wassja: Keinen Durst hab `ich! .

Unerschöflich das russische Reservoir an Wodka-anekdoten. Natürlich kräftig belebt durch die blödsinnigen und verheerenden wirkungen gorbatschowschen Alkojolverbots.

In aller Herrgottsfrühe erscheint ein Dutzend Männer beim Kolchosvorsitzenden Michail Michailowitsch und holen ihn aus dem Bett. Wir sind, sagt Andrej Andrejewitsch, der Anführer der Delegation, die Kommission des Rajonkomitees zur Überprüfung der Erfüllung des Beschlusses über den Kampf gegen den Alkoholismus. Und wir sind auch nicht zufällig hier! Es ist uns nämlich zu Ohren gekommen, per Brief, Telefon und Gerücht, dass Sie, Michail Michailowitsch mit üblem Beispiel in dieser Sache vorangehen sollen. Aber wieso denn, Andrej Andrejewitsch, sagt Michail Michailowitsch, das kann doch nur eine vom Nachbarkolchos ausgestreute Verleumdung sein; ich trinke doch fast nichts! Nun aber genau, Michail Michailowitsch, wie viel ist "fast nichts". Das ist anderthalb Gläschen, antwortet der; die trink ich vor dem Frühstück, nach dem Frühstück, gegen elf, vor dem Mittagessen, nach dem Mittagessen, gegen vier, vor dem Abendessen, nach dem Abendessen - nein! sagt Michail Michailowitsch, ich bleibe bei der Wahrheit:  nach dem Abendessen sind es drei Gläschen. Wenn das so ist, sagt der Vorsitzende der Kommission, dann können wir ja wieder gehen, denn das ist ja völlig normal. Da meldet sich ein anderes Kommissionsmitglied: Wissen Sie, Genossen, ich bin  auf diesem Gebiet sozusagen ein Fachmann, es ist mir hier schon alles passiert, was einem nur passieren kann; nur eines habe ich noch nicht erlebt: dass jemand anderthalb Gläschen trinkt! In der Tat, sagt Andrej Andrejewitsch, wieso gerade anderthalb Gläschen? Nun ja, sagt Michail Michailowitsch, ich bleibe bei der Wahrheit: Mehr ist in einer Flasche nicht drin!. Unerhört, sagt Andrej Andrejewitsch, auf diesen Schreck müssen wir alle sofort drei Gläschen trinken!

Wie konnte das geschehen?

Wie konnte eine große Bewegung, die sich mehr noch als im Besitze der Wahrheit auch als Streiter  für die radikalste humanistische Emanzipation gesehen hat, so versagen? Wie konnten dem so viele Menschen folgen, aus innerer Überzeugung? Und auch viele, die Zweifel hegten, aber sie um des Zieles wegen verdrängten? Oder wenn sie sie nicht verdrängten, um dieses Zieles wegen der Bewegung die Treue hielten?
Annäherungen an eine Antwort hierauf werden wohl nur möglich sein, wenn die objektiven wie die subjektiven Aspekte dieses Vorgangs in ihrem verhängnisvollen Zusammenwirken beleuchtet werden.
"Einheit", "Geschlossenheit" und "starke Führung“ :  Es waren ja nicht nur abstrakte Formeln, sondern auch Reflex realer Vorgänge,  gewichtiger politisch-historischer Erfahrungen, die diesen Begriffen, Bestrebungen, Verhaltensnormen so kräftige Nahrung gaben:
*  In Ostdeutschland bzw. in der DDR war dieser Einheitsgedanke in ganz entscheidendem Maße durch die Erfahrungen mit dem Faschismus ideologisch motiviert worden. "Wenn es die Spaltung der Arbeiterbewegung in SPD und KPD nicht gegeben hätte, wäre der Faschismus nicht zur Macht gekommen" - dieser  richtige Satz wurde millionenfach nicht nur geglaubt, er wurde vor allem auch als Begründung für das politische System der DDR millionenfach akzeptiert. Und letztlich missbraucht.
* Natürlich wirkten die Erfahrungen nach, welche vor allem die Arbeiterbewegung in den Auseinandersetzungen mit dem Kapital gemacht hatte. Die Kraft, die sie in diesen Kämpfen mobilisiert, ist vor allem eine Massenkraft, gegründet auf solidarischem Handeln,  und das kann  auch nicht anders sein. Die Vorstellung, dass nach Überwindung der Kapitalherrschaft dieses "Prinzip der Einheit und Geschlossenheit" die demokratischen Rechte des Volkes selber gefährden könne, war so naheliegend nicht.
* Ein ideologisches Totschlag-Argument gegen alle Bestrebungen innerer Demokratisierung in der DDR war, dass dies angesichts der harten Konfrontation mit dem Weltkapitalismus nur der Gegenseite nutzen könnte. Dies bedeutete aber auch, dass mit der Beendigung des Kalten Krieges, mit der Verlagerung der Systemauseinandersetzung  auf das Feld vornehmlich wirtschaftlichen Wettbewerbs die innere Erosion des politischen System einen neuen kräftigen Impuls erhalten musste. Die Unfähigkeit zu wirklicher Demokratisierung musste dann  unvermeidlich zum Untergang dieser Systeme führen.
* Und natürlich enthielten schon die Marxschen Vorstellungen über den Sozialismus - und keineswegs erst die Leninschen oder gar erst die Stalinschen - wesentliche Elemente von Zentralismus. In jedem Fall bedeutete die Vorstellung, dass in der sozialistischen Gesellschaft an die Stelle der Konkurrenz die Assoziation treten müsse, im politischen Bereich wenn nicht eine hinreichende Rechtfertigung für jegliche Absage an pluralistische Konzepte, an die parlamentarische Demokratie, zu der wesentlich auch die politische Opposition gehört, so  doch zumindest eines der wichtigen Argumente für eine solche Absage. Zentrale Leitung und Planung der Wirtschaft nach einem "einheitlichen Plan" waren ohne jeden Zweifel  Eckpunkte im gedanklichen Sozialismus-Gebäude von Marx und Engels.
* Subjektiv hat eben auch die sozialistische Bewegung es nicht vermocht, Menschen mit soviel Edelmut, redlicher Gesinnung hervorzubringen - vor allem auch: an ihre Spitze zu bringen - die den Verlockungen der Macht widerstanden hätten und die ihnen kraft der objektiven Notwendigkeiten zugestandene Funktionalität nicht als persönliche Macht verstanden, genossen und zur Befestigung dieser Macht nicht auch genutzt hätten. Die Vergreisung der Führungen war sichtbarste Äußerung einer der  markantesten Gesetzmäßigkeiten dieser Gesellschaften; die Ablösung der Funktionsträger  nur durch Tod oder politische Intrigen, schmutzige Praktiken, niemals auf normale demokratische Weise.
Der  Fehler dieses Marxschen Gedankens von der "Diktatur des Proletariats", von ihm für eine Übergangszeit zur schließlich klassenlosen Gesellschaft vorgesehen, bestand darin, dass ihm als Träger dieser Diktatur offenbar Gestalten wie Coriolan oder Sulla vorgeschwebt haben, die auf der Höhe ihrer Macht dann freiwillig zurücktreten und sich vielleicht, wie Sulla, dem Gemüseanbau widmen. Nach "menschlichem Ermessen" konnte aus der selbstbekennenden Diktatur einer Klasse - wenn es so etwas je gegeben haben soll - nur die Diktatur einer Partei und aus der die Diktatur des Führungszirkels nur die Allmacht des Generalsekretärs werden. Die politisch-moralische Degradation war gesetzmäßig.
Was die Marxsche emanzipatorische Idee allerdings nicht vorsah, war, dass dieses so begründete Element von Zentralismus erstens nicht nur für den wirtschaftlichen Bereich gelten, sondern sich auf das gesamte politische System erstrecken würde   - nach Marxscher Vorstellung sollte überhaupt die Herrschaft über Menschen durch eine Herrschaft über Sachen abgelöst werden - und dass es zweitens zu einer Herrschaft der Zentrale über das Volk entarten würde. Vor  dieser Gefahr  hat in der sozialistischen Bewegung vor allem Rosa Luxemburg nachdrücklich gewarnt.
Dieses Eingeständnis  war ohne Zweifel das schwierigste, aber auch das entscheidende auf dem Wege von überzeugten SED-Mitgliedern zu überzeugten demokratischen Sozialisten. Die meisten der ehemaligen SED-Mitglieder sind nach meiner Beobachtung diesen Weg gegangen. Dass sie dies vermochten, rührte daher, dass sie in ihrem Selbstverständnis sich keineswegs als Feinde der Demokratie empfunden hatten. Im Gegenteil, wir glaubten und wiegten uns auch durch eigenes Zutun in der Illusion, einer im Vergleich zur bürgerlichen Demokratie höheren Form der Demokratie anzuhängen, die eigentliche Idee der "Volksherrschaft" zu verwirklichen, was nur unter Bedingungen des Volkseigentums als herrschender Eigentumsform möglich sei .Auf der sozialökonomischen Grundlage gesellschaftlichen Eigentums wäre es möglich wie unbedingt erforderlich, die Interessen der Werktätigen "ungeteilt" zu verwirklichen. Und die "Grundinteressen", d.h. die gemeinschaftlichen Interessen würden eben vor allem durch den "bewussten Vortrupp" der Arbeiterklasse, durch ihre Partei  vertreten, sie seien vor allem Anliegen auch der zentralen Ebene in der Leitung der Gesellschaft. Wobei immer auch betont wurde, dass die Berücksichtigung der "lokalen Besonderheiten", der jeweiligen "konkreten Bedingungen", das tatkräftige Mitwirken der  Basis,  unerlässlich seien.

"Uns geht die Demokratie höchstens  bis an die Knie"

Dennoch war in  den untergegangenen sozialistischen Gesellschaften, in der DDR,   im Bewusstsein vieler Menschen und auch in der Wirklichkeit, die Verbindung zum humanistisch-emanzipatorischen Ideal, zur Freiheitsidee, die wirkliche Demokratie einschließt, nie völlig verlorengegangen. SED-Mitglieder waren keine bekennenden Anti-Demokraten wie die Nazis. Die Vorstellung, dass diese Gesellschaften total zentralistisch gelenkt waren, dass nur auf zentraler Ebene politische Energien wirkten und der Rest des Volkes mehr oder weniger willenlos Ausführende zentraler Weisungen war, war und bleibt eine vereinfachte, irrige Vorstellung.

Basisdemokratische Elemente

Eine der ersten Erklärungen wie Belege hierfür ist die Tatsache, dass es einen Bruch gab im politischen System: An der Basis, auf  den unteren Hierarchie-Ebenen, waren die Verhältnisse ziemlich andere als  auf den oberen. Die direkten dirigistischen Einflussnahmen von oben nach unten reichten im allgemeinen direkt bis zur vor-vorletzten, nicht bis zur letzten Stufe  Auf der untersten Ebene waren die Freiräume für Selbstgestaltung viel größer, wenn allerdings auch in kontrollierten, im allgemeinen aber keineswegs sichtbaren Grenzen. Die Mitglieder der Leitungen der SED wie anderer gesellschaftlicher Organisationen wurden auf den beiden  untersten Ebenen - in der SED bis zur Ebene der Parteigruppen und Grundorganisationen - wirklich von den Mitgliedern ausgesucht, vorgeschlagen und frei und geheim gewählt. Es war nicht üblich, dass übergeordnete Leitungen versucht hätten, etwa vor den Wahl- und Rechenschaftsversammlungen Einsicht in die Berichte der GO-Leitungen oder der Parteigruppenorganisatoren zu verlangen oder Kandidaten zu empfehlen. Ab Kreisebene oder Betriebsebene war alles anders. Die Leitungen, vor allem die Ersten Sekretäre wurden sämtlich vorher von den übergeordneten Leitungen ausgesucht. Damit nicht genug: In den Kreisleitungen gab es ständige, hauptamtlich tätige Beauftragte der Bezirksleitungen, in den Bezirksleitungen entsprechende Beauftragte des Zentralkomitees. In den Kombinaten war der "gewählte" Parteisekretär zugleich "Parteiorganisator des ZK". Selbst Diskussionsredner auf Parteitagen wurden vom Führungszirkel benannt; ihre Beiträge waren vorher den entsprechenden Fachabteilungen vorzulegen.
Wenn solche Basisaktivität auch nicht selten in statistische Schönfärberei nach „oben“ umschlug, äußerten sich in ihr auch wirkliche Selbstbestimmung, schöpferische demokratische Selbstbetätigung, lebendige sozialistische Ideale.  Der DDR-Facharbeiter zum Beispiel war eine in vieler Hinsicht sehr souveräne Gestalt: Sich seiner Fähigkeiten, seiner Unersetzbarkeit (in einem sehr direkten Sinne) bewusst, seines Arbeitsplatzes völlig sicher, in der Gewissheit, dass ihn andere Betriebe jederzeit mit offenen Armen aufnehmen würden, konnte es für ihn übergeordnete starke Autoritäten kaum geben, manchmal auch nicht  die des Meisters.
In vielen der Hunderttausende von "Kollektiven der sozialistischen Arbeit" gab es wirkliche Bemühungen um solidarisches Verhalten, Geselligkeit, gemeinsame kulturelle Erlebnisse. Die Hunderttausende ehrenamtliche Schöffen, Mitglieder von Konflikt- und Schiedskommissionen in den Betrieben und Wohngebieten leisteten eine Arbeit, die von sehr vielen Bürgern hoch geschätzt wurde; die Erfahrungen der gesellschaftlichen Gerichte in der DDR verdienen es möglicherweise, beim Nachdenken über eine weitere Demokratisierung der Rechtsprechung berücksichtigt zu werden.

Die Leiden der mittleren Ebenen

Dieser Bruch im politischen System wurde erheblich durch die Neigung der Führung bedingt - dahingestellt, inwieweit aus wirklicher Überzeugung, aus unbewusst empfundenem moralischem Legitimationsdefizit oder aus praktisch-politischem Kalkül - vorzugsweise "der Basis" Recht zu geben, alle Schuld immer auf "die Leiter" abzuschieben. Von diesem Geiste war offenbar auch die Arbeitsgerichtsbarkeit stark geprägt, und dies ist offenbar auch eine der ausschlaggebenden Ursachen für grobe Abweichungen vom Leistungsprinzip, dafür zum Beispiel, dass ein Meister in der Industrie im Verhältnis zu den Facharbeitern, auch zu vielen ungelernten Arbeitern, ein geringeres Einkommen hatte. Die vor allem von der Führungsschicht, teilweise auch von der herrschenden Theorie, favorisierte Grundbeziehung Führung - Volk (die Hierarchie-Ebenen dazwischen wurden oft von beiden Seiten auch mit Geringschätzung gestraft), verbunden mit der Favorisierung moralischer Motivationen, war  durchaus auch eines der Momente, die die Entfaltung vielfältiger demokratischer Aktivitäten an der Basis begünstigten, förderten.
Dieser Bruch im politischen System hatte zur Folge, dass die Akteure in den  mittleren Hierarchie-Ebenen in einer besonders misslichen Lage waren. Von oben einer strengen Disziplin und Kontrolle unterworfen, von unten oft einem starken Druck ausgesetzt, der keineswegs nach oben weitergegeben werden konnte, mit geringen eigenen Vollmachten ausgestattet und mit Einkommen, die oft niedriger waren als die derjenigen, für die man verantwortlich gemacht war, dafür aber mit (sehr verbreitet auch angenommenen) Moralauffassungen, die Partei- und Staatsdisziplin zu einer der ersten Tugenden erhoben. Der Druck von unten - hier als unterste Ebene in der politischen Hierarchie gemeint - konnte sehr stark sein.
Und schließlich war die "Zentrale" im Lichte des "demokratischen Zentralismus" in den Augen aller, die dieses Prinzip für richtig hielten, mit einer hohen politischen, intellektuellen und moralischen Autorität ausgestattet. Sie wurde nicht ausschließlich als Diktat von oben verstanden. Zum anderen hat die Zentrale keineswegs die eigenständigen, besonderen Interessen der Betriebe als den wirtschaftenden Einheiten aus der Welt schaffen können; sie hat sie vielmehr auf eine eigenartige Weise "verbogen".
Wer sich das politische System der DDR als puren Zentralismus vorstellt, in der Impulse nur von der Zentrale ausgehen und der Rest des Volkes damit beschäftigt ist, die Weisungen der Zentrale auszuführen, hat nicht nur ein vereinfachtes, sondern ein falsches Bild. Die nachgeordneten Einheiten, die Arbeiter im Verhältnis zu den Vorgesetzten, die Betriebe im Verhältnis zur Zentrale,  saßen zwar am kürzeren, aber auch am stärkeren Hebel. Im Interessenaustrag zwischen Betrieb und Zentrale konnte die letztere auf ihr Weisungsrecht setzen, der Betrieb aber nicht nur auf den Informationsvorteil, die genauere Kenntnis der wirklichen Sachlage im Betrieb, sondern auch auf seine Möglichkeit, so zu arbeiten oder auch so. Keine übergeordnete Hierarchieebene konnte erfolgreich sein ohne ein Minimum guten Willens auch der nachgeordneten,. im puren Gegenspiel gegen diese.

Die Macht der informellen Regeln

Dieses politische System funktionierte keineswegs vornehmlich nach den   offiziell verkündeten,  geschriebenen Regeln, sondern vielmehr nach  nicht geschriebenen,  informellen Regeln. Zu ihnen gehörten Überlistungstechniken und -taktiken vor allem der nachgeordneten Ebenen, aber auch ungeschriebene, stillschweigende Übereinkünfte. Kein kluges Arbeitskollektiv hätte seinen Betrieb und keine kluge Betriebsleitung sein Kombinat  in der Planerfüllung letztlich im Stich gelassen. Aber keine kluge Betriebsleitung hätte auch nur ein einziges Mal die unentwegt wiederholte zentrale Aufforderung befolgt,  "alle Reserven auf den Tisch zu legen"; zweimal hintereinander hätte dies ein Leiter in seinem Amte gewiss nicht überlebt.
Diese informellen Regeln  waren nicht einfach illegale Praktiken, sondern ein kluges, realistisches gegenseitiges Arrangement beider Seiten. Es waren aber auch keine Übereinkünfte über ein konfliktfreies Neben- und Miteinander, sondern Spielregeln für eine eigenartige Weise von Interessenaustrag.  Sie hatten bestimmte Eigenschaften eines Pokerspiels, sie funktionierten vor dem Hintergrund der wechselseitigen Drohung, sich auf die formalen Regeln zurückzuziehen: Auf  seiten der übergeordneten Ebene wäre dies die Drohung gewesen, auf der strikten Erfüllung aller zentralen Weisungen zu bestehen; auf seiten der nachgeordneten Ebene wäre dies so etwas gewesen wie eine Androhung der "Arbeit nach Vorschrift", die bekanntlich jeden Betrieb lahm legen kann. Diese informellen Regeln funktionierten, weil eben alle Beteiligten wussten, dass dieses  System nach den formalen Regeln nicht funktionieren konnte. Sie funktionierten auch deshalb, weil dieses wechselseitige Arrangement eben keine Verschwörung gegen das System, gegen die Obrigkeit  war, sondern stillschweigend vereinbarte Regeln darüber, wie man in diesem System zurechtkommen, seinen jeweiligen Interessen irgendwie nachkommen konnte. Dass diese informellen Beziehungen so wirksam waren, erklärt sich auch daraus, dass im allgemeinen auch bewusst für diesen Staat Engagierende sich hier einbringen, aktiv wirken, oft auch den Ton angeben konnten; ein Fremdkörper waren sie in diesen informellen Mechanismen selten.
Das Rückzugsfeld, das man in Offensiven gegen die höheren Ebenen beziehen konnte, nachdem die informellen Regeln aufgekündigt wurden, waren nicht nur die geschriebenen Regeln, das rechtlich-administrative Feld, sondern auch das moralische Feld. Weil eben Ideologie und Moral in dieser Gesellschaft eine außerordentlich große Rolle spielten. Sie war so stark, dass nur charakterstarke Zyniker mit dem Bewusstsein leben konnten, dass diese Moral lediglich politische Instrumentarien zur Dirigierung menschlichen Verhaltens sein könnten. Eben deshalb war es auch möglich, moralische Postulate auch gegen Obrigkeiten geltend zu machen.
In diesen komplizierten Interessengeflechten und  Motivationsfeldern konnten sich sehr unterschiedliche Charaktere, Menschen mit sehr verschiedenen Haltungen und Verhaltensweisen bewegen und erfolgreich sein. Es gab Generaldirektoren mit so rüde-brutalem Auftreten und Verhalten, wie man sich das selbst für kapitalistische Verhältnisse schwer vorstellen kann; sie haben nach der Wende auch sehr schnell das Weite gesucht. Ich kannte aber auch Generaldirektoren, für die das Wort vom "Beauftragten der Arbeiterklasse" keine ideologische Floskel war, die ihre Herkunft auch nicht vergessen und die zu einer großen Zahl von Arbeitern, Meistern ein wirklich kameradschaftliches Verhältnis hatten, wie ich mir das für kapitalistische Verhältnisse auch nicht vorstellen kann. Das verbreitete "Du" in der Anrede über viele Hierarchieebenen hinweg konnte Vertraulichkeit schaffen, aber auch missbraucht werden, den Schwächeren  entblößen, entwaffnen.

Die vielen Geschlossenheiten in der geschlossenen Gesellschaft

In dieser scheinbar so geschlossenen Gesellschaft konnten sich - und sicher ist dies auch ein Beleg dafür, dass der Vorwurf solcher "Geschlossenheit" nicht unberechtigt ist -   in verschiedenen Bereichen (Betrieben, Einrichtungen, im Führungsstil der leitenden Organe der Kreise, Bezirke) ziemlich unterschiedliche interne Gepflogenheiten und Maßstäbe herausbilden und sich über lange Zeit behaupten. Das galt selbst für die Bildungseinrichtungen der SED. Das Dialogpapier der Grundwertekommission der SPD und der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED konnte auf der SED-Seite nur von dieser Einrichtung initiiert, erarbeitet und politisch verantwortet werden. Und nur deshalb, weil diese Akademie eben diesen Rektor hatte. Und selbst in der Akademie konnte es, wie in meinem unmittelbar benachbarten Forschungsbereich, Verhältnisse etablieren und unter der Decke versteckt werden, die sich in nichts  unterschieden von den finstersten Verhaltensmustern im "großen Haus" Der Leiter dieses Forschungsbereichs war wie geschaffen für marktwirtschaftliche Verhältnisse; er ist auch der einzige, der nahtlos in diesen neuen Strukturen unterkam und nach der Wende in der Karriereleiter neue Höhen erklomm.
Es ist eben alles ein wenig komplizierter als es die einfachen Formeln derjenigen weismachen wollen, die heute maßgeblich über DDR-Geschichte befinden und zum Beispiel, wie der renommierte Historiker Hermann Weber, meinen, diese Gesellschaft sei nur durch Angst und Privilegien zusammengehalten worden.
Diese differenziertere Sicht führt keineswegs vornehmlich zu moralischen Erleichterungen für diejenigen, die solcher Erleichterungen vielleicht dringend bedürften. Die Frage bleibt, und sie bleibt ein Vorwurf: Was ist aus sozialistischen  Überzeugungen geworden,  wie konnte es geschehen, dass Ideale zu Losungen und diese zu wirklichkeitsfremden Phrasen verkamen (wie dies der russische Puppenspieler Obraszow einmal sagte), was hat staatsbürgerliches Engagement bewirkt, wie wurde es auch politisch und wirtschaftlich instrumentalisiert, missbraucht?
Die Geschichte, das Gedächtnis der Menschen gehen  mit Verlierern nicht gerecht um. Aber wir haben auch nicht verloren wie Thomas Münzer, wir sind nicht in Ehren einfach der stärkeren Seite erlegen. Ich jedenfalls habe kein gutes Gewissen; und den stolzen Satz Uwe-Jens Heuers  "Ich schäme mich nicht!" kann ich nicht  nachsprechen.
Was ich mir vorzuwerfen habe, ist nicht nur, die  Ursachen für das Scheitern aller Reformbestrebungen nicht erkannt - höchstens vage vermutet - zu haben, die im politischen System lagen, sondern vor allem, dem Demokratieproblem  überhaupt nicht sorgfältig nachgegangen zu sein, eine sich schon seit längerem als irrig und verhängnisvoll erwiesenes Demokratieverständnis nicht frühzeitig genug abgelegt zu haben..

Das Leben im Plattenbau. Der sozialistische Gang im Wohngebiet.

Als ich das erstemal, im kalten Januar 1972, vor dem Wohnblock im Lichtenberger Hans-Loch-Viertel stand, kamen  mir starke  Befürchtungen, ob wir uns hier einigermaßen so wohl fühlen könnten wie bislang in Uhlenhorst (Köpenick-Nord), einer dreigeschossigen Reihenhaus-Siedlung, mit dem Mahlsdorfer Forst gleich um die Ecke, den Vorgärten vor dem Haus und unserer Gartenparzelle hinter dem Haus, direkt vor unserem Schlafzimmer; einem Dorf fast ähnlich, wo zwar nicht jeder jeden, aber viele Leute doch sehr viele andere kannten. Ob man mit sechs Familien einen Hausaufgang teilt oder mit dreißig, ist mehr als ein quantitativer Unterschied. Aber es musste sein. Unsere Familie war mit unserem im Dezember 1967 geborenem Thomas auf sechs Mitglieder angewachsen. Davon die vier jüngsten ziemlich raumgreifend. Dass wir den zwei jüngsten unser kleinstes Zimmer  als Schlafkammer zugewiesen hatten, haben sie uns ziemlich lange nachgetragen. Der Wechsel aus der 2 1/2 - Zimmer -Wohnung in die Fünfzimmer-Wohnung in Lichtenberg war jedenfalls für alle eine Wohltat.
Dass wir in dieser Wohngegend - eng beieinanderstehende bzw. aneinandergereihte zehngeschossige Wohnblöcke mit je vier bis fünf Aufgängen  und je drei Familien je Etage und Aufgang in nachbarschaftliche Isolierung versinken könnten, war natürlich nicht zu befürchten. Es ging  hier alles seinen "sozialistischen Gang" wie anderswo auch. Irgendeiner der Mieter heftete einen Zettel ans Brett: Es treffen sich alle Genossen bei ihm in der Wohnung. Einziger Punkt der Tagesordnung: Einberufung einer Hausversammlung zwecks Gründung einer Hausgemeinschaft und dazugehöriger Wahl der HGL (Hausgemeinschaftsleitung). Nein, das Problem war nicht, dass zu viele SED-Mitglieder in die HGL kamen, sondern - ganz ähnlich wie auch bei der Wahl der Elternvertretungen und Klassenelternaktivs in den Schulen und Kindergärten - dass die genügende Anzahl von Parteilosen für die Mitarbeit gewonnen wurden, worauf jede solcher Leitungen immer großen Wert legte. Die SED-Mitglieder waren eben immer auch leichter zu gewinnen, manchmal mit einiger ideologischer Nötigung, was bei den Parteilosen eben wegfiel.
Das nächste und dringendste Problem war die Schaffung eines Klubraums im Keller. Natürlich durch eigene Arbeit der Mieter. Aber es mussten ja auch die Ausstattung (Tische, Stühle, Schränke und reichlich Geschirr),  die Tapeten und der Fußbodenbelag gekauft werden.
Die ganze Sache wäre nicht möglich gewesen ohne SERO ( so nannte sich der Betrieb für die Erfassung der „Sekundärrohstoffe“),  die Altstoffsammlung durch die Hausgemeinschaft: Flaschen (nicht Bier- und Limonadenflaschen, die auch von der Verkaufsstelle zurückgenommen wurden, sondern Wein-, Sekt und Spirituosenflaschen) und Papier waren die Hauptsammelobjekte, in geringem Umfange auch Textilkien. Zwei- bis dreimal im Jahr kam  dann ein großer LKW von SERO, der alles abholte, was am Abend vorher von vier bis  sieben Leuten in etwa zwei Stunden  aus dem Keller vor den Haueingang gebracht worden war. Vor allem über die Menge der Spirituosenflaschen haben wir  immer wieder staunen müssen. Einnahme pro Ladung 700 - 900 Mark. Von 1980 bis September 1990 wurden von unserer Hausgemeinschaft an SERO geliefert: ca. 21000 Flaschen, 14000 Gläser, 9000 kg Papier, 1350 kg Textilien, 220 kg Blechschrott, 150 kg Plaste, 850 Spraydosen. Für diese Altstoffe wurden in dem o.a. Zeitraum der Hausgemeinschaft 10.120 Mark  von SERO überwiesen. Ergänzt wurde das HGL-Konto durch Überweisungen der Kommunalen Wohnungsverwaltung für die Pflege der Vorgärten und von Prämien für Reparaturen in den Wohnungen. Außerdem hatte die HGL einen Vertrag mit der KWV über die Treppenreinigung (das Entgelt hierfür wurde teilweise, etwa 50 Mark pro Jahr und Familie, an die Mieter ausgezahlt). Jedenfalls hatte unsere Hausgemeinschaft  immer reichlich Geld. Dieses Geld verwandten wir zuerst für die Ausstattung unseres Clubraums. Anschließend richteten wir  einen pico-bello Bügelraum, weiß getüncht,  mit zwei Bügelmaschinen ein; dann einen  Werkstattraum, der mit langer Hobelbank, Kreissäge, einigen Bohrmaschinen und anderen Werkzeugen gut ausgestattet war. Die Idee  für den Werkstattraum hatte ich: Nicht nur, dass zum Beispiel Handbohrmaschinen schwer zu beschaffen waren, sah ich auch nicht ein, weshalb in unserem Hause dreißig Bohrmaschinen vonnöten sein sollten.
Für alle besonderen Aufgaben hatten wir besondere Verantwortliche; vor allem der für den SERO-Keller und der für die Werkstatt Verantwortliche leisteten eine emsige, gewissenhafte Arbeit.
Unsere drei bis fünf Mieterversammlungen im Jahr waren immer gut besucht. Es wurden hier die "gemeinsam interessierenden Fragen“ beraten und einmal im Jahr  der Reparaturplan diskutiert und beschlossen, den wir dann der KWV vorlegten. Vorbereitet wurde dieser Plan durch schriftliche Befragungen jedes einzelnen Mieters vorher; meist handelte es sich um Ersatz von Badewannen, irgendwelcher Armaturen, Fenster- und Balkonanstrich (die von den Mietern ausgeführt wurden, wofür aber anteilig Material vom  KWV-Stützpunkt zur Verfügung gestellt und Prämien aufs HGL-Konto überwiesen wurden). Jede dieser Hausversammlungen endete mit einem längeren geselligen Beisammensein mit Wein, Bier, Kognak, Korn und reichlich Brötchen mit Wurst und Salaten. Einmal ging auch die ganze Hausgemeinschaft zu einem abendfüllenden Eisbeinessen, angeregt durch die Fülle unserer HGL-Kasse.
Einige Veranstaltungen waren auch politischen Anlässen, dem DDR-Geburtstag zum Beispiel, gewidmet. Zum 8. März lud die HGL die Frauen und Mädchen unseres Hauses zu einem kurzen Umtrunk in den Hausclub. Manche Hausversammlungen waren kulturellen Themen gewidmet. Am besten erinnerlich ist mir ein Abend, auf welchem der Altertumsforscher Prof. Hinze aus der 5. Etage und seine Gattin über Ausgrabungen in Sudan berichteten, ein Lichtbildervortrag, der außergewöhnlich interessant war und lebhaft diskutiert wurde.
Die Atmosphäre in diesen Hausgemeinschaften wäre nicht zu verstehen, wenn man nicht in Rechnung stellte, dass hier Menschen aller sozialer Schichtungen zusammenlebten. Meine Wohnungsnachbarn auf der Etage waren ein Lehrerehepaar und eine alleinstehende Verkäuferin; im selben Aufgang wohnten  2 Lokomotivführer, ein Redakteur, mehrere Lehrer, 2 Angestellte von Ministerien, ein Mitarbeiter im ZK der SED, mehrere Rentner, ein Institutsdirektor, u.a. - und fünf Professoren. Die Professoren (zwei Ökonomen, ein Philosoph, ein Altertumsforscher, ein Mediziner) bewohnten fünf der zehn Fünfraumwohnungen. Und das hatte meinen zweitältesten Sohn, von Elternhaus und Schule mit den Ideen von sozialer Gerechtigkeit reichlich versorgt, in einem bestimmten Alter, als er kritische Distanz zu manchem in diesem Staatswesen gewann, ziemlich empört. Der sozial-psychische Abstand zwischen den verschiedenen sozialen Schichten war jedenfalls viel geringer als in dieser BRD; und das wurde auch als ganz normal empfunden. Es war so selbstverständlich, dass mir selber diese Tatdache erst nach der Wende bewusst wurde. Und natürlich war das ein menschlicher, ein sozialer und kultureller Gewinn für alle.
Neben den Hausversammlungen waren die Vorgartenpflege und Hausreinigung, vor allem zum "Frühjahrsputz", die Gelegenheiten, die einen Großteil der Mieter zusammenführte. Jedenfalls kannten sich alle Mieter eines Aufgangs, auch diejenigen, die niemals oder selten sich zu Versammlungen und Hausarbeiten einfanden.  Agitiert wurden nur Genossen; dies geschah zum Beispiel auf zwei kurzen Zusammenkünften der SED-Mitglieder in diesen 18 Jahren, von mir als "Parteibeauftragtem" nur zu dem Zweck einberufen, einigen lieben Genossen ins Gewissen zu reden. Weiteren Aufwand hatte ich in dieser meiner Funktion, in die ich von der Wohnparteiorganisation eingesetzt worden war, nicht.
Hausgemeinschaftsleitungen gab es in allen Hausaufgängen unseres Wohngebiets (je 30 Familien), einen Hausclub in jedem dritten Aufgang (in der Mellenseestraße 1 - 62 gab es 20 Clubräume, sämtlich auf die gleiche Weise angelegt, zum Teil ziemlich komfortabel ausgestattet (mit Holztäfelung versehen und besonderen Toiletten). Heute gibt es natürlich keinen mehr. Ihr Ende wurde lautlos marktwirtschaftlich herbeigeführt: Den Mietern wurde angeboten, diese Räume zu mieten. Aber woher das Geld nehmen, nachdem diese Marktwirtschaft alle finanziellen Quellen der Mietergemeinschaften verstopft hatte,  das famose "Dualsystem"  dem ökologisch, sozial wie auch ökonomisch eindeutig überlegenen SERO-System den Garaus gemacht hatte und die Wohnungsgesellschaften alle Verträge mit den Mietergemeinschaften über Hausreinigung und Pflege der Grünanlagen aufgekündigt hatte. Und die Mieten kletterten schnell. Unsere Miete war bei gesunkenem Familieneinkommen von 124,60 DM per 1.6.1990 gestiegen auf 538,03 per 1.10.1991, auf  601,21 per 1.5.1993, auf 694,19  per 1.11.1994 und auf 758,65 per 1.1.1997.
Die neuen  Wohnungsgesellschaften hatten keine Ähnlichkeiten mit den früheren Kommunalen Wohnungsverwaltungen, wofür die Ober-Wessis auch hier sehr schnell sorgten. Mit ihnen konnte man im Konfliktfall nicht mehr reden wie mit pflichtvergessenen Genossen. Die Hausmeister verwandelten sich über Nacht in Büttel der Vermieter, die zum Beispiel Einladungszettel  zu PDS-Versammlungen sofort entfernten. Erst allmählich zogen einigermaßen normale Verhältnisse ein.
Die Erwartung allerdings, dass die Mietergemeinschaften sich nun alles mögliche gefallen lassen würden, erfüllte sich zum Erstaunen der neuen Herren nicht.

Dieser sozialistische Versuch ist wirtschaftlich gescheitert vor allem aus inneren und aus objektiven Ursachen heraus.

Der Versuch, das wirtschaftliche Scheitern der sozialistischen Gesellschaften  auf eine einzige Ursache zurückzuführen - etwa nur auf subjektives Versagen (die Fehler der Staats- und SED-Führung) oder nur auf äußere Umstände (die hohen Reparationen, die Embargo-Politik des Westens, den Rüstungswettlauf) -  kann m.E. nicht gelingen; so wichtig diese Faktoren auch waren und so notwendig es ist, ihnen  sorgfältig nachzugehen, den subjektiven Fehlern vor allem. Um mehr Klarheit zu gewinnen, scheint es mir notwendig, nicht nur der Vielzahl von Ursachen nachzugehen, sondern  nach den Hauptlinien in diesem Komplex von Ursachen zu fragen, nach den tieferen Ursachen, nach den Abstufungen im Komplex der tieferen Ursachen.
Es gibt  in diesem Ursachenkomplex m.E. mehrere "Schichten" ; ich meine hier keine neben- oder einfach nacheinander anzuordnenden Faktoren, sondern Gruppen von Ursachen in einer "Tiefenschichtung": Jede Ursachengruppe ist zugleich die Hauptursache der zuvor genannten.

Diese Ursachengruppierung erleichtert es mir zugleich, meine heutigen Auffassungen zu diesem Gegenstand mit denen zu DDR-Zeiten zu vergleichen: In den Punkten 1 und 2 habe ich meine Auffassungen nicht geändert, dies aber auch früher deutlich und mehrfach  gesagt; in den Punkten 3 und 4 bin ich heute anderer Meinung.

1. Der Dauermangel - das größte Ärgernis im Alltag und das stärkste Innovationshemmnis.

Der Mangel, d.h. Unterdeckungen des realen Bedarfs an Gütern, Leistungen und wirtschaftlichen Ressourcen -   Angebotslücken bei Waren und Dienstleistungen, akute Knappheit an Arbeitskräften, an Material wie an Ausrüstungen und Baukapazitäten - zurückzuführen auf ein allgemeines  anhaltendes Zurückbleiben des Angebots hinter der zahlungsfähigen Nachfrage, waren  ständige Begleiter des Lebensalltags, des Arbeitsalltags der  Menschen in allen sozialistischen Ländern, die dem sowjetischen Wirtschaftsmodell folgten. Er war das für  die untergegangenen sozialistischen Planwirtschaften charakteristische Marktungleichgewicht von Angebot und Nachfrage; das schlichte direkte Gegenteil des für die kapitalistischen Marktwirtschaften typischen globalen Marktungleichgewichts, dem anhaltenden Zurückbleiben  der zahlungsfähigen Nachfrage hinter dem Angebot, dem Brachliegen von gesellschaftlichem Arbeitspotential und Produktionskapazitäten bei nicht befriedigten Bedürfnissen. Eine Wirtschaftsordnung, die ein dauerndes Gleichgewicht von Gesamt-Angebot und Gesamt-Nachfrage hervorzubringen und beständig aufrechtzuerhalten, vermöchte, ist bislang nicht gefunden worden.
Mit diesem Dauermangel sind  nicht in erster Linie Angebotslücken gemeint, die  auf das  niedrigere technologische Niveau dieser Länder im Vergleich zu den kapitalistischen Marktwirtschaften hätten zurückgeführt werden können;  oder die nur gegen Devisen auf dem freien Weltmarkt hätten erworben werden können, wie Bananen.  Nein, hier sind vor allem Angebotslücken im normalen Sortiment gemeint, soweit dies über die  Waren des Grundbedarfs  hinausreichte. Mal fehlte es an Bettwäsche, mal an Toilettenpapier, mal an Kaffeesahne, mal gab es keine Wohnzimmer, mal keine Schlafzimmer. Besonders sichtbar wurde dieser Mangelzustand, wenn sich jemand etwas vornahm, wofür ein komplettes Sortiment an verschiedenen Waren notwendig gewesen wäre, zum Beispiel beim Bau von Eigenheimen. Ohne Zugang zur Schattenwirtschaft, zum "zweiten Markt", war so etwas überhaupt nicht realisierbar.
Mit diesem Dauermangel ist auch nicht gemeint, dass die materiellen Lebensverhältnisse permanent schlecht waren oder sich nicht verbessert hätten. Das Lebensniveau der DDR-Bürger war ohne Zweifel das höchste in der damaligen sozialistischen Welt und höher als im südeuropäischen Gürtel von Portugal  über Süditalien, Griechenland bis zur Türkei. Es gab keine soziale Armut, keine Arbeits- und Obdachlosigkeit, keine Drogensucht als Massenerscheinung. Sorgfältig wurde von Staats wegen darauf geachtet, dass der Mindestlohn nicht unter die 5o%-Marke der Durchschnittseinkommen sank.
Dieser Dauermangel war nach dem Verlassen der vorwiegend extensiven Entwicklungsphase das entscheidende Hemmnis für wirtschaftliche Leistung und technologische Innovation,  das kräftigste Gift gegen die Überleitung der wirtschaftlichen Entwicklung auf vornehmlich qualitative Wachstumsfaktoren, wie den wissenschaftlich-technischen Fortschritt, rationelle Wirtschaftsorganisation, stärkere innere Motivation der Menschen, "denn Disproportionen, überzogene Anspannungen in den materiellen Verflechtungen zählen zu den Hauptursachen, die den Intensivierungsprozeß, die Effektivitätssteigerung objektiv behindern: Sie  begünstigen nicht den Einsatz des optimalen Materials, sondern dessen, das vorhanden ist; sie wirken nicht auf die im volkswirtschaftlichen Interesse günstigste Bestandhaltung hin, sondern stimulieren die Hortung; sie verursachen ein Übermaß an operativem Verwaltungsaufwand und verleiten zur Vernachlässigung perspektivischer Fragen der Wirtschaftsentwicklung; sie führen zur Verzögerung der Investitionsfristen und der Überleitungszeiten wissenschaftlich-technischer Ergebnisse; sie verursachen Überstunden und gleichzeitig Ausfallzeiten, sie verringern das Interesse am wissenschaftlich-technischen Fortschritt überhaupt; sie verursachen eine gewisse Tendenz zur `Selbstversorgung` der Betriebe - zur Eigenfertigung von Normteilen beispielsweise -  und behindern auf diese Weise die Herstellung rationeller arbeitsteiliger Beziehungen.“[7]
Wie sind dann aber die beeindruckenden technologischen Großprojekte - Atomkraftwerk, Weltraumfahrt, beeindruckende Leistungen in der Metallurgie u.a. zu erklären?
Der sichtbar technologische Fortschritt in den damaligen sozialistischen Ländern blieb weitgehend auf einzelne „Leuchttürme“, wenn zum Teil auch sehr komplexer Natur, reduziert, und war nicht eingebettet in eine  allgemeine technologische Modernisierung der Wirtschaft.
 Der Erfolg auf diesen Gebieten hatte die gleichen Ursachen wie der Erfolg der Industrialisierung, der auf extensive Wirtschaftsentwicklung ausgerichteten Lenkungsmechanismen. Auch für diese Projekte galt der eindeutige Vorrang des Gebrauchswerts (Gebrauchseigenschaften des Produkts, Zeitpunkt der Inbetriebnahme) vor der an Wertkategorien gemessenen Rationalität, der Vorrang des Prestigemoments gegenüber dem Rentabilitätsmoment, der wirkungsvolle Zusammenklang von straffer administrativer Leitung und kräftiger ideeller Motivation, die Neigung zur Gigantomanie. Diese Großvorhaben litten aber auch keineswegs unter der allgemeinen Mangelwirtschaft. Sie konnten deshalb so erfolgreich verwirklicht werden - in einem technologischen Umfeld, das im allgemeinen sich auf deutlich niedrigerem Niveau befand; die Diskrepanz zwischen allgemeinem technologischem Niveau und dem der technologischen Großprojekte war in den sozialistischen Ländern besonders groß -  weil die Kooperationsketten und damit die "Einordnung" dieser Projekte in das volkswirtschaftliche Gefüge reibungsarm funktionierten; auf keinen Fall schlechter - gerade in kritischen Situationen kraft politischer, administrativer und zugleich ideeller Autorität der Zentrale sicher besser - als in den Marktwirtschaften. Das Wort "Einordnen" war auch in der Wirtschaft eines der Hauptwörter. Diese "Einordnung" der zentral gesteuerten Vorhaben funktionierte einfach deshalb, weil diese Großprojekte und ihre Zulieferungen mit Nomenklatur-Nummern versehen wurden, die ihnen im gesamten volkswirtschaftlichen Organismus "Vorfahrt" sicherten. Bis in die kleinsten Verästelungen hinein, bis in den letzten Zulieferbetrieb, bis zur technologisch anspruchsärmsten Zulieferung, hatten diese Merkmale der von extensiver Wirtschaftsentwicklung geprägten Lenkungsmechanismen eine kräftige Wirkung.
Da neue Erzeugnisse, technologische Lösungen in vorhandene Strukturen so schwer oder gar nicht Eingang fanden, ergab sich mitunter folgende Alternative: Entweder auf sie zu verzichten oder sie in neuen Betrieben, erbaut auf der "grünen Wiese", herzustellen bzw. einzuführen. So war der technologische Fortschritt - eigentlich der Hauptfaktor einer intensiv erweiterten Reproduktion - eine zusätzliche Ursache für die Entwicklung der Wirtschaft "in die Breite", für extensive wirtschaftliche Entwicklung. Dies führte wiederum zu noch stärkeren Anspannungen in der Ressourcenlage; die Freisetzung wirtschaftlicher Ressourcen durch technologischen Fortschritt spielte eine relativ geringe Rolle.
Kaum zu glauben, dass es Versuche einer theoretischen Rechtfertigung des Dauermangels hatte geben können. Mit Marx jedenfalls ist dies nicht möglich: Zu seiner Vorstellung von einer sozial gerechten, einer kommunistischen Gesellschaft gehörte unbedingt auch die Vorstellung von einem Überfluss an materiellen Gütern,  einem Leben ohne materielle Sorgen, d.h. auch einem ausreichenden Überhang des Angebots gegenüber der Nachfrage, die dem Wirtschaftsorganismus die nötige Geschmeidigkeit, Flexibilität, verleiht und so ziemlich das Gegenteil ist von dem "Überfluss", der die kapitalistischen "Überproduktionskrisen" hervorruft. "Solche Art Überproduktion ist gleich mit der Kontrolle der Gesellschaft über die gegenständlichen Mittel ihrer eigenen Reproduktion. Innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft aber ist sie ein anarchisches Element."[8]
Die erste theoretische Begründung eines notwendigen "Überflusses" der Nachfrage gegenüber dem Angebot, des Warenmangels also, gab Stalin auf dem XVI. Parteitag  der KPdSU im Jahre 1930. Er wählte auch hier die schlichte Umkehrung kapitalistischer Verhältnisse, des kapitalistischen Marktungleichgewichts, als einen Beleg für die Überlegenheit des sowjetischen Wirtschaftssystems und meinte, dass "das Wachstum des Verbrauchs (der Kaufkraft) der Massen das Wachstum der Produktion überholt und die Produktion vorantreibt, während umgekehrt bei ihnen, den Kapitalisten, das Wachstum des Verbrauchs der Massen (der Kaufkraft) nie Schritt hält mit dem Wachstum der Produktion, sondern ständig hinter ihm zurückbleibt und die Produktion immer wieder zu Krisen verdammt."[9]  In der Tat ist die  Überproduktion  die wichtigste Ursache kapitalistischer Wirtschaftskrisen. Nicht zu übersehen war aber auch zu DDR-Zeiten, „dass dieses Brachliegen wirtschaftlicher Ressourcen den kapitalistischen Marktwirtschaften  andererseits eine Manövrierfähigkeit bei der Einführung neuer Erzeugnisse und Produktionen ermöglicht, die für die sozialistische Planwirtschaft eine echte Herausforderung ist. Die Ergebnisse im ökonomischen Wettbewerb mit dem Kapitalismus werden  in hohem Maße von unserem Vermögen abhängen, wesentlich steilere Einlaufkurven bei der Einführung neuer Produktionen zu erreichen.“ [10]
Noch auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (1956), auf welchem zum ersten Mal ein ernsthafter Versuch unternommen wurde, sich vom Stalinschen Erbe zu lösen, wurde diese Stalinsche These von der  segensreichen  Stimulans des Mangels, des Vorauseilens der zahlungsfähigen Nachfrage gegenüber dem Angebot, wiederholt. Und auch Walter Ulbricht meinte, man müsse die Bilanzen „brechen“, um große Aufgaben zu bewältigen.
Es gab keine größere Veröffentlichung über dieses Thema, in dem ich nicht auf die verheerenden Wirkungen der Mangelwirtschaft und der durch sie hervorgerufenen mangelnden Elastizität, der mangelnden Aufnahmefähigkeit und -willigkeit für technologische Innovationen eingegangen wäre. In diesem Punkte blieb ich allerdings allein auf weiter Flur. Was für jeden Satiriker, Kabarettisten in der DDR der erste und wichtigste Anknüpfungspunkt gewesen ist, was in der belletristischen Literatur ausführlich behandelt wurde – Hermann Kant hat dem Mangelphänomen in der DDR ein besonderes, ein köstliches  Buch gewidmet „Der dritte Nagel“ – wurde weder von der offiziellen Wirtschaftspolitik, noch auch nur von einem meiner Ökonomie-Kollegen aufgegriffen, bestätigt oder irgendwie berührt. Es war höchstens von der „Übereinstimmung von materieller und finanzieller Planung“ die Rede.
Selbst nach der Wende, in den Diskussionen über die Ursachen des wirtschaftlichen Scheiterns der DDR, wurde von namhaften Autoren – namentlich vom früheren Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission der DDR, Gerhard Schürer, noch seinem früheren Stellvertreter, Siegfried Wenzel -  die Mangelwirtschaft als eine der wesentlichen Eigenschaften Ursachen für das wirtschaftliche Scheitern dieses Wirtschaftssystems, als eine seiner wesentlichen Eigenschaften, nicht akzeptiert. Vor allem wird von beiden Autoren die Mangelwirtschaft auf subjektive Ursachen – die unrealistisch hohen Zielstellungen für das Wirtschaftswachstum durch die zentrale Führung  - zurückgeführt. Dass sie auf objektive Interessenstrukturen in dieser Wirtschaft zurückzuführen sind, wird bestritten. Ihre polemischen, gegen mich gerichteten Fragen „Ist Sozialismus eine Mangelwirtschaft?“, „hat die DDR-Bevölkerung schlecht gelebt?“ treffen nicht das Problem.[11] Es geht hier nicht um „den Sozialismus“, sondern um Beschaffenheit und Wirkungen des sowjetischen Wirtschaftsmodells. Es geht nicht darum, ob die Lebensverhältnisse der DDR-Bürger „mangelhaft“ gewesen seien oder nicht, sondern, darum, dass sie für ihr Geld oft nur schwer, manchmal gar nicht das bekamen, was sie wollten.
Diesmal scheint mir die Frage „Was wäre, wenn...“ angebracht und die Antwort sehr aufschlussreich. Was wäre geschehen, wenn es in diesem Wirtschaftssystem  irgendwann doch gelungen wäre, das Angebotsdefizit zu beseitigen, das Angebot (einschließlich der notwendigen "Überproduktion") mit der zahlungsfähigen Nachfrage in Übereinstimmung zu bringen? M.E. wäre dann keineswegs  alles gut geworden, wie es  Gerhard Schürer und Siegfried Wenzel erhofften. Zweierlei wäre geschehen:
Erstens hätte die Wirkung der Antriebskräfte in der Wirtschaft nachgelassen. Die Planwirtschaft sowjetischen Typs bringt nicht nur den Mangel hervor, sie braucht ihn auch, so paradox dies klingt; denn der Druck auf das Effektivitätswachstum wird ja wesentlich über den Widerspruch zwischen hohen Zielsetzungen für das Mengenwachstum einerseits und den Ressourcenbegrenzungen andererseits erzeugt. Das unzureichende Angebot im Verhältnis zur Nachfrage erzwingt einfach hohe Produktionsziele beim Anbieter und Ressourceneinsparungen beim Nachfrager; kann man bestimmte Materialien leichter bekommen, ist auch der Druck nicht mehr so stark, sparsam mit ihnen umzugehen, weil eben  das "innere" Interesse an effektivem Wirtschaften gering ist. Der Mangel war der wirkliche Ausgangspunkt vieler sozialistischer Wettbewerbe. Die konkrete Veranschaulichung des Mangels - der Dringlichkeit, mit welcher der Abnehmer auf  Leistung wartet - konnte solidarische Motive, volkswirtschaftliches Verantwortungsbewusstsein mobilisieren. Die Meinung, dass der Mangel eine Triebkraft im "Sozialismus" sei, bestätigte sich in viel höherem Maße, als dies im allgemeinen, vor allem auch von den Ökonomen, bemerkt und anerkannt worden war; nur eine der kapitalistischen Marktwirtschaft überlegene Triebkraft war er nicht.
Zweitens würde nach einer Verringerung oder Aufhebung der Mangelsituation der planwirtschaftliche Funktionsmechanismus unweigerlich wieder den ursprünglichen Zustand herbeiführen, aufs neue eine Mangelsituation erzeugen; und zwar deswegen, weil er wegen mangelnden Effektivitätsdrucks und -interesses die Hortung an allen Ressourcenarten durch die Betriebe stimuliert. Und diesem Druck und Interesse - darauf hat Kornai hingewiesen - kann die Zentrale, kein noch so engmaschiges administratives System auf die Dauer widerstehen.
Nur eine grundlegende Veränderung im gesamten System ökonomischer Interessen, das vor allem ein eigenständiges ökonomisches Interesse der Betriebe an der effektiven Verwendung wirtschaftlicher Ressourcen hätte einschließen müssen, hätte dem Dauermangel ein Ende machen und die Grundlagen für die notwendige Veränderung des Wirtschaftstyps - von einer vorwiegend extensiven zu einer vorwiegend intensiven Reproduktion - hätte schaffen können.
Welches waren die wichtigsten Folgen des Dauermangels?

* Dauermangel verwandelt die  Wirtschaft in  einen  hartleibige Organismus.

Wieso blieben in der DDR-Wirtschaft in zunehmendem Maße neue fruchtbare Ideen im Bereich der Forschung "hängen", wurden sie nicht oder sehr zögerlich in die Produktion überführt? Es gab Beispiele dafür, dass dringend gebrauchte neue Erzeugnisse in Forschungszentren für den laufenden Bedarf der Industrie produziert wurden und die ohnehin zu geringen Kapazitäten für Erprobung und Musterfertigung blockierten. Dies erklärte die Befürchtungen mancher Leiter in den Kombinaten, dass doch die Forscher nicht noch weitere Innovationen initiieren sollten.
Dies lag daran, dass der vorhandene Wirtschaftsorganismus hartleibig, verspannt war, unelastisch, sich gegen Veränderungen sträubte. Und dieser Zustand war durch den Angebotsmangel allenthalben verursacht. Zahlungsfähige Nachfrage war reichlich vorhanden, am Geld scheiterte in der Wirtschaft kaum etwas. Dies war der unmittelbare Hauptgrund für seine unzureichende Aufnahmefähigkeit für technologische Veränderungen, seine unzureichende Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Markterfordernisse.

* Fortschreitender Substanzverzehr.

Improvisationen, Flickwerk, Aufblähung des Reparatursektors sind zwangsläufige Folgen des Dauermangels. sie waren zugleich eine große Herauforderung für Findigkeit und fachliche Qualifikation für Arbeiter und Leiter. Eine durch hohe quantitative Wachstumsziele und Ressourcenmangel erzwungene Effektivitätssteigerung musste zwangsläufig zu einem fortschreitenden Verzehr  der wirtschaftlichen Substanz, vor allem zur Überalterung der technischen Basis, des Anlagevermögens, führen. Nicht nur deshalb, weil auch Ausrüstungen knapp waren, sondern vor allem, weil die Diskrepanz zwischen hohen quantitativen Wachstumszielen und genereller Ressourcenverknappung  im bevorzugten Verzehr quasi-kostenloser Güter, als welche auch die bereits vorhandene (die "schon bezahlte") technische Basis erscheint,   zu entweichen sucht; sie waren quasi-kostenlos, weil  der Druck auf die Kostensenkung,  auf die Einsparung von Beständen an Produktivvermögen im besonderen, gering waren.. Wenn kein Material vorhanden ist, kann nicht produziert werden, eine Maschine aber kann immer wieder repariert werden. Nicht nur die Unterakkumulation, sondern auch die durch den wirtschaftlichen Lenkungsmechanismus verursachte permanente Vernachlässigung der vorhandenen wirtschaftlichen Substanz behinderten die Entwicklung, qualitative Erneuerung der technischen Basis. Hieraus folgte eine im internationalen Vergleich viel zu niedrige Aussonderungsrate; die sich in der Industrie der DDR bis Mitte der achtziger Jahre auf 1,1 Prozent verringerte, was einer durchschnittlichen Umschlagszeit der Produktionsanlagen von etwa 90 Jahren gleichkäme.

* Stockungen im Fluss der Reproduktion.

Überstunden, Sonderschichten und Arbeitsunterbrechungen wegen fehlenden Materials gehörten zum Arbeitsalltag. Noch größeren Schaden als diese direkten Verluste waren die negativen Wirkungen der unrhythmischen Reproduktion auf die Arbeitsmotivation; der verbreitete  abrupte Wechsel von Stillstandszeiten, Hektik  und Wochenendarbeit war die wichtigste Quelle für den Verfall der Arbeitsmoral, allgemeiner Schlamperei und um sich greifender Resignation. Die im Durchschnitt deutlich niedrigere Arbeitsintensität im Vergleich zu den westlichen Ländern konnte so kaum noch als sozialer Vorteil empfunden werden.

* Dauermangel erzwingt Verschwendung.

Wenn nicht das passende Material vorhanden ist, nimmt man besseres und teureres oder für den Verwendungszweck schlechteres; wirtschaftlichen Verlust bedeutet beides.
Mangelwirtschaft bedeutet keineswegs, dass es in einer solchen Volkswirtschaft insgesamt zu geringe Vorräte geben muss; es ist  das Gegenteil der Fall. Nur befinden sich diese Vorräte nicht gebündelt auf der Liefererseite, bei den Produzenten oder im Großhandel, sondern auf der Abnehmerseite, bei den Verbrauchern. Der Mangel, die Unsicherheit in den Lieferbeziehungen veranlassen die Verbraucher, das und dann zu kaufen, was man möglicherweise gebrauchen kann und wann man es bekommt und nicht nur das, was man wirklich braucht und wann man es braucht. Effektivere Formen moderner Wirtschaftslogistik, die zum Beispiel auf dem "Just-in-time"-Prinzip beruhen (die auch ihre negativen Seiten haben, welche  man in den LKW-Kolonnen auf der Autobahn besichtigen kann), der zeitlich exakten Zulieferung, sind unter diesen Bedingungen nicht möglich. Es hat immer wieder Anläufe gegeben, die Hortung von Beständen zu unterbinden, gehortete Bestände abzubauen; Kontrollaktionen der "Arbeiter- und Bauern-Inspektion" haben regelmäßig den Nachweis erbracht, dass die Bestände "unverhältnismäßig hoch" seien. Im Verhältnis zu üblichen westlichen Standards waren sie sicher viel zu hoch, aber eben nicht im Verhältnis zu den ökonomischen Verlusten, die ein Betrieb erleidet, wenn die Produktion wegen Materialmangels ins Stocken gerät.
Dauermangel, zu geringe Bevorratung führen auch insofern zur Verschwendung, als Produktionsausfälle eine Kettenreaktion ökonomischer Verluste nach sich ziehen. Aufschlussreich hierfür waren immer wieder Presseberichte über die Auswirkungen von Bränden und Havarien in Produktionsstätten oder Lagern. Die hörten sich immer so an, als sei die halbe Volkswirtschaft abgebrannt. Denn es wurde  nicht nur der direkte Schaden in Rechnung gestellt, sondern auch die Verluste, die durch Produktionsausfall beim Abnehmer der Erzeugnisse entstanden; manchmal sogar auch die Verluste, die durch diese Ausfälle in den Anwenderbereichen entstanden. Und dies hatte auch einen Sinn: Nur ein ausreichender Vorrat kann den Schaden auf die Erzeugnisse begrenzen, die durch Brände oder Havarien tatsächlich verloren gingen.

* Unrationelle Wirtschaftsorganisation.

Der Dauermangel machte schließlich alle Anstrengungen zunichte, ein volkswirtschaftlich rationelles System der Wirtschaftsorganisation - der Konzentration, Spezialisierung, Kombination und Kooperation; vor allem die Formierung der wirtschaftenden Einheiten, der Betriebe, betreffend, sowie der materiellen Beziehungen zwischen ihnen - zu schaffen. Gerade hierin wurde, zu Recht, eine der schlimmsten Auswirkungen des Dauermangels gesehen. Er erzwang die Tendenz einer fortschreitenden "Selbstversorgung", der Produktion der wichtigsten Zulieferungen im eigenen Kombinat; dies erzwang eine sich beständig ausweitende Eigenproduktion von Ausrüstungen in den Anwenderbereichen (zum Beispiel Ausrüstungen für die Textilindustrie in den Kombinaten der Textilindustrie) weit über das wirtschaftlich vernünftige Maß hinaus.

* Totale Monopolisierung.

Jürgen Kuczynski hatte die DDR-Wirtschaft treffend als „staatsmonopolistischen Sozialismus“ bezeichnet. Betriebe - genauer: die Anbieter, nicht die Nachfrager - waren in dieser Planwirtschaft Monopole im direkten Sinne des Wortes. Hier ist  die Interessenlage der Betriebe selber  gemeint, und nicht, dass sie einem monopolistischen Eigentümer, dem Staate, gehörten. Der Dauermangel machte  alle Betriebe auf der Anbieterseite, nicht nur die Alleinanbieter zwangsläufig, ohne deren Zutun, zu Monopolen.
Das letztere war das wirklich Entscheidende, die eigentliche Ursache der totalen Monopolisierung. Wenn in einer Stadt die Restaurantplätze bei weitem nicht ausreichen, dann kann sich - ohne dass "Alleinanbieter" oder irgendwelche Monopolabsprachen notwendig wären - jeder Ober gegenüber jedem Gast wie ein Monopolist verhalten, wird jeder Gast in die Position des Abhängigen versetzt. Andererseits wird selbst ein Alleinanbieter um Kunden werben müssen, wenn die Nachfrage geringer ist als das Angebot. Aus diesem beständigen Nachfrageüberhang und der daraus folgenden Tendenz zur Monopolisierung ergab sich auch das chronische Zurückbleiben der Zuliefer- und Ersatzteilproduktion.

* Unter den Bedingungen des Mangels wird der Reichtum des Landes  durch den Außenhandel nicht vermehrt, sondern vermindert.

Nicht nur das Defizit an Importwaren, auch der Satz "Wir exportieren alles, was nicht niet- und nagelfest ist", gehörte in der DDR zum wirtschaftlichen  Alltag. Die anhaltend defizitäre Situation reduzierte die Möglichkeiten, über die außenwirtschaftlichen Beziehungen das verfügbare Nationaleinkommen zu mehren; und dies zunehmend in dem Maße, wie die Bedeutung des technologischen Fortschritts für das Wirtschaftswachstum stieg. Abgesehen von den Behinderungen des technologischen Fortschritts durch den Dauermangel war die drastische Verschlechterung der terms of trade (in gleicher Währung ausgedrücktes Preisverhältnis von In- und Exporten) und das immer stärkere Zurückbleiben des im Inland verfügbaren hinter dem produzierten Nationaleinkommen vor allem in den letzten Jahren der DDR offensichtlich mehr der sich verschärfenden defizitären Situation geschuldet als dem wachsenden technologischen Rückstand. So verhielt sich der Zuwachs des produzierten zum Zuwachs des verwendeten Nationaleinkommens im Zeitraum 1970 bis 1980 1,13:1, im Zeitraum 1980 bis 1988 dagegen 2,9:1.

* Die Versorgungsmängel bedeuteten eine  faktische Minderung des materiellen Lebensniveaus.

Der beständige Überhang der zahlungsfähigen Nachfrage gegenüber dem Angebot hatte schließlich direkt außerordentlich negative Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschen, die direktesten auf ihre Versorgung mit Waren und Dienstleistungen. Die unmittelbare Ursache der Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Gebiet der Konsumgüter und der Dienstleistungen für die Bevölkerung war eine andere als diejenige, die den Dauermangel auf dem Gebiet der Produktionsmittel hervorbrachte und reproduzierte, wobei beide Ursachengruppen einander beeinflussten und sich wechselseitig verstärkten. Die Lücken im Waren- und Leistungsangebot für die Bevölkerung wurden vor allem durch beständiges Auseinanderklaffen zwischen volkswirtschaftlicher Leistung und Geldeinkünften verursacht, das vor allem das Ergebnis der staatlichen Einkommenspolitik war. So stieg das im Inland verfügbare Nationaleinkommen in der DDR 1986 bis 1989 jahresdurchschnittlich um 1,1 Prozent, die Geldeinnahmen wuchsen dagegen um 4,3 Prozent, die Subventionen um 6 Prozent und die Spareinlagen der Bevölkerung  um 6,4 Prozent jährlich. Wenn es notwendig wurde, die Ansätze für einen Fünfjahrplan zu korrigieren, weil der erste Entwurf sich als offenkundig unrealistisch herausstellte, und dies geschah fast regelmäßig, wurden selten die Zielstellungen auf der Konsumtionsseite  herabgesetzt, sondern die Zielstellungen für Investitionen, für die volkswirtschaftliche Akkumulation. Dies geschah immer in der Erwartung, dass das Wachstum des Lebensniveaus eine genügend stimulierende Wirkung auf die Effektivitäts- und Produktionsentwicklung auslösen würden. Diese Erwartungen erfüllten sich regelmäßig nicht; die Regel war eine Übererfüllung der geplanten Verbrauchsziffern und eine Untererfüllung der geplanten Produktionsaufgaben.
Der Dauermangel machte objektiv eine grundlegende Wirtschaftsreform unmöglich.
Eine durchgreifende Wirtschaftsreform wäre nur in Wechselwirkung mit der Beseitigung dieses Dauermangels möglich gewesen. Denn dieser Dauermangel erzeugte objektiv eine Interessenlage, die mit elementarer Wucht das Wirtschaftsgeschehen auf quantitatives, extensives Wachstum fixierte, den Zentralismus in der Wirtschaftssteuerung zementierte.
Wenn zum Beispiel der (zahlungsfähige) Bedarf an bestimmten Materialien, Zulieferungen, nicht vollständig befriedigt wird, dann ist es für den Nachfrager nicht in erster Linie wichtig, dass er qualitativ verbesserte Erzeugnisse erhält, sondern dass er sie überhaupt erhält, und zwar möglichst schnell. Und für den Hersteller gilt das gleiche: Einfach mehr produzieren, "koste es, was es wolle!". Die Interessen beider treffen sich auf der Linie quantitativer Produktionssteigerung, Qualität und Kosten sind dann für beide objektiv sekundäre Größen, wie das staatliche Steuerungs- und Bewertungssystem wirtschaftlicher Leistungen auch beschaffen sein mag. Wie hoch hätte denn die Rate der Produktionsfondsabgabe festgesetzt werden sollen, um unter den Bedingungen des Dauermangels, einer unsicheren Versorgung, die Betriebe von der Überbevorratung abzuhalten?. Wie hätten denn ohne galoppierende Inflation unter diesen Bedingungen Gleichgewichtspreise erreicht werden können? Wie hätten die Elemente des Marktwettbewerbs gekräftigt werden können angesichts der Tatsache, dass dieser Dauermangel faktisch alle Hersteller, ob Alleinanbieter oder nicht, in eine monopolistische Situation brachte?
Die Überwindung dieses Mangels als Voraussetzung für eine durchgreifende Wirtschaftsreform hätte zuerst einmal verlangt, wirtschaftlichen Leistungszuwachs für eine gewisse Zeit nicht in die Konsumtion abfließen zu lassen, sondern für die Auffüllung des im Verhältnis zur zahlungsfähigen Nachfrage zu geringen Angebots einzusetzen. Das aber wäre eine politische Entscheidung gewesen, zu der die Führung angesichts zunehmender Selbstgefälligkeit immer weniger in der Lage war. Ob eine solche Entscheidung ohne soziale, politische Erschütterungen auch umzusetzen gewesen wäre, kann auch bezweifelt werden. Dass in der Ungarischen Volksrepublik die Wirtschaftsreformen zu sozialistischen Zeiten am weitesten vorangekommen waren, liegt sicher auch daran, dass in diesem Lande ein solches Ausmaß des Dauermangels nicht zugelassen worden war. In keinem anderen Lande haben Ökonomen die Ursachen und die verheerenden Folgen der Mangelwirtschaft auch so deutlich benannt wie in diesem Lande (vor allem I. Kornai; siehe: Economy of Shortage, Amsterdam 1980)

2. Die Hauptursache des Dauermangels lag im wirtschaftlichen Lenkungssystem, in den damaligen Interessenstrukturen, welche eine Umsteuerung von Mengenwachstum auf Effektivitätswachstum verhinderte.

Es trifft nicht zu, dass dieses Wirtschaftssystem schlechthin keine in den wirtschaftenden Einheiten wirkenden Antriebe für Effektivitätswachstum aufwies. Allerdings war  Effektivität nicht direktes Ziel, nicht der Angelpunkt dieses Modells; Effektivität war vielmehr der "Notausgang" aus wirtschaftlichen Zwängen, verursacht einerseits durch administrativ (zentral) vorgegebene quantitative Wachstumsziele und andererseits ebenso administrativ vorgegebene quantitative Ressourcenbegrenzungen.  "Die Steigerung der Effektivität der Produktion steht nicht im Mittelpunkt, nicht im Vordergrund des gesamten Planungsprozesses; sie wird  gewissermaßen indirekt erzwungen durch den Widerspruch zwischen hohen Zielstellungen für das quantitative  Wirtschaftswachstum einerseits und der quantitativen Begrenzung der Ressourcen, insbesondere der Arbeitskräfte und der Investitionen, andererseits. Hieraus ergibt sich, dass im `ersten Herangehen` an neue, höhere Aufgaben von vielen Leitungen der Wirtschaftseinheiten immer wieder versucht wird, möglichst große Ressourcen im Plan zugebilligt bekommen. Und erst dann, wenn  diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind und die endgültigen Festlegungen getroffen sind, rücken Fragen der Steigerung der Effektivität in den Vordergrund der Leitungstätigkeit... Angespannte Zielstellungen ausschließlich für das quantitative Wachstum der Produktion rufen zwangsläufig Anspannungen in den materiellen Verflechtungen der Produktion, Nichtübereinstimmung von Angebot und Nachfrage hervor.... Die Verminderung der Anspannungen in den materiellen Verflechtungen der Wirtschaft ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Diesen Prozess wirksam zu fördern muss eines der grundlegenden Anliegen der weiteren Vervollkommnung der Leitung, Planung und ökonomischen Stimulierung sein.“[12]
Das ist aber der springende Punkt: Die Tatsache, dass die Effektivitätssteigerung nicht originäres Ziel der Produktion war, sondern bloß der einzige "Fluchtweg" aus äußeren, administrativen Zwängen, zeugte erstens eine Vielzahl von Möglichkeiten, angeblich gestiegene Effektivität durch Manipulation vor allem der ausgewiesenen Produktionsmenge (Übergang zu materialintensiveren Sortimenten, unverhältnismäßig hoher Preisaufschlag für Qualitätsverbesserungen, Aufblähung der Zulieferungen, um durch Doppelzählungen einen höheren Produktionswert auszuweisen, u.a.). vorzutäuschen. An solche Versuche der Manipulation des Produktionswertes knüpfte eine besonders große Zahl betrieblicher Überlistungstechniken im Interessenaustrag mit der Zentrale an. Und gegen Ende der DDR  war eines der deutlichsten Zeichen der Agonie dieses Wirtschaftssystems, als übergeordnete Leitungen solche Manipulationen  nicht nur zu ignorieren, zu dulden begannen, sondern sie schließlich auch verlangten. Weil dies der Schönfärberei dienlich war.
Dieses Interessensystems brachte folglich ein permanentes globales Marktungleichgewicht,  eine anhaltende Verknappung aller wirtschaftlichen Ressourcen, das ständige Zurückbleiben des Angebots hinter der zahlungsfähigen Nachfrage hervor, die "Mangelwirtschaft" eben.
Die Mangelwirtschaft hatte viele Ursachen: Subjektivistische Entscheidungen auf der zentralen Ebene, welche zusätzliche Aufgaben in die schon angespannten Pläne und Bilanzen hineinzwängten; die Scheu, aus welchen Motiven auch immer, zuzugeben, dass der Verbrauch die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten zunehmend überstieg; dass die Arbeitseinkommen gesamtwirtschaftlich schneller wuchsen als die Arbeitsproduktivität, das Leistungsprinzip nicht so recht funktionierte. Vor allem natürlich die Scheu,  entsprechende Veränderungen einzuleiten. Die wichtigste Ursache aber war die durch das wirtschaftliche Lenkungssystem bestimmte Interessenlage der Betriebe. Gerhard Schürer und Siegfried Wenzel haben sehr anschaulich die politischen Motive, die undemokratische Verfahrensweise und die Wirkungen der illusionären Zielstellungen für das Wirtschaftswachstum dargestellt, wie sie durch das Politbüro beschlossen wurden. Für sie ist das allerdings die einzige Ursache, die im Interessensystem liegenden Ursachen leugnen sie. Deren Benennung hätte allerdings auch eine nähere Analyse des Wechselspiels zwischen zentraler Planung, der Arbeitsweise auch der Staatlichen Plankommission, und den  Betrieben erfordert.

3. Die notwendigen Veränderungen des wirtschaftlichen Lenkungsmechanismus, eine Eigentumsverfassung, die vor allem den Betrieben eine relative wirtschaftliche Autonomie zugestanden hätte, war mit dem politischen System der DDR nicht vereinbar.

Hatte ich zu DDR-Zeiten mich zu  den Punkten 1 und 2  deutlich und wiederholt geäußert, so gilt das nicht für diesen Punkt: Dass das politische System der DDR eine relative Eigenständigkeit der ökonomischen Interessen der Betriebe eigentlich ausschloss, dass folglich auch dieses Wirtschaftssystem nicht reformierbar war - zu diesen Einsichten habe ich mich erst nach der Wende durchgerungen. Ich glaube auch heute noch, dass die Aufgabe jedweder Hoffnung, diesen Sozialismus verbessern zu können, einfach über meine Kräfte gegangen wäre; nur eine "Mutprobe" wäre dies jedenfalls nicht gewesen.
Die DDR  war das erste sozialistische Land, das 1962 mit dem Kurs auf ein "Neues Ökonomisches System" (NÖS) ernsthafte Wirtschaftsreformen begann. Kein anderes sozialistisches Land hatte diese Veränderungen, wegen seines Entwicklungsniveaus und wegen des Versiegens extensiver Wachstumsquellen, auch so dringend nötig gehabt.
 Aus meiner heutigen Sicht ist dieser Reformversuch schon mit der 11. Tagung des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965 faktisch abgebrochen worden, wenn auch noch lange danach vom NÖS oder "ÖSS" ("Ökonomisches System des Sozialismus") die Rede war. Auf dieser 11. ZK-Tagung, die ein "Ökonomie-Plenum" sein sollte, wurde nicht nur eine rigide Kulturpolitik, sondern eine rigide Partei- und Staatspolitik überhaupt eingeläutet, welche vor allem eine Rückentwicklung der sozialistischen Demokratie einleitete. Damit begann keine neue Phase des NÖS, für die diese 11. ZK-Tagung angeblich den Startschuss geben sollte, sondern eine wieder stärkere Zentralisierung auch auf wirtschaftlichem Gebiet..
Sichtbarstes Indiz dafür, dass es auf dem Wege einer  Wirtschaftsreform niemals einen wirklichen Durchbruch gegeben hatte, ist das Schicksal der Idee der Eigenfinanzierung bzw. der "Eigenerwirtschaftung der Mittel". Dies war der Kernpunkt des NÖS von Anfang an. Damit war gemeint, dass für die Betriebe und in ihrer Eigenverantwortung ein geschlossener Kreislauf von der Erwirtschaftung der finanziellen Mittel über deren Wiedereinsatz erreicht werden sollte; d.h. ein ökonomisches Interesse nicht nur über Lohn und Prämien für die Belegschaften, sondern ein ökonomisches Interesse "des Betriebes" als besonderem ökonomischem Subjekt, ein Interesse an hoher Effektivität, ausgedrückt vor allem in der Gewinnentwicklung. Natürlich sollte der Staat die Bedingungen der Gewinnbildung (über die Preispolitik) und der Gewinnverwendung (Normative der Gewinnabführung vor allem) beeinflussen, aber ohne diesen Kreislauf der Erwirtschaftung und Verwendung der Mittel in der ungeteilten Verantwortung des Betriebes zu unterbrechen.
Diese Eigenerwirtschaftung ist zu keiner Zeit wirklich eingeführt worden. Die Investitionsmittel wurden bis zum Ende der DDR (am Schluss etwa zu 80%) zentral vom Staat, über den Plan, verteilt. Das letzte größere Wirtschaftsexperiment in der DDR war das über die "Einführung der Eigenerwirtschaftung" in 16 Industriekombinaten, begonnen 1988.  Und sein Misserfolg zeichnete sich deutlich ab. Der Hauptgrund: Die Zentrale wollte und konnte auch nicht die Verfügung über den Großteil der Investitionen aus der Hand geben. Sie konnte es nicht, weil die sehr starken wirtschaftlichen Anspannungen nach Zentralismus verlangten. Nur eine durchgreifende Veränderung des gesamten wirtschaftlichen Lenkungssystems, des Preissystems,  hätte hier einen Wandel schaffen können.
Dies bedeutet auch, dass das zu DDR-Zeiten in der ökonomischen Theorie, zu großen Teilen selbst in den offiziellen Verlautbarungen gezeichnete Konzept einer Veränderung des Wirtschaftsmechanismus, zu dessen unbestrittenem Schlüsselelement das "Prinzip der Eigenerwirtschaftung" gehörte, niemals verwirklicht wurde. Es liegen folglich auch keine Erfahrungen darüber vor, zu welchen Ergebnissen es hätte führen können.

4. Kann eine sozialistische Gesellschaft kräftigere Antriebe für  wirtschaftliches                     Wachstum und wirtschaftliche Effektivität (in einem engeren Sinne)  entwickeln ?

Es erscheint mir heute nicht zufällig - hier habe ich in der Tat meine früheren Auffassungen korrigieren müssen - dass der Sozialismus keine wirksameren Triebkräfte hervorzubringen vermochte im Vergleich zu den "gewaltigen" („gewalttätigen“) Antrieben, die das Zusammenwirken des inneren Verwertungstriebes und der äußeren Konkurrenz im Kapitalismus ergeben.  Und es ist fraglich, ob dies überhaupt möglich ist. Bei allen Wechselwirkungen zwischen inneren und äußeren, zwischen objektiven und subjektiven Faktoren für das wirtschaftliche Scheitern des Sozialismus scheinen mir die inneren objektiven Ursachen die letztlich ausschlaggebenden zu sein: Die Unfähigkeit, überlegene soziale Triebkräfte für Effektivitätsfortschritt, technologischen Wandel hervorzubringen.
Spätestens seit Joseph A. Schumpeter ist das Mysterium aufgeklärt, weshalb  durchaus nicht Leistungsgerechtigkeit den kräftigsten Ansporn für wirtschaftliche Leitung abgibt:
‘Außerordentliche Belohnungen, die viel größer sind, als notwendig wäre, um eine besondere Leistung hervorzubringen, werden auf eine kleine Minderheit von glücklichen Gewinnern ausgeschüttet, und dadurch wird die große Mehrheit ...  zu viel größerer Aktivität angetrieben, als eine gleichmäßigere und `gerechtere` Verteilung es täte. Diese Mehrheit erhält für ihre Tätigkeit ein sehr bescheidenes Entgelt oder gar nichts oder weniger als nichts und tut doch ihr Äußerstes, weil sie die große Belohnung vor Augen hat und ihre Chancen auf gleichen Erfolg überschätzt.“ ist in seinem 1942 erschienen Buche  „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ zu lesen.
Es ist nicht die Gerechtigkeit, es ist gerade die Unverhältnismäßigkeit der  Belohnungen wie der Bestrafungen, welche dieses Wirtschaftssystem für  wirtschaftlichen Erfolg wie für Misserfolg bereithält, die ihm solche sozialen Energien, solche Durchschlagskraft verleihen. Es ist zum Beispiel die Tatsache, dass ein Arbeiter für mehrfaches unverschuldetes Kranksein auf die Liste der Entlassungskandidaten kommen und in eine katastrophale soziale Lage gestürzt werden kann, die den enormen Leistungsdruck erzeugt; es sind die phantastischen Einkommen von drei, vier Spitzensportlern einer Disziplin, die große Scharen von Sportlern zur Hergabe ihres gesamten Leitungsvermögens anreizen. Es ist einfach die Wucht der sozialen Antriebe, die hier entscheidend sind. Ein Segelboot braucht, um gut voranzukommen, nicht nur einen klugen Steuermann, es braucht auch Wind. Bei allen Unzulänglichkeiten des wirtschaftlichen Steuerungssystems in den untergegangenen sozialistischen Gesellschaften: Der viel schwächere Wind in den Segeln war der entscheidende Grund für ihre schwächeren sozialen Antriebe. „Es nützt uns auch kein noch so widerspruchsarmes System ökonomischer Hebel, wenn es schwach wirkt, wenn die ökonomischen Vorteile oder Nachteile, die effektives bzw. weniger effektives Wirtschaften erbringen, nur gering sind. Soweit der Kapitalismus kräftigere soziale Energien hervorzubringen vermag, liegt es daran, dass hinter seinen primitiven und unsozialen Mechanismen viel mehr ‘Dampf’ steckt als hinter manchen unserer Regelungen. Inkonsequenz in der Verwirklichung des Leistungsprinzips, vor allem die zu schwache Differenzierung und dabei vor allem die besonders schwache ‘negative’ Stimulierung wirken sich hier aus.“ schrieb ich in einem in der Wirtschaftswissenschaft, Heft 11/1988, erschienenen Beitrag.
Es ist auf dem Felde von Wirtschaftswachstum und betrieblicher Effizienz gegen diese Verbindung von Profitsucht und Konkurrenzzwang kein Kraut gewachsen, auch kein sozialistisches. Auch hier hat Albert Einstein recht behalten: „Es ist kein Zufall, dass der Kapitalismus nicht nur Fortschritt der Produktion, sondern auch der Erkenntnis gebracht hat.  Egoismus und Konkurrenz sind (leider!) stärkere Triebkräfte als Gemeinsinn und Pflichtgefühl“. In dem komplizierten Geflecht von äußeren und inneren, objektiven und subjektiven Ursachen für das Versagen der europäischen sozialistischen Gesellschaften waren die inneren objektiven Ursachen sicher ausschlaggebend: Das System wie die Menschen waren offensichtlich durch den Anspruch überfordert, kräftigere, soziale Antriebe hervorzubringen im Vergleich zu den gewaltigen und gewalttätigen Antrieben kapitalistischer Marktwirtschaften. Wer bei aller Notwendigkeit kritischer und selbstkritischer Befragung die Ursache für das Versagen dieser Gesellschaften nur oder in erster Linie in subjektivem Versagen sucht, wird die Lebensleistung  aller derjenigen, die im Vertrauen auf ein gerechteres Gemeinwesen sich für diese DDR einsetzten, ungerecht beurteilen, bürdet ihnen neue Last auf.
Es mag als  eine  Ironie der Geschichte angesehen werden, dass der sozialistische Versuch  vor allem deswegen gescheitert ist, weil er auf dem Felde des  wirtschaftlichen Wettbewerbs sich als unterlegen erwiesen hat; und dies zu einer Zeit, da das Ende der industriellen Wachstumsgesellschaft ohnehin weltweit heraufdämmert.

Ein paar Folgerungen.

Erstens teile ich die Auffassung, dass das Scheitern dieses sozialistischen Versuchs keines der großen Probleme gelöst hat, die heutige Zivilisationskrise ausmachen; dass ich keineswegs nun in einer Gesellschaft angekommen bin, die schlicht den Endzustand menschlicher Gesellschaften, das "Ende der Geschichte" darstellen könnte.  Alle nicht zuletzt  durch die Kapital- und Marktlogik genährten Tendenzen eines unkontrollierten und hemmungslosen exzessiven Wachstums sind in einen Gegensatz geraten zu den notwendigen Veränderungen  wichtiger Tendenzen der Weltentwicklung: Weder die  Beanspruchung von Naturressourcen, die Belastung des Naturhaushalts mit den materiellen zivilisatorischen  Ausscheidungen,  das Artensterben im Tier- und Pflanzenreich, noch die Bevölkerungsentwicklung in der Welt sind in ihren bisherigen Verläufen  fortführbar.
Zweitens.  Es kann nur einen demokratischen Weg zur Bewältigung der Zivilisationskrise geben. Die größte Sünde des realsozialistischen Versuchs war, dass Demokratie, persönliche Freiheitsrechte nicht, wie behauptet, über das in den bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften Erreichte hinausgeführt, erweitert wurden; sie wurden vielmehr erheblich zurückgenommen, eingeschränkt. Dies bedeutet, dass neue Wege gesucht werden müssen, wie gemeinschaftliche Interessen und individuelle Interessen miteinander verbunden werden können mit dem Ziel der weitestgehenden Bereicherung, Verbesserung und Beförderung menschlichen Lebens.
Drittens. Wirkliche Impulse für alternative Wirtschaftssysteme werden kaum aus den geistig-politischen Auseinandersetzungen über neue bessere Gesellschaftsmodelle erwachsen, sondern aus der Artikulierung realer, lebenswichtiger, die weitere Existenz der menschlichen Gattung sichernder Interessen. Mit erstaunlicher und ermutigender Geschwindigkeit wächst die Einsicht, dass es eben "so" nicht weitergehen kann; nachzulesen im Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen von 1987, im Bericht des Club of Rome "Die globale Revolution", im Buch von Meadows und Reinders "Die neuen Grenzen des Wachstums, 1992), in wichtigen Aussagen selbst in der Enzyklika des Papstes "Centesimo annus" oder auch in dem Buch des damaligen amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore "Wege zum Gleichgewicht". Die allgemeine Tendenz, der wichtigste Inhalt dieser Verständigung ist wohl:  Es sind wirkliche Wendungen nötig. "Stabile Entwicklung", "nachhaltige Entwicklung" sind die wichtigsten Stichworte. Natürlich  gehen die Auffassungen über die Ursachen der heutigen Übel und über die Auswege auseinander. Am einleuchtendsten ist immer noch die Marxsche Deutung: Diese Tendenzen der Schrankenlosigkeit, des exzessiven, exponentiellen Wachstums von Produktion wie Konsumtion hat seine tiefsten Wurzeln in der Kapitallogik der maximalen Verwertung des vorgeschossenen Werts.
.Nicht das Ende von Wirtschaftswachstum überhaupt, wohl aber eine "kontrollierte "Entwicklung" ist nötig geworden.. Nur sie könnte eine "nachhaltige Entwicklung" gewährleisten.
Viertens. Es kann m.E. in einer absehbaren Zukunft nicht um die Überwindung der Marktwirtschaft (oder gar um die Abschaffung der Geldwirtschaft) gehen. Die Marktwirtschaft hat sich gravierenden Veränderungen in den wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen vermocht. Die Marktwirtschaften unterscheiden sich von Land zu Land zudem mehr voneinander als die früheren sozialistischen Planwirtschaften sich voneinander unterschieden.
Dringend nötig aber ist eine Verständigung darüber, dass die über Geldkategorien wirkenden Wirtschaftsregulatoren bloße Surrogate, "Stellvertreter" realwirtschaftlicher Vorgänge sind und dass sie diese Stellvertreterfunktionen zu einem großen Teil sehr schlecht, immer schlechter, ausführen, zu realwirtschaftlicher Unvernunft führen. In entscheidenden Fragen - Stoffwechselprozesse des Menschen mit der Natur, Wandel in den Inhalten und Bedingungen der Arbeit, bestimmte Präferenzen in der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse - muss man sich der realwirtschaftlichen Zusammenhänge versichern, von dorther auch die Wirtschaftsregulatoren einstellen Was natürlich auch immer weniger ausreicht; ohne Veränderungen in der Lebensweise und Kultur ist den neuen Herausforderungen nicht zu begegnen. Wird alles und uneingeschränkt der "unsichtbaren Hand" des Marktes überlassen, die nach einem Worte von Adam Smith alle eigennützigen Bestrebungen letztlich für das Gemeinwohl zum besten wendet, wird sie sich  zum Würgegriff formen, der existenzielle menschliche Lebensbedingungen erdrosselt.
Fünftens. Die Planwirtschaften von der Art, wie sie in der DDR existierte, vermochten keine Auswege aus der heutigen Zivilisationskrise zu öffnen. Dieser zentralistische Dirigismus hat im Grunde eine planmäßige Entwicklung der Wirtschaft verhindert. Er hat die Kategorien der Geldwirtschaft (Preis, Kosten Gewinn, Kredit, Zins u.a.) durch eine Flut von Surrogaten in Gestalt subjektivistisch, willkürlich konstruierter "ökonomischer Hebel" ersetzt und damit eine zusätzliche Barriere zwischen realwirtschaftlichen und "geldwirtschaftlichen" Vorgängen errichtet, so dass unverfälschte Informationen über die ersteren kaum noch zu erhalten waren.
Die Idee der Planung aber, nach einem Worte des polnischen Ökonomen Oscar Lange eine ebenso originäre sozialistische "Erfindung" wie die doppelte Buchführung eine originäre kapitalistische "Erfindung" gewesen sei, durch diesen sozialistischen Versuch über alle Maßen diskreditiert, wird im ursprünglichen Marxschen Verständnis wieder praktische Bedeutung gewinnen müssen: Im Sinne von Vorausschau, bewusster, planmäßiger Gestaltung politisch gesetzter Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Entwicklungen. Ich sehe darin auch einen Weg, wie die heutigen Gesellschaften den riesigen Problemberg angehen könnten und müssten, den sie selber aufgetürmt haben.

Das Ende, die Wende

Gewittergrollen.

Das Bild vom heraufziehenden Gewitter, dem Grollen und den Blitzen, die immer näher  einschlagen, der Schwüle und  der bedrückenden Stille, die das herannahende Unheil ahnen und spüren lassen, der Sturm schließlich und die Entladung - dieses Bild vermag wie kein anderes zu verdeutlichen, was mit diesem Gemeinwesen DDR in seiner Endzeit geschehen ist. Ein nicht mehr zu überhörendes Grollen war seit Mitte der achtziger Jahre zu vernehmen. Alle konnten es hören; nur die nicht, die sich die Ohren zuhielten. Jedenfalls hat  dieses Grollen über Jahre und geradezu allmählich-stetig anschwellend  das ganze Land überzogen. Es äußerte sich in einer zunehmenden allgemeinen Gereiztheit. Die konnte sich in öffentlichen Verkehrsmitteln, in der Kaufhalle, in Versammlungen, von denen es zu DDR-Zeiten ja sehr viele und in sehr   verschiedenen Arten gegeben hat, auch auf wissenschaftlichen Konferenzen, äußern.
Das augenfälligste Symptom dieser Veränderungen  war eine Art neuer Selbstbesinnung,  Es waren   neue ungewohnte Einsichten,  der Gewinn, die Artikulierung  persönlicher Souveränität. Es wurden nun Dinge ausgesprochen, die auszusprechen  vordem „sich nicht gehörte“. Die Anti-DDR-Ideologie hat dieses Nicht-Aussprechen  von Widerspruch ausschließlich als   Folge von Unterdrückung gedeutet. „Außer Mami alles Stasi“. Es war vor allem die  Folge einer Selbstzensur, beruhend auch auf  dem Einverständnis der Bevölkerungsmehrheit mit diesem Gemeinwesen. Witze über Erich Honecker gehörten sich eben nicht,  nicht vor allem aus Angst gab es die nicht. Es war die Verinnerlichung dieser Idee von der Einheit, Geschlossenheit...
Und es war die Entdeckung,  dass es viele waren, die anders dachten und es nun aussprachen. „Wir sind das Volk“ war die folgerichtige öffentliche  Äußerung. Die SED-Führung war zu feige und zu dumm, vor allem zu sehr in ihren Dogmen und ihrer Selbstgefälligkeit gefangen, um einer Mehrheit Stimme zu verleihen, die da hätte sagen wollen, „Wir sind das Volk der DDR, das eine andere DDR will“. Sie hat ideenlos, kampflos aufgegeben. Ihr einziges Verdienst, das ihr allerdings von der offiziellen Politik nicht gedankt wurde, war, dass sie  die Friedlichkeit der Wende sicherte.

DDR-Witze.

Politische Witze waren in der DDR ein verbreitetes und beliebtes Medium politischer Verständigung und Unterhaltung. Mittel der Verständigung waren sie auch deshalb, weil  sie Auskunft gaben über den Grad persönlicher Souveränität, wie vorsichtig, vernünftig oder mutig einer war - oder auch nicht. Welche Witze in einem Kollektiv erzählt wurden, gab ziemlich genauen Aufschluss über dieses Kollektiv; nicht in erster Linie über die dort herrschenden Ansichten, sondern darüber, wie vertraut man miteinander umging. An der Akademie wurden Witze nicht im Flüsterton und im engen Kreise erzählt, sondern unbekümmert, in normalem Tonfall, am Mittagstisch, im Akademie-Club vornehmlich. An der Parteihochschule wäre das ganz undenkbar gewesen. Witze  wurden in allen politischen Etagen erzählt. Von einem Oberen einen Witz zu hören, war ein Zeichen besonderen Vertrauens. Umgekehrt, einem Oberen einen Witz zu erzählen, gehörte sich nicht, es sei denn, man war mit ihm politisch auf familiärem Fuße.
Im 40. Jahr der DDR gab es noch mal eine Blütezeit des politischen Witzes. Dies äußerte sich darin, dass nicht nur einzelne Witze, sondern geradezu Witze-Kanonaden kursierten. Das Tempo dieses „Kursierens“ war in der Tat verblüffend. Man konnte ziemlich sicher sein: Zwei Wochen, nachdem man einen solchen Witz zum Beispiel in Berlin aufgeschnappt hatte, brauchte man ihn im tiefen Sachsen oder Thüringen nicht mehr zu erzählen, gehörte er auch dort zu den alten Hüten. Politische Sprüche im 40. Jahre der DDR, nach der Wende  kräftig vermarktet, die ich sämtlich vor der Wende kannte:

Alles ist klar, aber niemand weiß Bescheid
Wir wissen zwar nicht, was wir wollen, arbeiten aber mit ganzer Kraft
Wer schon die Übersicht verloren hat, sollte wenigstens den Mut zur Entscheidung haben.
Initiative ist Disziplinlosigkeit mit positivem Ausgang
Jeder macht, was er will. Keiner macht, was er soll. Alle machen mit
Staatliche Planaufgaben bedeuten: Überbieten ohne zu erfüllen.
Wir kennen zwar den Plan nicht, aber wir bringen das Doppelte
Unser Verstand ist unser Vermögen. Aber Armut schändet nicht.
Wer viel arbeitet, macht viele Fehler. Wer wenig arbeitet, macht weniger Fehler.
Wer wenige Fehler macht, wird prämiiert und ausgezeichnet
Wir sind immer vorn. Wenn wir hinten sind, ist hinten vorn

Spare mit jedem Pfennig, mit jedem Gramm, mit jeder Minute. Egal, was es kostet
Jeder kann werden, was er will, ob er will oder nicht
Früher ging es uns gut, später ging es uns besser. Besser wäre es, wenn es uns wieder gut ginge
Alles wird besser, nichts wird gut

Wir müssen alles tun, um die Menschen zu verwirren; denn befriedigen können wir sie nicht
Vor 40 Jahren standen wir vor einem Abgrund. Heute sind wir einige Schritte weiter

Die Witze waren nicht nur ihrem Inhalte nach ein sehr empfindlicher Seismograf politischer Stimmungslagen, sondern auch in der Art, wie sie erzählt und aufgenommen wurden. Bezeichnend für die Veränderung der Stimmungslage war, dass über diese Sprüche immer weniger laut und ausgiebig gelacht wurde. In besseren Zeiten wurde   über denselben Witz herzhafter gelacht als in schlechteren Zeiten. Das vergessen viele, die nach der Wende DDR-Witze verbreiten. Heute hat der letzte Spruch zum Beispiel eine politisch ganz andere Aussage als zu der Zeit, wo ich über ihn gelacht habe; denn nach der Wende  wird ja ernsthaft behauptet, per Regierungsverlautbarung auch,  dass die DDR-Wirtschaft ein Haufen Schrott gewesen sei, dass in 40 Jahren im Osten Deutschlands nichts geleistet wurde (wenngleich die Leute „natürlich“ alle schwer gerackert hätten). Das ist überhaupt kein Witz mehr.

Euphorie, Betäubung, Verwirrung, Enttäuschung.

Ein Gefühl der Befreiung

„Die Zeiten sind vorbei, wo den Leuten gesagt wurde, was sie zu tun und zu lassen haben“. Das erklärte mir  mit lauter Stimme unser Wohnungsnachbar, Lehrer und in einem Amte für Berufsbildung tätig, SED-Mitglied, den wir bislang nur als freundlichen,  hilfsbereiten und gewissenhaften Menschen kannten. Es war seine  Reaktion auf eine vorsichtige Andeutung, dass sie nun mal wieder an der Reihe wären mit der Reinigung unseres Haustreppenabschnittes. Fast wörtlich genau dieselbe Antwort erhielt ich von einem anderen Hausbewohner, den ich darauf aufmerksam machte, dass er sein Auto nicht direkt vor dem Hauseingang parken dürfe. Und auch meine Erklärung, dass ich einen Lastkraftwagen erwarte, der Sperrmüll abholen sollte, beendete seinen Wutausbruch nicht. Dies waren Reaktionen in der Wendezeit, Februar/März  1990, die ein halbes Jahr vorher und wohl auch ein Jahr später durchaus unüblich gewesen wären.
Wie unterschiedlich die Erwartungen, Befürchtungen der Menschen auch gewesen sein mögen, eines war allgemein: Nervosität, Gereiztheit, neue Hoffnung. Nicht nur die Verhältnisse gerieten aus den Fugen.  Seelischer Druck fiel von vielen Menschen. Wer diese  Dinge nur aus der Entfernung beurteilen kann, mag hier gleich an Bespitzelung, ideologischen Druck u.ä. denken. „Außer Mutti alles Stasi“. Massenhaft handelte es sich aber vor allem um einen psychischen, moralischen, inneren   Druck, daraus resultierend, dass bislang von fast jedem ein bestimmtes Verhalten erwartet wurde, dieses Verhalten wechselseitig auch kontrolliert wurde; und vor allem, dass ihm weitgehend verinnerlichte, moralisch akzeptierte und auch akzeptable  Normen zugrunde lagen. Am meisten waren gerade SED-Mitglieder solchem allgegenwärtigen Druck ausgesetzt. Sie durften beim Frühjahrsputz im Wohngebiet, bei Versammlungen der verschiedensten Art, bei Demonstrationen natürlich auch, auf keinen Fall fehlen.  Und natürlich mussten sie schließlich den Finger heben, wenn wieder einmal eine der unendlich vielen ehrenamtlichen Funktionen zu besetzen waren und sich sonst keiner meldete. Ein Parteiloser wurde nicht freundlich-ernsthaft, mit leicht lauerndem Blick gefragt: Wo warst du denn gestern, ich habe dich in der Hausversammlung nicht gesehen?! Die Gefahr, irgendwelchen Erwartungen nicht zu genügen, war allgegenwärtig. Und wenn in solcher Zeit, da das Abfallen dieses Drucks geradezu körperlich empfunden wird, jemand daher kommt und fragt, ob man nicht den Treppenflur reinigen möchte, kann man durchaus ausrasten.
Nervosität,  bis zu einer Art massenpsychotischer Betäubung eskalierend, ist aber auch absichtsvoll erzeugt worden. Ein Trommelfeuer von Skandalnachrichten über die böse DDR ging auf die Leute nieder. Die Wirkung wahrheitsgetreuer Nachrichten  bestand vor allem darin, dass sie den ungezählten Schauergeschichten Glaubwürdigkeit verliehen. In dieser Zeit wurde dann auch tatsächlich die Mitteilung in einer Sendung des DFF-Studios „1199““, dass das Wasser im Schwimmband der Politbüro-Wandlitz-Siedlung dauernd warm gehalten  wurde, als Skandalnachricht aufgenommen. Vieles ist später in der Versenkung verschwunden, aber seine Wirkung hatte es getan. Die reißerisch aufgemachten Mitteilungen über massenhafte Zwangsadoptionen zum Beispiel oder die Medienkampagne des späteren Innenministers von Sachsen, Heinz Eggert, gegen seinen Arzt in der Nervenheilklinik, der im Auftrag der Stasi gehandelt haben soll. Dieser Herr Pfarrer hielt es nicht für nötig, sich zu entschuldigen, nachdem seine Erzählungen wie Seifenblasen geplatzt waren. Überhaupt: Die Stasi-Hysterie spielte in dieser Betäubungs-Aktion die Hauptrolle.
Diese Betäubung und die Verlockungen der D-Mark erklären wohl in der Hauptsache, dass die Ostdeutschen gar nicht merkten, dass und wie ihnen so manches Fell blitzschnell über die Ohren gezogen  wurde. Kaum jemand nahm wirklich wahr, dass ein politischer Diskurs über die Modalitäten dieses Anschlusses gar nicht stattfand.
Es war eine kurze Zeit der Hoffnung, der Befreiung, des Aufbruchs, in der alte Bedrückungen abfielen und die neuen noch nicht spürbar waren. Die meisten Menschen stellten sich gewiss nicht vor, dass die neuen Freiheiten mit neuen anderen Bedrückungen bezahlt werden müssten. Veränderung glaubten sie, hieß einfach, dass sie ihren Lohn jetzt eben in DM ausgezahlt kämen. Und dass sie nun reisen könnten. Für viele erfüllten sich diese Erwartungen. Der Gedanke, dass man  vielleicht überhaupt keinen Lohn kriegen, dass einem die S-Bahn-Fahrt in die Stadt zu teuer kommen könnte,  kam niemandem.
Die Wendezeit war in Ostdeutschland eine Medien-Hochzeit.  So viel  erfolgreiches Bemühen um Seriosität, Objektivität hatte es nicht nur früher, sondern auch später nicht    gegeben. Die  Ost-Medien in der Wendezeit waren ein besonderes Medienzeitalter. Ich habe keinen Zweifel: Dies war ein Hauptgrund, dass sie so radikal abgewickelt wurden.

Angekommen.

Meine Frau und ich waren 1990 zu einer Kundgebung am Brandenburger Tor, auf welcher u.a. Gregor Gysi und Walter Momper gesprochen hatten. In einem durch dieses Erlebnis entspanntem Gemüt gingen wir die Linden entlang, als an der Ecke Friedrichstraße ein Trupp Polizisten den Mannschaftswagen entstieg und die weiß gestrichenen Sitzbänke  mit ihren Stiefeln zu zertreten begann. Völlig sinnlos. Niemand saß auf diesen Bänken. Wir waren entsetzt. Nein, das ist nicht mehr unsere Volkspolizei. Wir waren in einem anderen Land.
Von unseren Nachbarn erfuhren wir, dass die in den Wohnungen eingebauten Küchenmöbel  mittlerweile abgeschrieben seien, was eine Mietminderung um fünf Mark bedeute. Als ich im Hausmeisterbüro fragte, warum dies nicht allen Mietern mitgeteilt werde, erhielt ich vom Ober-Hausmeister die barsche Antwort, dass die Zeiten der Einheitsmitteilungen vorbei seien. Wer davon nichts erfuhr, zahlt die fünf Mark vielleicht noch immer.  Ich erzählte diesem Wessi, dass noch vor kurzem die HGL einmal im Jahr mit jedem Mieter ein persönliche Gespräch führte über abzusehende Reparaturen, Ersatzbeschaffungen u.a. Da  schaute er mich an wie der Ochs vor dem neuen Tor.
Nach der Wende haben Frauen und Mädchen den Weg vom S-Bahnhof Betriebsbahnhof  Rummelsburg in unser Hans-Loch-Viertel, der an der Bahn entlang führt, von Bäumen, Sträuchern und Grünflächen gesäumt ist, nach Einbruch der Dunkelheit plötzlich gemieden. Das geschah so selbstverständlich wie sie ihn früher gegangen waren. Es verändert sich viel, wenn man plötzlich in ein Land kommt, in welchem die Kriminalitätsrate zehn mal so hoch ist wie in dem, aus welchem man kommt.
1991 war ich in Neubrandenburg, fragte ein etwa neun- bis zehnjähriges Mädchen nach einer Straße. Da stürzte aus dem Hause eine Frau heraus und schrie mich an: „Was wollen Sie von dem Kind?!“ Und zum Kind: „Was wollte dieser Mann?“ Es war helllichter Tag und die Straße belebt. Heute könnte das vielleicht auch nicht wieder passieren. Aber damals war das ein Schlaglicht: Nein, das ist nicht mehr die DDR.
Vor der Wende boten Kinder und Jugendliche Älteren und schwangeren Frauen in öffentlichen Verkehrsmitteln in aller Regel ihren Sitzplatz an;  heute tun sie das in aller Regel nicht.
„Auch Du bist befreit worden“, sagte mir Rudolf Bahro in einem öffentlichen Podiumsgespräch am Berliner Fernsehturm im Dezember 1989, das wir beide bestritten, und klopfte mir kräftig auf die Schulter. Ich habe wohl ziemlich irritiert drein geschaut. Aber er hatte Recht, und ich wusste das damals schon. Nein, diese DDR, in welcher solche Gespräche nicht möglich gewesen waren, wollte und will ich auf keinen Fall wieder haben. Ich habe inzwischen auch Beschränkungen von Meinungsfreiheit in diesem neuen Lande immer wieder erlebt. Aber es gibt sie, und Leute gerade meiner Profession genießen sie geradezu.

„Wendet Euch nicht und haltet den Mund“

Eine Botschaft von Jutta Limbach und Egon Bahr

„Wendet Euch nicht und haltet den Mund“. So hieß die Botschaft, die Frau Justizsenatorin von Berlin,  Jutta Limbach,  und Egon Bahr, Mitglied des SPD-Parteivorstands, auf einem Ende September 1993 von der SPD Marzahn einberufenen Podiumsgespräch an die Adresse ehemaliger SED-Mitglieder richteten. Die früher verantwortlichen SED- und Staatsfunktionäre jedenfalls, so Frau Limbach, sollten nachdenken und sich in der öffentlichen Diskussion besser zurückhalten. Egon Bahr zeigte denen gegenüber ein gewisses Verständnis, die bei ihren Anschauungen geblieben sind, sich nicht „gewendet“ hatten, und sie sollten von ihm aus auch bei ihren Ansichten bleiben.
Die Veranstaltung fand in einem Saale der früheren Parteihochschule „Karl Marx“ der SED statt, in dem ich zu DDR-Zeiten  einigermaßen regelmäßig, zumindest einmal im Jahr, zum Thema „Sozialismus und wissenschaftlich-technische Revolution“ eine Vorlesung gehalten hatte. Zweifelsfrei gehörte ich  zu denjenigen, die Frau Limbach und Egon Bahr gemeint hatten.
Die Frage, ob es nicht  wirklich angebracht wäre, nun den Mund zu halten, war mir in der Wendezeit schon früher gekommen. Nach meiner Beobachtung befolgten etwa neunzig bis fünfundneunzig Prozent der Philosophen, Historiker, Ökonomen, Imperialismusforscher, Kulturwissenschaftler  Soziologen aus DDR-Zeiten (ich habe die Professoren und Dozenten der Akademie für Gesellschaftswissenschaften daraufhin durchgezählt) solchen  Rat oder kamen von allein zu solcher Einsicht. Aus verschiedenen Gründen. Der gewichtigste war wohl, dass sie die erlebte Erschütterung moralisch, intellektuell nicht aushielten.  Und weil sie eben, nicht nur unter der „Gewalt des Faktischen“, zu der Überzeugung gekommen waren, dass diese Auffassungen bis in tiefe Schichten ihres Weltverständnisses hinunter einer gründlichen Revision, in vielem einer entschiedenen Korrektur bedurften. Dies auch noch öffentlich zu tun, kostet eine Selbstüberwindung, die einfach nicht ohne weiteres von jedem eingefordert werden kann. Mutig zu sein, ist eine Aufforderung, die man nur an sich selber, nicht an andere stellen darf.  Jedenfalls muss eine  solche Entscheidung respektiert und nicht mit billigen Ratschlägen begleitet werden; von keiner Seite, auch nicht aus den Reihen der PDS.
Ich jedenfalls konnte beiden Teilen dieser Aufforderung nicht folgen. Die wie eine Selbstverständlichkeit angenommene Unterstellung, Leute wie ich müssten sich doch an die Vergangenheit klammern, sie zurückhaben wollen, war nach meiner Beobachtung auch für die meisten meiner früheren Gefährten einfach falsch.
Den Mund halten, wäre feige gewesen; natürlich auch angesichts der Deutlichkeit und Entschiedenheit, mit der ich mich für dieses Gemeinwesen DDR öffentlich eingesetzt hatte. Meine früheren Hörer und Leser, das, was ich ihnen gesagt hatte,  waren mir immer, auch heute noch,  lebhaft gegenwärtig. Natürlich schöpfe ich Kraft aus der Überzeugung, dass „nicht alles“ an meinen früheren Einsichten falsch gewesen ist: Die  Auffassung zum Beispiel, dass der Mehrwert keine Erfindung, sondern eine Entdeckung gewesen ist, dass die heutige Gesellschaft, wenn sie in der Kapitallogik mit ihrem exzessiven Vermehrungstrieb in Geldverwertung, Ressourcenverbrauch und Konsumtion, mit ihren Ellenbogenmechanismen gefangen bleibt, für die menschliche Gattung existenzgefährdende Entwicklungen bereithält. Und zwar nicht erst in einer fernen Zukunft. Aber geklammert habe ich mich hieran nicht als Hilfen für Verweigerung gegen notewendige  neue Einsichten, Korrekturen in der eigenen Weltsicht.

Das Dialog-Papier von SED und SPD 1987

Dieses Papier wurde von der SPD-Seite gerade dann zurückgenommen, als die innere Erosion in der SED einsetzte, die eine Entwicklung zu innerer Demokratisierung einleitete und die eine wichtige Voraussetzung für den friedlichen Verlauf der Wende war. Dies wurde auf einer Versammlung gleichfalls der SPD Marzahn deutlich, die  für den 19. Mai 1993 zu einer öffentlichen Diskussion über das Thema „Wandel durch Annäherung“ eingeladen hatte. Es sollte darüber beraten werden, welchen Wert diese politische Formel nach der Wende habe, insbesondere für die Bewältigung der anstehenden politischen Probleme vor allem in Ostdeutschland, bis hin zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen frühere SED-Mitglieder in die SPD aufgenommen werden könnten.
Die auf dieser Versammlung  geäußerte Ansicht, dieses Dialog-Papier SPD-SED hätte nur  der schnelleren Herbeiführung der Einheit Deutschlands gedient, indem es dazu beitrug, SED und DDR aus den Angeln zu heben, ist  einfach nicht wahr. Beide Seiten gingen vielmehr von der - aus heutiger Sicht natürlich irrigen - Voraussetzung aus „Unsere Hoffnung kann sich nicht darauf richten, dass ein System das andere ablöst“. Beide Seiten „stimmen darin überein, dass Friede in unserer Zeit nicht mehr gegeneinander errüstet, sondern nur noch miteinander vereinbart und organisiert werden kann. Daraus ergeben sich neue Gemeinsamkeiten im Ringen um den Frieden.“  Dies war das entscheidende gemeinsame Anliegen. In den inzwischen über dieses Papier erschienen Büchern von Rolf Reißig und Erich Hahn ist vor allem vom letzteren Autor dieses Moment herausgehobern worden.
Ich habe nur an einer Beratung beider Seiten,, in der es um das Thema „Gesellschaft- Arbeit - Technik“ ging, mein damaliges Arbeitsgebiet eben, auf der SED-Seite teilgenommenen. An folgenden Diskussionen hätte  ich allein deshalb nicht teilnehmen können, weil ich kein Reisekader war. Es war dafür die erste Zusammenkunft und sie dauerte fünf Tage. Der wichtigste und eindeutige Eindruck auf beiden Seiten war:  Der Versuch, unter den damals anzunehmenden Voraussetzungen nach Wegen zu suchen, die aus dem Kalten Krieg herausführten, die Auseinandersetzung von der Konfrontation auf den Wettbewerb hinführen konnten, war von beiden Seiten ernst und ehrlich gemeint. Dass beide Seiten  auch noch Überlegungen zweiter und dritter Ordnung damit verbanden, war allen wohl bewusst: Auf der SPD-Seite, dass eine gewisse „Aufweichung“ , eine „innere Wandlung durch Annäherung in der SED und DDR“ erreicht werden könnte; auf der SED-Seite, dass ihr Gewicht gegen die borniert-politische Fraktion in der SED gestärkt werden könnte. Aber eine gemeinsame Verschwörung  gegen die SED-Führung, wie ich das aus manchen späteren Verlautbarungen von damaligen Angehörigen der SED-Seite  heraushöre,  war es jedenfalls nicht. Und als Erhard Eppler in seiner Bundestagsrede im Juni 1989 dieses Dialogpapier faktisch zurücknahm, weil es in der DDR nicht die gegenseitig zugesagte öffentliche Diskussion über die Systemschwächen gegeben hatte, war er zwar im Recht, aber er nahm auch das entscheidende Anliegen beider Seiten zurück. In manchen seiner Aussagen erkannte ich den Verhandlungsführer der SPD-Seite in den Diskussionen der Grundwertekommission und der Akademie für Gesellschaftswissenschaften nicht wieder.
Was die SPD damals der SED-Seite zubilligte, hatte sie später der PDS nicht zugebilligt: Dass beide nämlich sich dem humanistischen Erbe verpflichtet fühlen. „Beide nehmen für sich in Anspruch, dieses Erbe weiterzutragen, den Interessen der arbeitenden Menschen verpflichtet zu sein.“ Dies aber ist der springende Punkt, und betrifft keineswegs nur  SED- oder PDS-Mitglieder: Wenn nicht zur Kenntnis genommen wird, dass  politisch-ethische Motivationen vieler SED-Mitglieder, vieler Menschen, die sich für dieses Gemeinwesen  DDR eingesetzt haben, die heute kriminalisierte „Staatsnähe“ bewusst gesucht haben, aus humanistisch-emanzipatorischen Überzeugungen und Absichten erwuchsen, kann es keine Verständigung geben, weil auf der einen Seite das Verständnis der wirklichen Verhältnisse fehlt,  einfach verweigert wird. Diese emanzipatorische sozialistische Idee ist in der DDR verwässert, in wichtigen Punkten zurückgenommen und gar in ihr Gegenteil pervertiert worden; aber sie war nicht ausgelöscht. Die Hinwendung zu einem demokratischen Sozialismus ist für viele frühere SED-Mitglieder die Rückbesinnung darauf, was sie eigentlich gewollt, erstrebt, und was ihnen selbst, wenn auch verwoben mit zweckpolitischen Thesen, im Parteilehrjahr vermittelt wurde.  Die Chance, an diese sozialistisch-humanistischen Bewusstseinsinhalte anzuknüpfen und auf diesem Wege ehemalige SED-Mitglieder zu sich herüberzuziehen, wurde von der SPD natürlich ausgeschlagen. Solche miserable Haltung konnte mich jedenfalls in meiner Haltung  nur bestärken, die Empfehlung von Limbach und Bahr in beiden Teilen auszuschlagen.

Die getäuschten Wende-Aktivisten.

Diejenigen, die eine bessere DDR, einen besseren Sozialismus wollten, waren  in der Wendezeit am Anfang voller Hoffnung, setzten alle ihre Kräfte ein.  Aber sie wurden überfahren. Aus dem Hinterhalt, wie von einer Dampfwalze. Daniela Dahn: „Wir gehen unverzüglich dazu über, den Augiasstall selbst auszumisten. Und ahnen nicht, dass da längst finanzstarke Kräfte am Werk sind, die den Stall so schnell wie möglich mit allem Inhalt kaufen wollen. Weil der Mist erstens den Wert mindert und zweitens bestens dazu geeignet ist, ihn uns ein Leben lang vor die Nase zu halten. Und weil umgekehrt ein reiner Tisch und Fußboden Forderungen provozieren könnten, doch auch vor der eigenen Haustür zu kehren.“[13] Die nach der Wende öfter zu hörende bitter-ironische Bemerkung, dass die DDR nicht 16, sondern 64 Millionen Einwohner gehabt haben müsse - 16 Mio Opfer, 16 Mio Täter, 16 Mio Widerständler, 16 Millionen Mitläufer - ist im entscheidenden Punkte durchaus treffend: Die in den Medien und von den Obrigkeiten verbreiteten Urteile über die Meinungen und Haltungen der DDR-Bewohner folgen genau dieser Einteilung. Eine Gruppe fehlt: Überzeugte Sozialisten, die sich für dieses  Gemeinwesen DDR abrackerten.
Erstens stimmt es nicht, dass die Mehrheit der Ostdeutschen sich vom Sozialismus losgesagt hatte und die DDR einfach weghaben wollte. Heute mag man es als eine schier unglaubliche Nachricht aufnehmen, zu der Zeit als es gesagt wurde, hätte niemand etwas daran gefunden: Noch am 19. November 1989 sagte der spätere letzte DDR-Ministerpräsident, Lothar de Maizière in einem Interview mit Bild am Sonntag: er „halte den Sozialismus für eine der schönsten Visionen menschlichen Denkens... Wenn Sie glauben, dass die Forderung nach Demokratie zugleich die Forderung nach Abschaffung des Sozialismus beinhaltet, dann müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir unterschiedlicher Auffassung sind“.
Nicht vor, sondern erst während und nach der Wende haben sich die Ostdeutschen mehrheitlich von DDR und Sozialismus abgewandt. Dies war wesentlich auch das Werk der inszenierten Anti-DDR-Hysterie. Belegt ist dies durch Befragungen im Dezember 1989, in denen  sich  eine deutliche Mehrheit selbst für die weitere eigenständige Existenz der DDR ausgesprochen hatte. So sprachen sich Anfang Dezember 1989 73 Prozent der Befragten für die Souveränität der DDR aus, 71 Prozent wollten an der grundsätzlichen Idee des Sozialismus festhalten, 27 Prozent waren für einen gemeinsamen Staat mit der BRD. In einer anderen Umfrage Ende Dezember 1989 sprachen sich 69,2 Prozent der Befragten für eine Vertragspartnerschaft  und die gleichzeitige Souveränität beider deutscher Staaten aus, 55,7 Prozent waren für eine europäische Föderation mit der DDR als selbständigem Staat, 14,3 Prozent für eine Föderation mit der BRD und der DDR als Bundesland, 9,2 Prozent für eine bedingungslose Angliederung an die BRD. (Berliner Zeitung v.19.12.1989, S. 3 und v. 4.1.1990, S. 3). Die Stimmungslage und das Meinungsbild in der Bevölkerung änderten sich sehr schnell im Dezember 1989/Januar 1990. Das Verlangen nach der Vereinigung wurde immer deutlicher und nachdrücklicher artikuliert; die Einstellung auf den Eilgang in der Vereinigungspolitik vollzog sich in Wechselwirkung mit dieser Stimmungsänderung. Nur kam dieser Stimmungswandel eben nicht allein „von innen“, sondern ist erzeugt worden. Das Winken mit der „harten Mark“ und  das Verschweigen der Risiken waren letztlich ausschlaggebend.
Zweitens hat sich nach der Wende, auch durch die erschlagende Macht des Faktischen, die Absage an DDR und Sozialismus zwar gewiss verbreitet, zugleich aber hat es  auch wieder einen Pendelausschlag zur mehr freundlichen Bewertung der DDR und einer kritischeren Bewertung der Verhältnisse im bürgerlich-kapitalistischen Deutschland gegeben, die nicht minder eindrucksvoll ist. Das belegen vor allem die offensichtlichen Ernüchterungen über die segensreichen Wirkungen der Marktwirtschaft:

Was an sozialökonomischen Verhältnissen in der  DDR nach ihrem  Anschluss                   bewahrenswert gewesen wäre.

Die Überrumpelungspolitik war erfolgreich: Jegliches Nachdenken darüber, ob auch manches an DDR-Eigenschaften in die deutsche Einheit hinübergenommen werden könnte, wurde ausgeschaltet.  Es hat keine politische Verständigung, keinen öffentlichen Diskurs darüber gegeben, was an sozialen, ökonomischen Strukturen der DDR unter marktwirtschaftlichen Verhältnissen überlebensfähig gewesen wäre und mit sozialem wie wirtschaftlichem Vorteil in das vereinigte Deutschland hätte übernommen werden können und sollen.
Natürlich war mit dem Entscheid über den  Anschluss der DDR an die BRD auch der Entscheid für den Übergang zur Marktwirtschaft und zur Privatisierung des Großteils der volkseigenen Wirtschaft in den neuen Bundesländern untrennbar verbunden. Und natürlich gab es für diesen historisch einzigartigen Vorgang des Übergangs einer vor allem auf Staatseigentum beruhenden Planwirtschaft zu einer überwiegend auf Privateigentum beruhenden Marktwirtschaft keine praktisch verwertbaren Erfahrungen. Natürlich hätte nichts  so bleiben können, wie es gewesen war. Gleichzeitig aber hätte überlegt werden müssen, wie diese sozialökonomischen Veränderungen durchzuführen wären, um die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen überlebensfähige wirtschaftliche Substanz zu erhalten. Dies hätte einschließen müssen,  einzelne Elemente der sozialökonomischen Verhältnisse in der DDR so umzugestalten, dass ihre wirtschaftlich und sozial rationelle Substanz auch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen hätten bewahrt, in mancher Hinsicht gar entfaltet werden können. Damit wären zweifellos auch manche Anstöße für eine „Modernisierung“ der Bundesrepublik möglich gewesen.
Es hat für eine solche Verständigung auch große Bereitschaft gegeben; vor allem hätten hierfür auch  die politischen und geistigen Energien genutzt und vermehrt werden sollen, die mit der Wende vor allem im Osten Deutschlands freigesetzt worden waren. Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Institute haben eine Fülle von Analysen über die wirtschaftliche und soziale Situation angestellt und sehr viele Ideen entwickelt, wie der Anpassungs- und Umstellungsprozess in Ostdeutschland am besten zu verwirklichen sei. Es wurde alles in den Wind geschlagen.

Ausgeschlagene Pluralität der Eigentumsformen

Die Grundsatzentscheidung für Marktwirtschaft und Privatisierung des Großteils der volkseigenen Wirtschaft hätte nicht mit einer so rigiden, d.h. totalen und forcierten Privatisierung verbunden werden müssen. Pluralität der Eigentumsformen - darunter öffentlichen (Bundes-, Landes- und kommunales Eigentum), genossenschaftliches Eigentum - hätte den Umstellungsprozess der ostdeutschen Wirtschaft auf marktwirtschaftliche Bedingungen wesentlich erleichtern können und wäre mit erheblich geringeren ökonomischen Verlusten verbunden gewesen
Marktwirtschaft ist durchaus mit einer Vielfalt von Eigentumsformen vereinbar. Dass öffentliches Eigentum wirtschaftlich grundsätzlich dem Privateigentum unterlegen, weniger effektiv bewirtschaltbar sei, ist ein Vorurteil. Da Privateigentum zum Großteil heute auch nicht mehr individuelles, sondern „korporatives“ Eigentum ist, da Staatseigentum andererseits mit gleichen Rechtsformen  ausgestattet werden kann, sind vom Management wie von den Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung her die Unterschiede zwischen öffentlichem Eigentum und dieser Art privaten Eigentums geringer als oft angenommen wird. Eine Vielfalt von Eigentumsformen - Privateigentum, öffentliches Eigentum des Bundes, der Länder und Kommunen, genossenschaftliches Eigentum - hätte das Grundprinzip der Marktwirtschaft, den Wettbewerb, eher gefördert als behindert. Und es hätte hier  im Vergleich zur rigiden Privatisierung nicht größerer, sondern geringerer Anstrengungen bedurft, um eine solche „Mischwirtschaft“ herbeizuführen.
Öffentliches und genossenschaftliches Eigentum haben neben dem Vorteil, dass sie demokratischer Kontrolle und Mitwirkung eher zugänglich ist, auch einen wirtschaftlich und sozialen Vorteil, der vor allem beschäftigungspolitisch sehr bedeutsam ist: Ein privater Anleger investiert  nicht in Realkapital, wenn ihm die durch den herrschenden Zinsfuß plus Risikoaufschlag bestimmte Mindestrendite nicht sicher ist; er zieht dann Geldanlagen vor; vor allem hieraus resultiert - in Wechselwirkung mit der Staatsverschuldung - die zunehmende Flucht des Kapitals in Geldvermögen. Öffentliche und genossenschaftliche Betriebe können demgegenüber auch unterhalb dieser Mindestrendite wirtschaften. Sie bringen zudem dem Staat Steuereinnahmen und ersparen ihm die Kosten für Arbeitslosigkeit. Vor allem in Ostdeutschland hätte ein größeres Gewicht von öffentlichem Eigentum das Ansteigen der Arbeitslosigkeit erheblich abbremsen können.

Landwirtschaft

Soziale Chancengleichheit wie wirtschaftliche Vernunft hätten die Gleichbehandlung der verschiedenen Eigentumsformen in der Landwirtschaft geboten. Der Wille der Mehrheit der ehemaligen LPG-Mitglieder, an gemeinschaftlichen Bewirtschaftungsformen festzuhalten; die im Einigungsvertrag festgelegte und durch das Bundesverfassungsgericht bekräftigte Respektierung der Ergebnisse der Bodenreform hätten erlaubt, die in der ostdeutschen Landwirtschaft vorhandenen vorteilhaften, lebensfähigen Wirtschaftsstrukturen  in Grenzen zu erhalten. Sie wurden zum großen Teil dem Mythos vom „bäuerlichen Familienbetrieb“ geopfert.
Die Landwirtschaft der ehemaligen DDR hätte, bei entsprechendem Konzept der Strukturanpassung recht gut in der Lage sein können, in relativ kurzer Zeit den Übergang zur Marktwirtschaft unter den Bedingungen der EG-Agrarpolitik zu vollziehen: Reduzierung der Betriebsgrößen durch Aufteilung vieler überdimensionierter LPG, VEG (Volkseigene Güter), Zurücknahme der künstlichen Teilung von Pflanzen- und Tierproduktion, Abbau des meist zu hohen Arbeitskräftebesatzes, Modernisierung der Landtechnik, bessere Vermarktung der Produktion u.a. hätten auf der Grundlage einer erreichbaren weitgehend optimalen Betriebsgrößenstruktur (von mehreren hundert bis über 1000 ha) in einer absehbaren Zeit zu ertragreichen Wirtschaften führen können. Jedenfalls hätte die Landwirtschaft der ehemaligen DDR im Verhältnis zur Industrie die Kosten der Einigung Deutschlands weit weniger belasten müssen. Was die Betriebsgrößenstruktur betrifft, befindet sich die ostdeutsche Landwirtschaft in einem deutlichen und ökonomisch sehr bedeutsamem Vorteil gegenüber der Landwirtschaft der Altbundesländer. Dieser Vorteil kann sehr schnell verspielt werden,  und die Politik der Bundesregierung und er EU läuft darauf hinaus.
Im Wirtschaftsjahr 1988/89 betrug die durchschnittliche Betriebsgröße der etwa 320.000 landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe in der BRD 32 ha; diese weit unter dem wirtschaftlichen Optimum liegenden Betriebsgrößen sind die Hauptursache dafür, dass die staatlichen Subventionen für die Landwirtschaft seit langem deutlich schneller steigen als die Neuwertschöpfung und sie inzwischen auch überholt haben. An diese vorteilhaften Ausgangsbedingungen der Landwirtschaft in der ehemaligen DDR wurde jedoch in keiner Weise angeknüpft; ein ihnen gerecht werdendes Konzept der strukturellen Anpassung an marktwirtschaftliche Erfordernisse wurde nicht entworfen; es wurde vielmehr die agrarpolitisch modifizierte Version marktwirtschaftlicher Euphorie - dies ist die Glorifizierung des  einzelbäuerlichen Familienbetriebes - zum Leitbild agrarpolitischer Überlegungen und Maßnahmen in Ostdeutschland gemacht: Es wurde einfach erwartet, dass die LPG wie Kartenhäuser von selbst zusammenbrechen und sich aus ihnen massenhaft neue Familienbetriebe bilden würden, und diesem Prozess sollte kräftig nachgeholfen werden. Es gehörte sicherlich zu den herbsten politischen Enttäuschungen nicht nur für die Bundesregierung, dass ein sehr großer Teile der früheren LPG-Mitglieder keineswegs die Absicht hatten, zur Einzelbauernwirtschaft zurückzukehren. Sicher verdienten Wiedereinrichter die nötige Hilfe und Unterstützung, aber nicht durch eine Benachteiligung anderer Eigentumsformen, vor allem der Nachfolgeinrichtungen der ehemaligen Genossenschaften.

Wirtschaftlich leistungsfähige Kommunen

Eine besonders reiche Vermögensausstattung der ostdeutschen Kommunen wäre wegen der Dominanz des Volkseigentums in der DDR möglich und für die wirtschaftliche Fundierung kommunaler Selbstverwaltung, für die wirtschaftliche Gesundung in Ostdeutschland dringend erforderlich gewesen. Diese Chance wurde absichtsvoll nicht genutzt.
Die lt. Einigungsvertrag fortgeltende Bestimmung des DDR-Kommunalvermögensgesetzes v. 20.7.1990, wonach ehemaliges volkseigenes Vermögen, das von den Kommunen verwaltet wurde bzw. der Erfüllung kommunaler Selbstverwaltungsaufgaben dienten, den Kommunen kostenlos zu übergeben sei, wurde eingeschränkt, zum Teil zurückgenommen und zögerlich verwirklicht.
Der Umstand, dass viele Einrichtungen, die faktisch kommunalwirtschaftliche Leistungen verrichteten, für die Erfüllung kommunaler Selbstverwaltungsaufgaben unentbehrlich sind, zu DDR-Zeiten nicht in der Verwaltungshoheit der Städte und Gemeinden lagen, wird genutzt, um die eindeutigen Bestimmungen des Kommunalvermögensgesetzes, des Treuhandgesetzes und des Einigungsvertrages zu unterlaufen. Zu DDR-Zeiten waren die meisten Sportplätze, Kindergärten, Polikliniken, Kulturhäuser und Berufsschulen Einrichtungen der Betriebe, nicht der Kommunen. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie sämtlich und unverzüglich den Kommunen zu übertragen, soweit sie dies wünschten, und sie nicht, wie dies teilweise geschehen ist, als Teil betrieblicher Privatisierungsmasse zu veräußern. Das gleiche gilt für viele kommunalwirtschaftliche Leistungen - Energieversorgung, Wasser- und Abwasserwirtschaft, öffentlicher Kraftverkehr u.a. - die von zentral bzw. bezirksgeleiteten Kombinaten erbracht wurden.
Zu Recht haben Repräsentanten des Städtetages darauf hingewiesen, dass die Treuhandanstalt den ihr übertragenen Kommunalisierungsauftrag im Vergleich zum Privatisierungsauftrag arg vernachlässigte.
Ein direkter Bruch des Einigungsvertrages wie des Kommunalvermögensgesetzes, die eine kostenlose Übertragung von Volkseigentum in kommunales Eigentum vorsehen, ist die Belastung dieser Vermögensobjekte mit „Altschulden“ in Höhe von insgesamt 6,3 Mrd. DM, hergeleitet aus Baukrediten zu DDR-Zeiten für  Kindereinrichtungen, Altenheimen u.a. Mit diesen Altschulden werden in nicht wenigen Fällen Kommunen genötigt, entweder überhaupt keine Anträge auf Vermögensübertragung zu stellen, was deren Privatisierung oder gar Schließung zur Folge hat.
Ein besonderes  Kapitel in der Benachteiligung der Kommunen bei der Vermögensneuordnung war der sog. „Stromvertrag“, den die Treuhandanstalt am 23. August 1990 mit drei großen westdeutschen Energieunternehmen - Bayernwerke AG, PreußenElektra, Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat - abgeschlossen hatte und der diesen Konzernen den Mehrheitsanteil an den großen Braunkohlenkraftwerken wie den Hochspannungs-Übertragungsleitungen übereignete. Faktisch bedeutete dies, dass den ostdeutschen Kommunen eigene Energieerzeugungsanlagen verwehrt wurden. Aufschlussreich ist, dass in der Alt-BRD fast alle Großstädte, insgesamt etwa zehn Prozent der Kommunen, eigene Stadtwerke betreiben. Dies hat vernünftige Gründe. Nicht nur, dass solche Stadtwerke eine bedeutende Einnahmequelle der Kommunen darstellen, sie ermöglichen auch eine billigere und ökologisch viel günstigere Art der Energieerzeugung, die den modernen Entwicklungstrends auf diesem Gebiet viel mehr gerecht werden. Während nämlich die Großkonzerne auf zentralisierte Energieproduktion in Großkraftwerken setzen, zu denen natürlich auch die (in einem gewissen Umfang natürlich unverzichtbaren)     landschaftszerstörenden Überlandleitungen gehören, ermöglichen Stadtwerke eine mehr dezentrale Energieerzeugung; ihr entscheidender wirtschaftlicher und ökologischer Vorteil ist die Wärme-Kraft-Kopplung, die Verbindung von Energie- und Heizwärmeerzeugung, was in den zentralisierten Großkraftwerken natürlich nicht möglich ist.

SERO

Die Modernisierung und Umstellung des Altstofferfassungssystems der DDR -       SERO,  das war  ein Betrieb für die Erfassung von Sekundärrohstoffen - auf marktwirtschaftliche Bedingungen, seine weitgehende Kommunalisierung, hätte eine im Vergleich zum Dualen System effektivere Lösung des Erfassungs- und Recyclingproblems gestattet und hätte möglicherweise der Ausgangspunkt für seine bundesweite effektivere Bewältigung  werden können. Überlegungen, die es bis ins Bundesumweltministerium hierzu gab, wurden ohne sachliche Begründungen schnell wieder fallengelassen.
„Unglaublich, aber wahr und trotz manch vollmundiger gegenteiliger Versprechungen von politischer Seite hat sich in Ostdeutschland das weltbeste System der Sekundärrohstofferfassung verabschiedet,“ schrieben Horst Henn, Detlef Ihlo in der Wochenpost 52/1991. Gewiss sei das SERO-Sytem vornehmlich auf Rohstoffgewinnung in der rohstoffarmen DDR gerichtet gewesen und mehr indirekt auf ökologische Aspekte - so spielte die umweltgerechte Entsorgung eine sehr geringe Rolle - nichtsdestoweniger hatte dieses System auch eine große ökologische Bedeutung, wurde es „eine Art kultureller Institution“. Es stand „für Aufheben, gegen Wegwerfen“ und damit für Verhaltensweisen, „die in westlichen Ländern erst mühsam erlernt werden müssen“  (Ingo Preußker in der Wochenpost 32/1991). SERO war ein flächendeckendes Netz, auf je 1000 Einwohner kam eine Annahmestelle, wobei ausnahmslos alle Annahmestellen - dies war einer der bedeutendsten Vorzüge von SERO gegenüber dem westdeutschen Recycling - eine arten- und sortengerechte Trennung der Altstoffe vornahmen. Dadurch konnte die Müllmenge je Einwohner um 70-75 kg wertvoller Rohstoffe vermindert werden. In der BRD flossen lediglich 20 kg je Einwohner in den Stoffkreislauf zurück, d.h. mit dem SERO-System wurde, bezogen auf das vorhandene  Aufkommen, sechs- bis achtmal soviel Müll vermieden und wiederverwendet wie mit dem westdeutschen Recyclingmodell. Es ist folglich sehr verständlich, dass der damalige Bundesumweltminister Töpfer mehrfach sich für den Erhalt, die Modernisierung dieses SERO-Systems aussprach. In einer am 14. Juli 1992 der Presse vorgestellten Studie des Soziologischen Instituts der Humboldt-Universität wurde mitgeteilt, dass bei einer repräsentativen Umfrage unter Berliner Haushalten das SERO-System als die beste Lösung für das Haushaltsmüllproblem bezeichnet wurde, weil es nicht, wie das jetzige System, den Leuten Geld abverlange, sondern ihnen welches einbrachte und weil es ein klares, mit nachvollziehbaren Informationen versehenes Konzept der Aufbereitung und Wiederverwendung gewesen sei.
Die „Anbindung an die Kommunen“ hätte ein aussichtsreicher Weg sein können, das, was vom SERO-System übriggeblieben ist, zu retten, in modernisierter, marktwirtschaftlichen Bedingungen angepasster Gestalt wieder zu beleben.

Polikliniken.

Es hätte geprüft werden müssen, wie das System der Polikliniken in der DDR, die gewiss in den meisten Fällen einer dringenden Modernisierung bedurften, unter den veränderten Bedingungen ihre Aufgaben hätten erfüllen und ein wichtiges Element eines modernen Gesundheitswesens hätten werden können.
Niedergelassene Ärzte haben für die Ärzte selber und vor allem für die Patienten ihre Vorteile. Und die DDR-Polikliniken hatten auch nicht geringe Mängel. Auch hier konnte es nicht um das einfache Entweder-Oder gehen.  Zu verurteilen ist der rigorose, in diesem Ausmaß und in dieser Weise nicht gerechtfertigte  Abbau der Polikliniken.
Auf der einen Seite sind ihre Vorteile einfach unübersehbar; die weit überwiegende Zahl der Ärzte wie der Patienten wollten sie behalten. Eine Umfrage noch Anfang 1992 hatte ergeben, dass 92 Prozent der Ostdeutschen und sogar 68 Prozent der Westdeutschen für den Erhalt der Polikliniken waren. Inzwischen waren aber von den ursprünglich über 2000 ambulanten Einrichtungen der DDR nur 439 übriggebliebenen, davon sind die meisten Ein-Mann-Praxen; nur in sage und schreibe 48 Polikliniken arbeiteten noch mehr als zehn Ärzte zusammen.
Dies ist nicht einmal ein Sieg der Marktwirtschaft, die, wenn allzu pur auf sie gesetzt wird, gerade im Gesundheitsbereich großen sozialen Schaden stiften kann. Es ist vor allem der Sieg einer Ideologie, die sich in Ostdeutschland eben gegen den mehrheitlichen Willen sowohl der Patienten wie der Ärzte politisch durchsetzen, sich auch über wirtschaftliche Erwägungen hinwegsetzen konnte. Wie für den Bundeslandwirtschaftsminister der bäuerliche Familienbetrieb, so war für den Bundesarbeitsminister der niedergelassene Arzt das Leitbild einer freiheitlichen Ordnung: „Der niedergelassene Arzt wird künftig auch in den neuen Bundesländern die zentrale Figur unseres freiheitlichen Gesundheitswesens sein“ (Berliner Zeitung v. 12. 12. 1990, S. 3).
Die Vorteile der Polikliniken wurden weitgehend übereinstimmend darin gesehen, dass Fachärzte mehrerer Disziplinen, spezialisierte medizinisch-technische Labors,  zugleich aber auch Pflege- und Beratungsdienste  unter einem Dach zu finden waren, wodurch für den Patienten kurze Wege entstehen, die Ärzte sich erforderlichenfalls gegenseitig konsultieren können. Die heute schon sehr teure und zunehmend teurere Technik kann besser genutzt werden, wird dadurch überhaupt oft erst erschwinglich. Gesundheitszentren erleichtern außerordentlich das Aufsuchen von Fachärzten. Außerdem: „Die großen Probleme bei der Betreuung chronisch Kranker, in der Rehabilitation, insbesondere auch in der Geriatrie, zeigen, dass das Einzelpraxensystem der medizinischen Entwicklung in vielen Bereichen nicht mehr gerecht wird.“ Auch aus Kostengründen ergäbe sich, „dass sich die ostdeutschen Gesundheitszentren sowohl unter medizinischen als auch unter ökonomischen Gesichtspunkten im Mainstream innovativer Entwicklungen befinden,“ war aus dem   Interview mit dem Gesundheitsforscher Wilhelm F. Schröder in der  Wochenpost v. 17. Juni 1992 zu erfahren.

Ende 1994 befanden sich nur  noch 10 Prozent der in der ambulanten Versorgung (nicht in Krankenhäusern, Heil- und Kuranstalten tätigen) Ärzte in diesem „Hauptstrom“; der weitaus größere Teil, in der allgemeinen Verunsicherung zusätzlich verunsichert durch eine nur bis 1995 bemessene Bestandsgarantie für Polikliniken im Einigungsvertrag, eingeschüchtert auch durch  Vorwürfe der Kassenärztlichen Vereinigung, in den Polikliniken sei „der sozialistische Teufel los“, aber auch durch deren handfeste Drohung mit dem Entzug der Zulassung, falls Polikliniken in gemeinnützige Trägerschaft überführt würden. Verleitet durch Banken und Firmen für Medizintechnik, genötigt durch finanzielle Benachteiligung, haben viele Ärzte  sich in Riesenschulden gestürzt, Ärzte, die aufgeben und in Rente gehen, müssten oft mit 1200 DM monatlichem Einkommen rechnen, hieß es in einer Untersuchung aus dem Jahre 1996.

Widersprüchliche Erfahrungen.

Als Konsumenten erlebten die Ostdeutschen den Umbruch als schlagartigen, buchstäblich von einem Tag zum anderen vollzogenen Austausch der Warenwelt. Am Wochenende vor dem Stichtag Währungsunion, dem 1. Juli 1990, waren nicht nur die Schaufensterauslagen, sondern auch die Regale von DDR-Waren  geräumt und durch „Westwaren“ ersetzt worden, nachdem schon  einige Wochen vorher ein Schlussverkauf der DDR-Waren begonnen hatte.
Dies war nicht nur die Erfüllung eines sehnlichen Wunsches des Großteils  der Bevölkerung. Es war auch eine sehr überzeugende Vorführung marktwirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, eine wirtschaftslogistische Meisterleistung. Soweit es die marktnahen Bereiche betrifft - nicht nur den Einzelhandel, sondern auch die ihm vorgelagerten Vertriebssysteme, ferner die Banken, Sparkassen und Versicherungen - erlebten die Ostdeutschen den Einzug des westlichen Kapitals keineswegs als das Sich-Nähern eines „scheuen Rehs“, sondern eher als eine Dampfwalze: Massiv, kräftig, alle vorhandenen Strukturen vor sich niederwerfend.
Natürlich machten die Ostdeutschen regen Gebrauch von der neuen Konsumwelt. Bereits bis September 1990, zwei Monate nach der Währungsunion., hatten 21% der Haushalte einen neuen PKW gekauft. Im Frühjahr 1993 betrug der Anteil der nach der Wende erworbenen Verbrauchsgüter in den ostdeutschen Haushalten bei Autos  und Farbfernsehern 52%, bei Waschvollautomaten 49%, bei Kühl-/Gefrierschrank-Kombinationen 63 5, bei Videokameras 94%, bei Personalcomputern 83% und bei Telefonen 56%.
Ganz anders erlebten die Ostdeutschen die Wende als  Produzenten und Dienstleistende, eben als Arbeitende, nämlich als  einen wirtschaftlichen Absturz und damit als einen massenhaften Absturz in die Arbeitslosigkeit, für den es in diesen Ausmaßen in der Geschichte gleichfalls kein zweites Beispiel gibt. Betrug die Industrieproduktion im Monat vor der Währungsunion (Juni 1990) noch 86,5 % derjenigen des gleichen Vorjahresmonats, so im Monat nach der Währungsunion (August 1990) nur noch 48,1 % des Vorjahresmonats. Es war ein plötzlicher Absturz, eine Halbierung der Produktion von einem Monat zum anderen.
Die Zahl der Erwerbstätigen ging in Ostdeutschland von 9,5 Millionen im I. Quartal 1990 auf 6,1 Millionen im II. Quartal 1993 zurück. Die Zahl der Industriebeschäftigten je 1000 Einwohner sank von 132 im Jahre 1990 auf 47 im Jahre 1993. Die Zahl der Industrieforscher verringerte sich von 86000 Ende 1989 auf 16000 Ende 1993.  In der Landwirtschaft ging die Zahl der Beschäftigten gleichfalls um vier Fünftel zurück.
Auf dem Tiefpunkt der Deindustrialisierung - 1992 – war die Industrieproduktion ca. auf 31 Prozent gegenüber 1989 gesunken. Nicht nur in Friedenszeiten, nein, auch in Kriegszeiten hat es seit Beginn der Neuzeit einen solchen wirtschaftlichen Absturz nicht gegeben: Im ersten Nachkriegsjahr nach dem 1. Weltkrieg (1919) betrug die industrielle Produktion Deutschlands gegenüber dem letzten Vorkriegsjahr (1913) 57%;  im ersten Nachkriegsjahr (1946) nach dem 2. Weltkrieg in Ostdeutschland 42 % gegenüber dem letzten Vorkriegsjahr (1938); die tiefste Wirtschaftskrise in Deutschland führte zu einem Rückgang der Industrieproduktion auf 59% (1932 gegenüber 1928).1989 waren 26% der in der Industrie Beschäftigten in Betrieben mit jeweils über 5000 Beschäftigten tätig; drei Jahre später gab es Betriebe dieser Größengruppe in Ostdeutschland gar nicht mehr.

Überzeugungen in Zeiten des Umbruchs

Unerhörter Mut und unerhörte Feigheit

Dies sagte im März 1996 Andrè  Brie über Hermann Axen anlässlich einer öffentlichen Vorstellung des Buches von Harald Neubert über dessen Nachwende-Gespräche mit diesem  früheren  ZK-Sekretär  der SED für Außenpolitik. Und freimütig sagte Andrè  Brie von sich selber, auch er wäre feige gewesen. Er sei aber entschlossen, nicht nur nicht „abzutauchen“ - „Ich tauche nicht ab“, ist der Titel eines Buches von Andrè  Brie, das gleichfalls 1996 erschien - sondern künftig mutig zu sein, nicht mehr zurückzustecken.  
Ich erlaube mir hier die Frage, wieso es gerade Andrè  Brie gelingen soll, über den eigenen Charakter zu siegen. Meinungen kann man ändern. Verhaltensweisen auch, nach all meiner Erfahrung  aber nur in geringem Maße; indem man sich „zusammennimmt.“ Ich neige eher zu der Auffassung: „Mutig? - dann immer mutig. Feige? - dann immer feige“
Mut darf nicht verlangt werden, aber Ehrlichkeit. In dieser phrasen-dröhnenden lauten Zeit, da der „Mantel der Geschichte“ alle Weile bemüht wird, kann die Vermutung nur sehr zurückhaltend geäußert werden, dass das  Schauspiel, dessen Zeugen und Betroffene, Akteure und geschobene Objekte die heute hier Lebenden sind, vielleicht in hundert  Generationen nur einmal aufgeführt wird, vielleicht ist es auch wirklich einzigartig, einmalig.  Für mich jedenfalls sind es in vieler  Hinsicht nie gesehene oder vermutete Vorgänge, die über menschliches Verhalten  in so reichlichem Maße Aufschluss geben, so tiefe Einblicke in die menschliche Natur gewähren, wie vielleicht in keiner anderen Menschengeneration. Ohne diese Wende hätte ich nie erfahren, wie Menschen, die ich über Jahrzehnte kannte, Charaktereigenschaften offenbarten, die ich nie an ihnen vermutet hatte, Haltungen zeigten, die ich ihnen nie zugeraut hätte.
Wenn gesellschaftliche Umbrüche mit Erschütterungen der eigenen Lebensverhältnisse einhergehen, dann geschieht sehr häufig, was in „normalen“, in ruhigen Zeiten höchst selten geschieht: Menschen in der Mitte oder gar in der zweiten Hälfte ihres Lebens verändern ihre eigenen  Weltsichten, ihre Lebensorientierung, mehr oder weniger auch ihre Handlungsmaximen; Überzeugungen gehen verloren,  werden gewechselt,  frühere verleugnet, auf den Kehricht geworfen.
Die relative Stabilität solcher Weltsichten und Verhaltensmuster, bewirkt durch eine für den Menschen wohltätige Fähigkeit seines Gehirns (ohne die er eigentlich gar nicht existieren könnte), nämlich  Eindrücke und Ansichten weitgehend nach vorgeformten Denk- und Verhaltensmustern,  nach  verinnerlichten Werten, Überzeugungen zu verarbeiten,  eben nicht nur  glauben zu müssen, was man „sieht“, sondern auch  „sehen“  zu können, was man glaubt, wird in solchen Wendezeiten aufgebrochen. Sie hält den Erschütterungen in der Umwelt wie in den eigenen Lebenslagen nicht mehr stand; eingeübte, durch die früheren Verhältnisse geprägte Verhaltensmuster, verlieren ihren Sinn und ihre realen Voraussetzungen.
Aber dieser wohltätige  informationsverarbeitende Mechanismus des Gehirns, der hierfür bestimmter Raster einfach bedarf, setzt ja nicht einfach aus; er versucht nun, nicht nur das Verhalten zur Umwelt nach neuen „Richtlinien“ zu steuern, er sortiert auch die Erinnerungen um, ordnet ihnen andere Bedeutungen zu, verdrängt die einen in tiefere Bewusstseinsschichten, holt andere hervor. Verdrängung ist auch Selbsthilfe. 
Wenn die These von Marx, dass die herrschenden Ideen immer auch die Ideen der herrschenden Klasse sind, einen  rationellen Kern hat, dann muss ein gesellschaftlicher Umbruch von der Art, wie wir ihn mit dem Scheitern des  sozialistischen        Versuchs erlebten, von massenhaftem Überzeugungswechsel, mit massenhafter Überzeugungsanpassung begleitet sein.  Und   dies wird immer auch das Eingeständnis sich selber gegenüber einschließen, dass dem vor allem das - ja keineswegs unverständliche und schlechthin zu verurteilende - Bestreben zugrunde liegt, sich in dieser Gesellschaft so gut es geht einzurichten. Oder werden nicht gerade moralisch Anspruchsvollere diesen Vorgang mit einer Fülle moralischer Rechtfertigungsgründe  überhäufen, dem überwundenen Sozialismus, der ja überreichlich Angriffspunkte für rationale wie moralische Kritik geliefert hat,  im Übermaß Unrecht antun; und werden sie die eigenen Legenden schließlich nicht auch wirklich selber glauben?
Nach meinen Erfahrungen ist vor allem dreierlei von Bedeutung:
Erstens: Mut darf nicht verlangt werden. Gesinnungswandel nicht verurteilt werden
Zweitens Wer nicht rigoros ehrlich sein will, soll lieber in der Tat den Mund halten. Die Treuen sind nicht immer die Starken, manchmal auch die Schwachen.
Drittens: Die früher Angepassten sind es nach meiner Beobachtung oft auch heute. Ich bilde mir ein, ein einigermaßen verlässliches Hilfskriterium zu haben, um beurteilen zu können, wer früher wirklich der Widerständler wer: Wer auch heute wider den Stachel löckt.

„Wir sind es alle nicht gewesen.  Der Pförtner  war  es.“

Immer wieder wurde ich nach der Wende an eine denkwürdige Veranstaltung Anfang der siebziger Jahre an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften erinnert, auf der die „Schuldfrage“ am Buch „Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR“ geklärt werden sollte, welches unter Walter Ulbricht zur Pflichtlektüre aller Partei- und Staatsfunktionäre gemacht worden war und unter Erich Honecker sang- und klanglos, ohne jegliche Erklärung, in den Orkus geschickt wurde. Im Angesicht nicht nur der Autoren, sondern der versammelten „führenden Ökonomen“ und der Genossen aus dem „großen Haus“ rief Gerhard Schulz, Institutsdirektor an der Akademie und, wie ich auch, einer der Buchautoren, in den Saal: „Ich weiß genau, wer die Schuld an diesem Machwerke hat, es war der Pförtner im ZK!“  Die allgemeine Heuchelei hatte das  Maß überschritten, das er noch ertragen konnte.  Dass sofort eine Pause eingelegt wurde und danach der Genosse Schulz die übliche Abreibung erhielt, entsprach dem Ritual, änderte aber nichts daran, dass dieser Ausbruch für die Mehrheit wie eine Befreiung wirkte; die dumpfe Stimmung war verflogen.  Dass die eigentlich übliche selbstkritische Stellungnahme des Bösewichts diesmal entfiel, war damals soviel wert wie ein Eingeständnis dieser Heuchelei.
Der charakterärmliche Tribut an den Zeitgeist hat heut natürlich ein ziemlich anderes Gesicht, verschwunden aber ist er nicht.  Das Höchstmaß eigener Vergangenheitsaufarbeitung kommt über das Bekenntnis, dass man natürlich „eine Biografie hat“ manchmal nicht hinaus. Wir sind es alle nicht gewesen! Ich war ja nur Forschungsbereichsleiter, und nicht einmal Reisekader! Lothar Byski war nur der Rektor einer Filmhochschule. Bei solchen Gegen-Offensiven bleiben immer auch ein paar Gefährten auf der Strecke.

Es helfen nur Schonungslosigkeit, Ehrlichkeit.

Und dies nicht nur in der intellektuellen Aufklärung der DDR-Vergangenheit, sondern auch des eigenen Lebens. Wer Verwerfliches zu finden glaubt  im Verhalten Günter Schabowskis, früheres Politbüromitglied der SED, der mit seiner Vergangenheit, mit dem Marxismus auch, radikal gebrochen hat, möge das gefälligst für sich behalten. Jeder hat das Recht auch des Widerrufs wie der Beharrung auf früheren Weltsichten. Unglaubwürdig sind für mich diejenigen, von denen ich weiß, dass sie nicht, wie heute von ihnen zu hören, „schon immer“ die heutige, jetzt natürlich wieder die richtige Weltsicht hatten, dass sie Widerständler gewesen waren. 
Wenn wir uns diesen Mühen schonungsloser Selbstbefragung entziehen, kann nur folgendes eintreten:
1.  Wir werden hilflos dem Marxschen Erbe gegenüberstehen., Der eine - ausgerechnet auch noch früherer Vize-Kulturminister - behauptet schlicht, dass er an die Marxschen Werke zu DDR-Zeiten nicht so recht habe herankommen können; und er tut dies nicht, um einen weiteren, in der Tat bis dahin von niemandem bemerkten Mangel in der DDR zu benennen, sondern verwendet dies als Schlüsselargument, welches sein früheres Verhalten erklären soll. Andere, darunter auch manche „marxistisch-lenistischen“ Theoretiker früherer Tage, benutzen den Marxismus-Leninismus wie ein Schutzschild gegen jegliche ernsthafte Befragung und erklären, man habe sich durch diese Lehre, ihre innere Logik, faszinieren, blind machen lassen. Oder es  wird der „ganze Marxismus“  gegen seine DDR-Adepten verteidigt, welche Marx nur missbraucht hätten, nichts als Apologeten waren.
2.  Das Verständnis für die DDR-Wirklichkeit wird erschwert. Kann man die Vorgänge in diesem Lande, die Art und Weise, wie die DDR untergegangen ist, überhaupt erklären, wenn man nach den Überzeugungen nicht fragt? Warum ist dieser Staat zusammengefallen wie ein Kartenhaus? Nur, weil er von Gorbatschow und Schewardnadse im Stich gelassen wurde; nur, weil die Bürgerbewegungen sich als stärker erwiesen als SED und Staatsmacht? Spielten  hier nicht auch die Veränderungen in der SED eine sehr große Rolle; und hier vor allem der Umstand, dass die sozialistischen Überzeugungen vieler an der Wirklichkeit zerbrachen? Hätten diese Überzeugungen so massenhaft zerbrechen können, wenn sie nicht von einer bestimmten Art gewesen wären?
3.  Man wird den Menschen, die sich für diesen Staat DDR eingesetzt haben, nicht gerecht. M.E. kann es eine gerechte Beurteilung der DDR-Verhältnisse, der Verhaltensweisen der DDR-Bürger nicht geben, wenn aus Überzeugung gewachsenes Wirken für diese Gesellschaft geleugnet wird. Unter einer solchen Voraussetzung kann jeder Versuch von Aufarbeitung der DDR-Geschichte nur dazu führen, dass die Schubladen des Herrn Eppelmann gefüllt werden.
Eine vorurteilsfreie kritische und selbstkritische Analyse der DDR-Vergangenheit sei nur kraft- und zeitraubend, ist oft zu hören. Wir Ostdeutschen seien keine Verlierer der Geschichte. Wer freiwillig in eine solche Rolle schlüpfe, lähme sich selbst und gebe sich auf.   Den Westdeutschen hätten wir schließlich die die Erfahrungen mit zwei zwei Gesellschaftssysteme voraus. Für mich sind das keine Befründungen dafür, dass „wir“ nicht verloren haben.  Diese Niederlage des sozialistischen Versuchs ist für mich  ein Vorgang, der mir mit fortschreitender Zeit  nicht kleiner, sondern größer erscheinen wird. Die Frage ist eben,  was wir unter „wir“ verstehen.

Was bleibt? Hat es sich gelohnt?

Warum rackert man sich  ab.

Diese Frage habe ich mir immer wieder gestellt, auch zu DDR-Zeiten. Vor allem aber nach der Wende habe ich mich öfter fragen müssen: Was  ist es denn eigentlich, das mich zu dieser Emsigkeit, diesem Aufwand ohne materiellen Ertrag auch, bewog? Ich habe zum Beispiel nicht nur über Jahre drei verschiedene, ein Mal monatlich stattfindende Veranstaltungsreihen organisiert, moderiert, sondern auch in der AG Wirtschaftspolitik beim Bundesvorstand und einige Jahre in der Grundsatzkommission regelmäßig mitgearbeitet, Vorträge gehalten und nicht wenig publiziert. Und das ist ja nicht nur das Schreiben, sondern auch das viele Lesen, intensiver Gedankenaustausch.  Wozu das alles? Und an der Überzeugung, dass ich im Grunde faul bin, bin ich nicht irre geworden.  Warum fing ich nicht mit dem Faulenzen an, nachdem ich  arbeitslos bzw. Rentner bin? Das bleibt eine unbeantwortete Frage.
Als erstes gilt natürlich: Wenn man sich erst einmal entschließt, nicht den Mund zu halten, wozu  ich von manchen, denen meine Meinung nicht passte, aufgefordert wurde,  kann man solchen Entschluss nicht bei jedem Ärger aufs neue prüfen. Und wenn man sich so entschließt, gehört zwangsläufig  eine bestimmte Arbeitsmenge dazu, intensives Nachdenken, Diskussionen, für einen Wissenschaftler die Verarbeitung einer großen  Menge Literatur. Mit dem Einsatz einer Viertel-Arbeitskraft ist das einfach nicht zu leisten. Wer sich das ersparen will, könnte eben nur Memoiren schreiben. Das ist mir  zu wenig.
Es ist wahrscheinlich die innere Unruhe, die Neugier, den Dingen auf den Grund zu kommen, sie im immer wieder im neuen Lichte zu prüfen, die einen treibt. Und die  legt sich  bei mir erst, wenn ich’s aufs Papier gebracht habe. Die Angst, es könnte mir selber verloren gehen, was ich zu wissen glaube, ist ziemlich groß. Wenn ich’s dann aufgeschrieben habe,  bin ich erleichtert, stellt sich eine Stimmung ein wie: Da habt ihrs und nun rutscht mir den Buckel runter! Hinzu kommt eine fast abergläubige Haltung zum geschriebenen Wort: Was mal aufgeschrieben ist, so empfinde ich - wider besseres Wissen natürlich -  kann nicht mehr verloren gehen. Irgendjemand wird irgendwann schon mal darauf stoßen, und wenn es in einer ferneren Zukunft ist. Darin bestärkt mich manche Äußerung, die selten ist und mehr beiläufig gemacht wird. Und heftige Ermunterung habe ich auch reichlich erfahren.  Ich erinnere mich zum Beispiel, wie mich zu DDR-Zeiten die Äußerung eines  Leser der „Einheit“ immer wieder mal aufrichtete, der mir gesagt hatte: In dieser Zeitschrift ist zu viel Ungenießbares, manches Interessante auch, ich lese sie kaum, Deine Artikel aber lese ich alle ohne Ausnahme; und  ich lese sie gern. Nach der Wende erhielt ich Briefe von mir fremden Leuten, die sich für meine schriftlichen Äußerungen bedankten und mir Mut machten. Eine Redakteurin, die ich sehr schätze, sagte mir kürzlich vor ihrer versammelten Mannschaft, dass sie mich liebe, natürlich nur als Autor. Ab und zu braucht die Seele so etwas.

Nur keine Bitterkeit!

Dass die Überlebenschance   der Gattung oder zumindest die  Wahrscheinlichkeit  ihres Nicht-Rückfalls in die Barbarei  gering  ist, ist nicht mehr strittig. Dass sie, wie von weisen Leuten gemeint wird,  unter zehn Prozent liegen soll, ist bitter.
Dass alle  Menschen besser leben möchten, ist natürlich. Dass  so viele sich eher mit den   besser lebenden solidarisieren als mit den Leuten in gleicher oder schlechterer Lage, dass die „Aufwärtssolidarität“ so viel stärker ist als die „Abwärtssolidarität“, ist bitter.
Dass die Linken keine Zusammenrottungen der besonders Edlen sind, kann man vermuten. Dass diese hier aber so gering überrepräsentiert sind, ist bitter.
Dass ich mit meiner Strafrente leben muss, dann noch rackere wie blöd, ohne dass mir das wenigstens moralisch reichlich gelohnt wird, ist bitter.
Über all diese Ursachen für Bitterkeit aber obsiegt eine  einfache Tatsache: Ich bin gar nicht verbittert. Ich war es, von zeitweiligen Stimmungen abgesehen, nie, auch nicht in den schmerzhaftesten Phasen der Wendezeit. .
Und wenn Bitterkeit  dann doch einmal aufkommt, hilft zuletzt Martin Luthers Antwort auf die Frage, was er wohl tun würde, wüsste er, dass morgen die Welt untergeht: Er würde heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen. Von wegen: Der Mensch ist halt so, und zwar schlecht. Ich wiederhole mir dann, dass es nicht wenige historische Augenblicke gegeben hat, in denen große Menschenmassen nicht dem Kalkül individuellen materiellen Vorteils gefolgt sind, sondern einer gemeinsamen Idee. Die sozialistische Idee ist unausrottbar.
Ich glaube nicht, dass ich einer Selbsttäuschung unterliege, weil sie mir so hilfreich wäre.  Ich halte nur auch Optimismus wider besseres Wissen, welches durch heutige Tatsachen genährt wird,  für möglich. Natürlich ist der auch praktisch. Unentbehrlich.
Und ansonsten: mir ging’s und geht’s doch niemals wirklich schlecht.  Nur wenige Menschen – es müssten dann auch solche meiner Generation sein – haben in ihrem Leben einen solchen materiellen, sozialen Aufstieg erlebt wie ich. Von der Petroleumlampe bis zum Personalcomputer, unter Auslassung des Autos.

War ich  nicht immer in meiner Arbeit immer ziemlich souverän, zu lassen und zu tun,  was ich wollte,  heute mehr noch als in dem früheren Leben? Ich habe vier Söhne, habe ein Bäumchen gepflanzt, und mehrere Bücher geschrieben. In diesem Frühjahr werde ich noch ein Bäumchen pflanzen, vielleicht schreibe ich auch noch ein Buch. Was soll’s!? Und die Neugier bleibt.

17 H. Nick:  Das "Kapital" - eine wissenschaftliche      Gesellschaftsprognose,  Die Arbeit, Heft 6/1967, S. 17

18  H. Nick:  Karl Marx und die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR,     Berlin 1983, S. 18
19 Lehrbuch Politische Ökonomie. Redaktion: N.A. Zagolow. Verlag Die Wirtschaft,Berlin 1972,S. 253 - 257
 20 H. Nick: Gesellschaft und Betrieb,Verlag Die Wirtschaft Berlin 1970, , S. 74
21 H. Nick: Wissenschaftlich-technischer Fortschritt und Wirtschaftliche Rechnungsführung. Einheit 12/1973, S. 1421,1422
22 ebenda, S. 1418
[7] Harry Nick: Höhere Wirksamkeit der qualitativen Faktoren des Wirtschaftswachstum! Einheit, Heft 7/1975, S. 706
[8] K. Marx, Das Kapital, Zweiter Band, MEW, Bd. 24, S.465
[9] J.W. Stalin, Werke, Band 12, Dietz Verlag Berlin 1954, S. 282, 283
[10] Harry Nick: Probleme der Vervollkommnung der gesellschaftlichen Leitung des wissenschaftlich-technsichen Fortschritts. Referat auf der 3. Tagung der gemeinsamen Kommission der Ökonomen der UdSSR und der DDR. Wirtschaftswissenschaft, Heft  4/1978, S. 404
[11] Siehe: Gerhard Schürer: Gewagt und verloren, Frankfurt/Oder, 1996; Siegfried Wenzel: Plan und Wirklichkeit. Zur DDR-Ökonomie. Dokumentation und Erinnerungen. St. Katharinen 1998; Harry Nick: Mangelwirtschaft in der DDR. Ursachen und Wirkungen. Hefte zur DDR-Geschichte, heft 68, herausgegeben vom Forscher- und Diskussionskreis DDR-Geschichte, Verein Helle Panke, Berlin 2001
[12] Harry Nick:  Wirtschaftswissenschaft, Heft  4/1978, S.416,417
[13] Daniela Dahn: Wir bleiben hier oder wem gehört der Osten? Rowohlt 1994, S. 35

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