Aktuelles
Harry Nick
Erinnerungen und Visionen.
Rede anlässlich meines 80. Geburtstages im Hause der GBM
Liebe Freunde, Genossinnen und Genossen.
Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid und freue mich Euch zu sehen, darunter auch manche Gefährten aus langen Jahren, die ich lange nicht gesehen habe.
Das Ansinnen eines Jubilars, selber zu reden, statt seine Freunde reden zu lassen, ist vielleicht ungewöhnlich: aber die Ziffer „80“ legt den Gedanken nahe, dass man viele Gelegenheiten vielleicht nicht mehr haben wird, seinem Freundeskreis das zu sagen, was man unbedingt noch sagen möchte.
Es gibt für mich einen einfachen Grund, mich zu diesem Thema zu äußern: Die Sozialismus-Versuche müssen wiederholt werden! Natürlich auf eine andere Weise, die frühere Fehlentwicklungen ausschließt. Erinnerungen haben allein deshalb Zukunftswert. Ich misstraue allen Ratschlägen sozialistischer Gefährten – die Sozialismusgegner raten dies nicht – die Vergangenheit „ruhen zu lassen“, die DDR zu vergessen, um uns so allein den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Ich lese gerade ein interessantes Büchlein von Manfred Sohn: Der dritte Anlauf. Alle Macht den Räten. Kürzlich erschienen im PappyRossa Verlag Köln 2012. Der erste
Anlauf, die Pariser Kommune 1871 währte 72 Tage, der zweite Anlauf, einsetzend mit der russischen Oktoberrevolution 1917, währte 72 Jahre. Der dritte Anlauf müsse nun gelingen. Ich bin überzeugt: Sollte auch der misslingen, wird ein vierter folgen. Es gibt für die menschliche Spezies nur eine gute Zukunft jenseits des Kapitalismus.
Ich danke meinem Schicksal, dass ich den Großteil meines Lebens, mein ganzes Berufsleben in diesem Gemeinwesen DDR zubrachte. Das mag man für einen Professor an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED für selbstverständlich halten. Und ich halte auch meine Berufung an diese Akademie für einen Glücksfall. Aber es geht mir hier nicht um persönliche soziale Verhältnisse, um Einkommen, Arbeitsbedingungen und die in dieser Akademie damals herrschende geistige Atmosphäre. Es geht mir um die sozial-kulturelle Verfasstheit des Gemeinwesens DDR, um die vorherrschende Art des Umgangs der Menschen miteinander .Noch erinnern sich Viele, was es für den Alltag, das vorherrschende Lebensgefühl bedeutete, wenn es weder Arbeitslosigkeit, noch Obdachlosigkeit gibt, natürlich auch die nötigen Kindergärten und -krippen und gleichen Zugang zur Bildung für alle und eine kostenlose Gesundheitsfürsorge; und keine organisierte Kriminalität und eine Kriminalitätsrate (Straftaten je 100 000 Einwohner) von nicht etwa der Hölfte oder einem Viertel, sondern von nur einem Siebentel im Vergleich zur BRD. Die Unterschiede sind qualitativ. Die soziale, kulturelle Mentalität der Ostdeutschen war deutlich anders als die der Westdeutschen. Natürlich ist das kein Thema für die staatlich organisierte, üppig finanzierte Forschung über die SED-Diktatur.
Wer da von der „unveränderlichen Natur des Menschen“ erzählt und Marx nicht glauben will, dass man die objektiven Zustände menschlich bilden muss, wenn man menschliche Verhältnisse unter den Menschen anstrebt, der denke an dieses deutsche Beispiel: Innerhalb ein und desselben Volkes haben sich innerhalb zweier Generationen deutlich unterscheidbare sozial-kulturelle Mentalitäten herausgebildet. Nicht wenige Ostdeutsche wurden Leidtragende dieser Unterschiede, als unmittelbar nach der Wende die Scharen von Teppichverkäufern, „Butterfahrten“-Unternehmern, Hütchenspielern, Treuhanf-Gesandten und andere Glücksritter über sie herfielen.
Nicht nur wegen moralischer Lauterkeit, sondern auch wegen praktischer gesellschaftspolitischer Nützlichkeit müssen Sozialisten in der Aufklärung der Ursachen ihres wiederholten sozialistischen Anlaufs bedingungslos nach der Wahrheit streben. Taktische Erwägungen, durch die Umstände aufgezwungene politische Opportunitäten – zum Beispiel die Überlegung, was man dem bayrischen Normalbürger zuzumuten dürfe oder nicht – dürfen keine Rolle spielen. Sie sind auch schon auf mittlere Sicht nicht wirklich hilfreich. Sozialisten sollten darin Vorbild sein, die Schmerzen standhaft zu ertragen, die auch ihnen die Einsicht in historische Wahrheit bereiten kann. Solcher Wahrheiten gibt es nicht wenige.
Äußere Ursachen – eine feindliche wirtschaftlich überlegene Umwelt und innere subjektive Ursachen – Fehler – haben gewiss eine große Rolle gespielt beim Misslingen des zweiten sozialistischen Versuchs. Entscheidend aber waren die inneren systemischen Ursachen. Ich meine hier nicht deb „Stalinismus“, der von manchen Sozialisten als die systemische Qualität des so genannten „realen Sozialismus“ ausgegeben wird. „Stalinismus“ ist in meinen Augen eher ein antikommunistischer Kampfbegriff, eine Hauptvokabel der so genannten „Totalitarismus-Doktrin“, deren Hauptanliegen die Identifikation von Faschismus und Kommunismus ist, als eine Denkhilfe für Sozialisten auf der Suche nach den Ursachen der historischen Niederlage des zweiten Sozialismus-Versuchs.
Das verfolgte Gesellschaftsmodell des untergegangenen Sozialismus konnte nicht erfolgreich sein m.E: vor allem aus folgenden Ursachen:
* Das Demokratieproblem wurde nicht gelöst. Die wichtigste Schlussfolgerung, die Karl Marx aus dem Scheitern des ersten sozialistischen Anlaufs zog, war die Idee einer „Diktatur des Proletariats“. Gedacht war dies wohl als eine vorübergehende, d.h. befristete Aussetzung staatsbürgerlicher Persönlichkeitsrechte der gestürzten, aber noch mächtigen Bourgeoisie. Nach der Oktoberrevolution wurde diese Politik aber verstetigt, nach den Worten Lenins als der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie überlegene Form der Demokratie ausgegeben. Das war auch meine Überzeugung. Fragt man mich heute, was ich von Demokratie halte, kann ich nur erwidern: Ich war immer überzeugter Demokrat, hatte früher aber eine andere Vorstellung von Demokratie. Die Idee der Diktatur des Proletariats degenerierte zum Führungsanspruch einer Partei, zur Machtzentrale „Zentralkomitee“, noch mehr dessen Politbüro und zum Personenkult um den Generalsekretär. Mitunter auch zur Erbmonarchie der KP-Führer.
* Das Geldproblem. Marx und Engels sahen in der Abschaffung des Geldes eine elementare Voraussetzung für die Überwindung menschlicher Entfremdung. „Die Eigenschaften des Geldes sind meine - seines Besitzers - Eigenschaften und Wesenskräfte. Das, was ich bin und vermag, ist also keineswegs durch meine Individualität bestimmt“ sagte Marx. Er hielt die Verwirklichung des Leistungsprinzips ohne Geldwirtschaft für möglich. Das aber ist offenbar ein Irrtum. Ansätze einer geldlosen Wirtschaft im so genannten Kriegskommunismus unmittelbar nach der Oktoberrevolution mussten schnell fallen gelassen werden. Was aber blieb und das nach der Oktoberrevolution sich etablierende Gesellschaftsmodell bis an sein Ende begleitete, war die Geringschätzung, moralisch negative Wertung des Geldsystems als eines Fremdkörpers im Sozialismus. Dies war ein Haupthindernis für eine nötige durchgreifende Wirtschaftsreform.
Das Gesellschaftsystem des „realen Sozialismus“ als stalinistisch zu definieren, ist barer Unsinn, eine Kapitulation vor dem herrschenden antikommunistischen Zeitgeist.
In diesem System verbanden sich objektive Zwänge, deren gesellschaftstheoretische Deutungen, vor allem von Marx und Lenin, gesellschaftspolitische Folgerungen, die auch in die Irre und vom sozialistischen Ideal wegführten. Was bleibt, ist ein Katalog von Problemen, für die es noch keine überzeugenden sozialistischen Antworten gibt. Zum Beispiel:
Wie können nicht durch Zurücknahmen, sondern durch Fortführung, Erweiterung staatsbürgerlicher, persönlicher Freiheiten die Räume für Selbstbestimmung und Teilhabe an Gesellschaftsgestaltung erweitert und neue Räume gewonnen und damit die gravierenden Unzulänglichkeiten heutiger Parteien-Demokratie überwunden werden? Die modernen Informationstechnologien bieten hierfür neue, sehr aussichtsreiche instrumentale Möglichkeiten..
Wie können kapitalistische Anarchie und Spontaneität vor allem in der Wirtschaft durch Verbindungen von Rationalität und Humanität ersetzt werden? Wie können gesamtwirtschaftliche Vernunft, der „assoziierte Verstand“ (Marx) mit ökonomischem Interesse der Teilsysteme, der Betriebe und territorialen Einheiten und letztlich mit den persönlichen Interessen der Menschen verbunden werden, wie es im NÖS der DDR angestrebt, aber nicht erreicht wurde?
Wie kann in einer Geldwirtschaft der Umschlag von Geld in Kapital, d.h. die Kapitalbildung in privater Hand verhindert werden? Wie können humanistische Werte, Ideale, sozialistische Normen die Oberhand über das Geldinteresse gewinnen und behalten?
Wie können Leistungsstreben, gesunder Wettbewerb in einer Gesellschaft wirken, sich entfalten, deren bestimmendes Prinzip nicht die Konkurrenz, sondern die Kooperation ist; die nicht durch Angst und Gier, sondern durch menschliche Empathie ihre kräftigsten Impulse gewinnt?
Ich nenne diese Fragen hier nicht, weil ich Antworten hierauf habe, sondern weil ich solche Antworten nicht habe. Vielleicht kann mir ja jemand hier helfen.
Eines scheint mir gewiss. Völlig aufgelöst können diese Probleme in einer sozialistischen Gesellschaft nicht. Aber für Sozialisten bleibt eine große Hoffnung. Und die heißt: Kommunismus. Natürlich nicht der, den Adolf Hitler, Konrad Adenauer und Kurt Schumacher definiert haben. Und natürlich auch nicht der, den manche sich kommunistisch nennende Parteien definierte, Pol Pot etwa. Sondern der, den Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei 1848 vorgestellt haben.
Dies bedeutet, dass der Kommunismus die logische, die zwingende Konsequenz sozialistischer Entwicklung ist. Zu den dümmsten Ideen jüngerer Zeit aus dem sozialistischen Lager gehört deshalb für mich die Behauptung, dass Sozialismus und Kommunismus nichts miteinander zu tun hätten, dass auf den Sozialismus keineswegs der Kommunismus folgen müsse. Doch, er muss, denn Kommunismus ist nichts anderes als die Vollendung aller sozialistischen Ideale, Zukunftsvisionen.
Deshalb wird die Idee von Gesine Lötzsch, über Wege zum Kommunismus nachzudenken, von den Sozialisten unbedingt wieder aufgenommen werden müssen. Gregor Gysi mag noch so laut in die Mikrofone schreien, dass die heutige Linkspartei niemals eine kommunistische Partei werden werde; die Ideen des kommunistischen Manifests können aus der sozialistischen Bewegung nicht vertrieben werden, oder sie hörte auf, eine sozialistische Bewegung zu sein.
Auch die pur-populistische Behauptung, Sozialisten müssten, wenn sie auch an bayrischen Stammtischen verstanden werden wollen, auf das Wort „Kommunismus“ verzichten, ist nicht überzeugend. Wenn die Kommunismus-Debatte nun schon Mal initiiert wurde, warum nicht die Gelegenheit nutzen, um auch in Bayern für die Marxsche Idee des Kommunismus zu werben. Warum denn immer vor allem an Bayern denken, warum nicht an die Ostdeutschen. Die haben im Jahre 2003 in einer Umfrage des ZDF Karl Marx zum größten Deutschen gekürt. Das ist heute nicht mal mehr im Internet oder bei Wikipedia zu erfahren. Die Westdeutschen erkoren Konrad Adenauer zum grüßten Deutschen, der wegen westdeutscher Übermacht natürlich auch gesamtdeutscher Sieger dieser Umfrage wurde, Marx kam aber immerhin auf den 3. Platz.
Der Mensch braucht auch was für seine Seele. Seine Sehnsucht nach Ausflüchten aus diesem irdischen Jammertal ist unstillbar Gefühle sind stärker als die Vernunft, der Glaube ist stärker als der Verstand. Würden sonst Milliarden Menschen an ein Paradies im Himmel glauben, an die unbefleckte Empfängnis, die Auferstehung der Toten und an das Jüngste Gericht, trotz allen Naturkundeunterrichts? Es kann nicht schwieriger sein, an eine kommunistische Zukunft auf Erden zu glauben. Ich jedenfalls glaube fest daran, dass es möglich sein wird, hier auf Erden schon das Himmelreich zu errichten. Unser Vorteil gegenüber allen anderen Heilsbotschaften ist, dass die Wege dorthin auch für den Verstand erreichbar sind, Ihr Nachteil: Wir heute Lebenden werden ihre Erfüllung nicht erleben, Aber es bleibt die Zuversicht: Die Enkelinnen und Enkel oder deren Enkelinnen und Enkel oder vielleicht deren Kinder fechten es dereinst aus.
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Mit Ludwig Erhard zum „kreativen Sozialismus“?
Zu: Sarah Wagenknecht: Freiheit statt Kapitalismus. Eichborn Verlag 2011. 365 S. 19,95 €
Sarah Wagenknechts neues Buch folgt dem Schema These – Antithese – Synthese. Erstes Kapitel: „Das gebrochene Versprechen Ludwig Erhards“; zweites Kapitel: „Unproduktiver Kapitalismus“: drittes Kapitel: „Sozialismus: Einfach. Produktiv. Gerecht.“ Genauer: „Wohlstand für alle!“ – Die Absage des heutigen Neoliberalismus und des heutigen Kapitalismus an diese Heilsbotschaft Ludwig Erhards – Die Rückbesinnung auf das Versprechen Ludwig Erhards „Nur ein kreativer Sozialismus wird dieses Versprechen jemals einlösen können“ (S. 29)
Dieses Buch ist ein Hohelied auf die Marktwirtschaft: Sein Fazit lautet: „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und Sozialismus ohne Planwirtschaft“ (S. 345)
Dazu gehört natürlich nicht nur das Loblied auf den „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“, sondern die Würdigung der Väter der Theorie von der Marktwirtschaft, namentlich Walter Eucken, Alexander Rüstow, Wilhelm Röpcke, Alfred Müller-Armack, Friedrich A. Hayek., Milton Friedman. Sie gehörten alle zu den in den !940er/1950er Jahren entstehenden neoliberalen Schulen, vornehmlich in Deutschland und den USA.. Das „neo“ sollte bedeuten, dass diese Vertreter des ökonomischen Liberalismus dessen bisherige Maximen vom „laissez faire“, vom segensreichen Wirken der „unsichtbaren Hand des Marktes“ zwar nicht aufgaben, aber auch deren Versagen in Weltwirtschaftskrise, faschistischer Zwangswirtschaft ein gestanden. Die Regulierungsweise durch den Markt, die freie Konkurrenz sollte durch staatliche gesetzliche Regelungen geschützt werden, vor allem durch eine Antikartell-Gesetzgebung.
Die theoretisch führenden Vertreter der Neoliberalen, die eigentlichen Begründer der Marktwirtschaftslehre waren die Ordo-liberalen der Freiburger Schule. Mit „Ordo“ war nicht nur gemeint, dass eine gewisse „Ordnung“ in den Markt-Konkurrenz-Mechanismus gebracht werden solle – das wollten alle Neoliberalen -, sondern dass es sich um eine Lehre von den Wirtschaftsordnungen handele.
Die Ordo-Liberalen, allen voran Walter Eucken, definierten Wirtschaftsordnungen von der Art und Weise her, wie der tief gegliederte und dynamische arbeitsteilige Prozess zu komplexen Endprodukten gelenkt werden kann. Das sei auf zweierlei Weise möglich: entweder durch zentrale Steuerung oder durch freien Verkehr zwischen den Wirtschaftssubjekten auf dem Markt. Im ersteren Falle handele es sich um eine „Zentralverwaltungswirtschaft“, im zweiten um eine „freie Verkehrswirtschaft“. Sehr schnell wurden hier die entsprechenden mediengerechten Vokabeln gefunden: Marktwirtschaft und Planwirtschaft. Ausführlich wurden auch die angeblichen Vorteile der Marktwirtschaft und die Gebrechen der Planwirtschaft behandelt: Die Marktwirtschaft sei effektiv, flexibel, demokratisch und an den Bedürfnissen der Kunden orientiert; Planwirtschaft sei das Gegenteil, an die Befehle der Zentrale, nicht am Bedarf der Kunden orientiert. Im Buche von Sarah Wagenknecht gibt es keine kritische Bemerkung zu den Ordo-Liberalen, keinen Verweis zum Beispiel auf die exponierte Nazi-Karriere von Müller-Armack, die gewerkschaftsfeindliche Haltung Ludwig Erhards, wie sie bei Georg Fülberth nachzulesen sind (Junge Welt v. 28./29.5 11)
Ich kann mich nur wundern darüber, dass die Autorin, bekannt durch ihre radikale antikapitalistische Haltung, nicht auf die Idee kommt, Entstehen und Aussagen der Lehre von der Marktwirtschaft vor dem Hintergrund der existenziellen Krise des Kapitalismus in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu beleuchten, Georg Fülberth übrigens auch nicht. Das aber ist die Schlüsselfrage, auch für das reale Schicksal des marktwirtschaftlichen Konzepts.
„Das kapitalistische Wirtschafssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden… Inhalt und Ziel einer wirtschaftlichen und sozialen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein“ heißt es im Ahlener Programm der CDU von 1947 Diese Aussage ist nicht nur eine skurrile Fußnote in der Geschichte der West-CDU, sondern bezeichnet die weltweite Grundstimmung in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Im Juni 1947 hatten sich in Volksbefragungen in Sachsen wie in Hessen jeweils über 70 Prozent der Befragten für die Enteignung der Konzerne und deren Überführung in öffentliches Eigentum ausgesprochen. In Ostdeutschland wurde auch so verfahren. Die westdeutsche Antwort hieß „Marktwirtschaft“, ohne privates Eigentum anzutasten. Es war das Versprechen, Monopole, Ballungen wirtschaftlicher Macht nicht mehr zuzulassen.
Als in aller Welt die Einsicht wuchs, dass die faschistische Hydra aus dem kapitlistischen Schoße gekrochen war, hatten die Herrschenden natürlich kein dringenderes Bedürfnis, als den Spieß umzudrehen und diee Schuld dem Sozialismus anzulasten. Eben das leisteten die sich etablierenden neoliberalen Schulen, vor allem die so genannte Freiburger Schule und die Chicago School of Economics.
Es sollte der Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus verdunkelt, geleugnet werden und statt dessen ein Zusammenhang von Faschismus und Sozialismus postuliert werden. Theoretischer Wortführer dieser begrifflichen Umkehrung der Verhältnisse war Friedrich Hayek, der in seinem 1944 (deutsch 1945) erschienen Buche „Der Weg zur Knechtschaft“ behauptete, „ dass der Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus nicht als Reaktion gegen die sozialistischen Tendenzen der voraufgegangenen Periode, sondern als die zwangsläufige Folge jener Bewegung begriffen werden muss“[1] Für die politische Formel „Diktatur versus Demokratie“ war damit die wirtschaftliche Analogie gefunden: „Planwirtschaft versus Marktwirtschaft“ Auch auf wirtschaftlichem Gebiet wurde nun behauptet, dass die grundlegenden wirtschaftlichen Umwälzungen nicht etwa in der DDR, sondern in der BRD stattgefunden hätten: In der DDR wäre nur eine Variante der Zentralverwaltungswirtschaft durch eine andere abgelöst worden wäre. Die östlichen Fünfjahrespläne seien so etwas wie die Göringschen „Vierjahrespläne“ mit ihren kriegswirtschaftlichen Regulierungen im Nazireich.
Marx kommt im Buche von Sarah Wagenknecht nicht vor. Aber kann man beim Thema „Marktwirtschaft“ daran vorbei gehen, dass sie der erste und perfekteste Versuch ist, die Marxsche Theorie nicht in irgendwelchen ihrer Theoreme – die Arbeitswerttheorie zum Beispiel – zu widerlegen, sondern sie in ihrer Gänze auszuhebeln, durch die Verschiebung des Standorts, von dem aus Wirtschaftsordnungen zu definieren sind?
Natürlich kann man eine Wirtschaftsordnung von der Position aller Phasen des Wirtschaftskreislaufs – Produktion, Distributiom, Zirkulation, Konsumtion – betrachten. Man miuss sich nur klar darüber sein, dass aus diesen verschiedenen Blickwinkeln auch verschiedene wirtschaftliche Vorgänge in den Fokus gerückt, andere schwächer beleuchtet oder gar ausgeblendet werden. Aus Marxens Sicht von der Produktion her sind Produktionsverhältnisse, Eigentumsverhältnisse, Arbeiter und Kapitalist ins Zentrum des Wirtschaftsgeschens gerückt. Die Marktwirtschaftslehre hingegen nimmt den Kapitalismus aus dem Blick. Vom Markt her gesehen erscheinen nicht Arbeiter und Kapitalist als die zentralen Figuren des Wirtschaftsgeschehens, sondern die Marktteilnehmer, die Käufer und Verkäufer. Der arbeitende Mensch erscheint dann nur in zweierlei Gestalt: als Verkäufer seiner Ware Arbeitskraft und als Käufer von Subsistenzmitteln. Marx hat diese Sicht trefflich beschrieben: "Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angeborenen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum.... Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen .... Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine ... Beim Scheiden von dieser Sphäre der einfachen Zirkulation oder des Warenaustausches... verwandelt sich, so scheint es, schon in etwas die Physiognomie unserer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm als sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andere scheu, widerstrebsam, wie jemand, der seine eigene Haut zu Markte getragen..."[2]
Das „Goldene Zeitalter“ des Kapitalismus der Nachkriegsjahrzehnte, wie es der englische marxistische Historiker Eric Hibsbawm in seinem Buche über die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts beschrieb, war nicht nur ein von den Ordo-Liberalen heraufbeschworenes deutsches Wirtschaftswunder, sondern war eine internationale Erscheinung und hatten eine Vielzahl von Ursachen. Die wichtigste war die heraufziehende soziale Herausforderung durch den realen Sozialismus. Und das Soziale an dieser „Marktwirtschaft“ fand sein Ende zu Beginn der 1980er Jahre, als sich die wirtschaftliche Niederlage dieses Sozialismus abzuzeichnen begann. Und diese Niederlage hatte viele Ursachen, nicht vor allem im Versagen der Wirtschaftsplanung.
Zurück zum vormnopolistischen Kapitalismus?
Das Projekt „Marktwirtschaft“ beruht auf der Annahme, dass eine Wirtschaft ohne Monopole, eine Verhinderung wirtschaftlicher Macht, möglich sei. Von dorther rührt auch eine Überzeichnung der Rolle von Klein- und Mittelunternehmen.
Wie weit man Lenins Theorie vom Monopolkapitalismus als dem höchsten und letzten Stadium des Kapitalismus auch folgen will, sein Nachweis, dass das Zeitalter der freien Konkurrenz Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Kapitalgesellschaften zu Ende ging, und Monopole beherrschende Wirtschaftsmacht errangen, ist nicht zu bestreiten. Da hilft es auch nicht die neoliberale Täuschung, dass es außer deb Gewerkschaften keine Monopole, die als Alleinanbieter oder –nachfrager definiert werden. Die vier großen deutschen Energiekonzerne sind Monopole, weil sie monopolistisches Preisdiktat ausüben. Und es hilft auch keine Täuschung mit Anti-Kartellgesetzgebung. Dass man sich auf solche Gesetzgebung im Kampf gegen Konzernmacht auch berufen soll, ist eine andere Sache. Das Kartellamt jedenfalls ist nicht vielmehr als ein neoliberales Alibi.
Das Bundeskartellamt hat jüngst untersucht und bekannt gegeben, dass und wie monopolistisches Preisdiktat der Mineralölkonzerne funktioniert; es hat verbal dagegen gewettert, verhindert hat das Amt solches Preisdiktat dieses Preisdiktat so wenig wie das Preisdiktat der großen Energiekonzerne. Es rührte sich auch nicht, als mit Hilfe der so genannten Treuhand ostdeutsche Petriebe platt gemacht wurden, die Konkurrenten westdeutscher Konzerne hätten sein können.
Sozialismus ohne Wirtschaftsplanung?
Das Marxsche Gegenkonzept gegen Anarchie und Spontaneität kapitalistischer Konkurrenz hieß gesamtwirtschaftliche Vernunft, ausgeführt durch gesamtwirtschaftlichen Willen, durch Planung. Sozialismus sei nur möglich, wenn „die genossenschaftliche Produktion nicht eitel Schein und Schwindel bleiben, wenn sie das kapitalistische System verdrängen, wenn die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln, sie damit unter ihre eigne Leitung nehmen und der beständigen Anarchie und den periodisch wiederkehrenden Konvulsionen, welche das unvermeidliche Schicksal der kapitalistischen Produktion….“[3].
Die Art und Weise der Planung in den unter gegangenen sozialistischen Gesellschaften ist sicher kein Vorbild für künftige sozialistishe Gesellschaften. Sie liefert aber auch keine Belege für den neoliberalen Haupteinwand gegen Wirtschaftsplanung. Der lautet: Eine zentrale Planung könne nicht die Vielfalt und Dynamik menschlicher Bedürfnisse effektiv steuern. Ludwig Erhatd veranschaulicht das am Beispiel der Lederverteilung durch stattliche Fachabteilungen Leder in der Nazizeit. „Die Zentralverwaltungsstellen arbeiten mit globalen Bewertungen unter Heranziehung von Mengen-Rechnungen, die auf der statistik beruhen“[4], eben nicht auf den realen Bedürfnissen der Käufe. Bei Sarah Wagenknecht liest sich das so: „Man kann in einer hochdifferenzierten Wirtschaft keine zentrale Detailplanung betreiben“ (Junge Welt v. 14./15. Mai 2011). Die Jacke, die sich jemand kaufen will, müsse ihm auch gefallen. Woher soll die Plankommission das aber wissen?! Wo geb es denn solche zentrale Detailplanung, die bis zu der gewünschten Jacke führte? Hatten mit dieser Jacke nicht das Modeinstitut der DDR und die Angebotsmessen der Bekleidungsindustrie und des Großhandels zu tun? Gab es nicht die Drei-Stufigkeit von Plan, Bilanz und Vertrag? Tauchte diese Jacke außer in zwischenbetrieblichen Verträgen noch sonstwo auf? Wenn solche gewünschte Jake im DDR-Handel mal nicht zu kriegen war, die verbreiteten Angebotslücken überhaupt, waren nicht geplant,: sie waren durch die Mangelwirtschaft verursacht, die ihre Ursache nicht im Planungssystem hatte. Sollten wir solche schlichten Vorstellungen von Planwirtschaft nicht lieber Klein Fritzchen hinterm Schwarzwald überlassen?
Es gibt viele Fragen der Wirtschaftslenkung, über die sich Sozialisten den Kopf schon heute zerbrechen müssten. Wie sind betriebliche wirtschaftliche Rationalität, Gewinnorientierung, mit sozialer und ökologischer Ziesetzung, zu verbinden? Wie können überhaupt wirtschaftliche Rsationalität und Humanität zusammen gehen? Ist irgendwann eine Wirtschaft möglich, in der niemand sich über schweren Hagel, die zertrümmerten Glasscheiben freut? In der Geldwirtschaft freut sich zumindest der Glaser. Ist eine Wirtschaft möglich, in der ein Schokoladenproduzent seinen ärgssten Feind nicht im anderen Schokoladenproduzenten sähe und seine zweitschlimmsten Feinde nicht in seinen Zulieferern und Abnehmern; das heißt in denjenigen, mit denen ihn die wirtschaftliche Aufgabe eigentlich verbindet? Sollte das, was von den Freunden der Marktwirtschaft Wettbewerb genannt wird, nicht richtig als Konkurrenz bezeichnet werden? Wettbewerb schließt Kooperation, gegenseitige Hilfe und Empathie ein, Konkurrenz schließt sie aus, ist Feindverhalten.„Der Sozialismus wird an die Stelle der Konkurrenz die Assoziation setzen“ meinte Friedrich Engels. Ist das ein Thema für Sozialisten auch heute?
Ist der Kapitalismus „ keine Wirtschaftsordnung mehr, die Produktivität, Kreativität, Investitionen und technologischen Fortschritt fördert“?
Ich halte diese Aussagen für überzogen. Überhaupt missfällt mir der schrille Ton der Autorin. Diese Tonart ist für die Herrschenden schon wieder akzeptabel, weil sie darauf vertrauen können, dass viele Leser sie als unglaubwürdig auch erkennen und dies dann auch von Aussagen halten, die wahr sind. Und in jedem Falle ist solche Tonart ein gern vorgezeigter Nachweis dafür, dass man auch ganz andere Auffassungen toleriert.
Diese Urteile über den Kapitalismus widersprechen auch dessen Fähigkeiten der Anpassung an neue Herausforderungen, Systemgefährdungen. Der Kapitalismus vermag sich „fremdem Geist“ durchaus dienstbar zu machen, nicht nur dem Protestantismus, wie Max Weber zeigte. Er vermag mit politischem Systemen zu existieren, die seiner sozialökonomischen Natur widersprechen. Kapitalismus und Demokratie seien Gegensätze, weil sie gegensätzlichen Prinzipien folgen, meint der amerikanische Ökonom Lester C. Thurow in seinem Buche Die Zukunft des Kapitalismus (Metropolitan Verlag Düsseldorf München 1996); aber westliche parlamentarische Demokratie und Marktwirtschaft waren die Schlachtrufe, unter denen der Kapitalismus über den europäischen Sozialismus obsiegte,
Kapitalistische Gesellschaften vermögen über Jahrzehnte sich entgegen dem „allgemeinen Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“, gegen die Tendenz sozialer Polarisierung zu entwickeln, wie im „Goldenen Zeitalter“ der Nachkriegsjahrzehnte. Die Kapitalistenklasse vermag im äußersten Falle die Lebenswurzeln der Gesellschaft zu schützen. Marx zeigte dies am Beispiel der Entwicklung der Arbeitszeit. „Die maßlose Verlängerung des Arbeitstages, welche die Maschinerie in der Hand des Kapitals produziert, führt.. später eine Reaktion der in ihrer Lebenswurzel bedrohten Gesellschaft herbei und damit einen gesetzlich beschränkten Normal-Arbeitstag“ [5]
Wie heutige Bemühungen auch des Kapitals ausgehen werden, die Bedrohungen der Lebenswurzeln der Gesellschaft durch die ökologische Gefahr zu bannen, ist noch nicht entschieden. Dass dies gelingen kann, ist aber auch nicht auszuschließen. So einfach ist das nicht mit dem Kapitalismus, mit dem Sozialismus auch nicht, wie es sich bei Sarah Wagenknecht liest.
Kommunismusdebatte
In Deutschland gibt es zwei verschiedene, einander scharf entgegengesetzte Auffassungen vom Kommunismus. Die eine Auffassung geht vor allem auf Karl Marx und Friedrich Engels zurück: Kommunismus sei die Vision einer „Gesellschaftsform..., deren Grundprinzip die volle und freie Entwicklung jedes Individuums ist“, in der „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller „ ist. Kommunismus sei eine Gesellschaft jenseits von Geld und Markt; in ihm herrsche das Prinjzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ (im Unterschied zum Sozialismus, in welchem das Prinzip gelte „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“)Die andere Auffassung vom Kommunismus lautet: Er ist eine Gesellschaft der Unfreiheit und der Ungerechtigkeit, des Terrors – eine unmenschliche Gesellschaft. In Deutschland gehören zu den Hauptautoren dieser Auffassung Adolf Hitler, Konrad Adenauer und Kurt Schumacher. Im Westen Deutschlands regiert militanter Antikommunismus seit über 80 Jahren als Staatsdoktrin. Sie wirft alles gnadenlos nieder, was ihr zu widersprechen wagt. Ein Schlaglicht auf die deutsche Teilung warfen die Ergebnisse einer Befragung über die größten Deutschen: Die Westdeutschen kürten Konrad Adenauer, die Ostdeutschen Karl Marx zum „besten Deutschen“. In den 40 Jahren DDR war hier der „Marxismus-Leninismus“ die herrschende Staatsdoktrin.Ginge es um die Wahrheit und um nichts als die Wahrheit könnte weitgehendes Einverständnis darüber hergestellt werden, dass unter dem Banner des Kommunismus, unter Verantwortung von Parteien, die sich als kommunistische Parteien ausgaben, furchtbare Verbrechen begangen wurden. J.W. Stalin, der Massenmord an Millionen Menschen befahl, war der Führer der „Kommunistischen Partei der Sowjetunion“. Entschiedene Absage, Verurteilung solcher Untaten muss bedingungslos eingefordert werden vor allem von denjenigen, die sich heute als Kommunisten bekennen. Aber geht es denn wirklich „um die Wahrheit und um nichts als die Wahrheit“? Wie geht der heutige Antikommunismus mit denjenigen um, die die Stalinschen Verbrechen vorbehaltlos und entschieden verurteilen, aber an Marxens Auffassung vom Kommunismus festhalten wollen? Die antikommunistischen Tiraden gegen die Äußerungen von Gesine Lötzsch über den Kommunismus sind eine sehr klare Antwort auf diese Frage. Geht man den Dingen auf den Grund, wird sichtbar: Die militaten Antikommunisten meinen eigentlich denselben Kommunismus wie Gesine Lötzsch: Eine künftige Gesellschaft in Marxscher Vorstellung, die sozialökonomisch auf Gemeineigentum an den Wirtschaftsgütern beruht. Aber die ist ihnen verhasst wie sonst nichts auf der Welt. Ginge es den Antikommunisten nur um Demokratie, um den Kampf gegen staatlichen Terror, gegen Unmenschlichkeit, hätten sie sich anders zur Franco-Diktatur in Spanien, zur Salazar-Diktatur in Portugal und zum Massenmörder Pinochet in Chile verhalten müssen.Verräterisch ist auch: Politik und Medien im Westen bezeichnen die Sowjetunion, die DDR und andere sozialistische Länder seit eh und je als kommunistische Staaten. Diese Staaten selber haben sich so nicht genannt; dies hätte auch direkt der Marxschen Kommunismus-Definition widersprochen. Woher nehmen sie das Recht, die Selbstdefinitionen dieser Staaten zu ignorieren? Der Nazidiktatur stehen sie das Recht der Selbst-Definition zu. Die Nazibarbarei nennt sich in der BRD wie unter Hitler „Nationalsozialismus“. Dieses Wort ist die brutalste Lüge der deutschen Faschisten. In allen anderen Ländern, in Russland wie in Frankreich und auch in den USA heißt das „Faschismus“, nur in Deutschland nicht. Eine Nebenbemerkung: Dass im Programmentwurf der Linkspartei das Wort „Nationalsozialismus“ auftaucht, halte ich für einen Skandal. Der politische Hauptzweck der jetzigen antikommunistischen Hasskampagne ist klar: Es soll vor allem die DDR der jüngeren Generation als das Bild von Mauer, Stacheldraht und Stasi eingeprägt werden. Alle Erinnerungen, Überlegungen, wie es sich in einem Lande lebte, in dem es keine Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit gab, keine Bildungsprivilegien, keine sehr Armen und sehr Reichen, keine Drogen- und organisierte Kriminalität (die Anzahl der Gefängnisinsassen je 100 000 Einwohner war in der BRD 6 mal größer als in der DDR, in Westberlin 11mal als in Ostberlin), in der alle Leistungen des Gesundheitswesens kostenlos waren; in einem Lande ohne soziale Ängste, mit mehr Kinderfreundlichkeit.Wenn Sozialisten raten, auf das Wort „Kommunismus“ überhaupt zu verzichten, müssten sie m.E. die Frage beantworten: Wollen sie der Marxschen Zukunftsvision einen anderen Namen geben, weil das Wort „Kommunismus“ diskreditiert ist, oder wollen sie auf solche Vision überhaupt verzichten. Ich jedenfalls bleibe bei Marx, sowohl, was seine Vision wie auch deren Name angeht. Und ich kann mir sozialistische Gesinnung und Politik ohne solche Vision nicht vorstellen. Junge Welt 27.1.2011
Über den Kapitalismus.Zu den 13 Thesen des fdsVon Harry Nick
Der wichtigste Ausgangspunkt in den 13 Thesen des Forums demokratischer Sozialisten (fds) zur Programmdebatte ist wohl ihre Berufung auf Karl Marx, wonach der Kapitalismus „kein fester Kristall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozeß der Umwandlung begriffener Organismus ist“ (MEW, 23,16). Der Kapitalismus in Schweden sei eben etwas anderes als der bundesdeutsche. Und der heutige, so könnte hier gemeint sein, natürlich besser als der des 19. Jh. ablesbar zum Beispiel an der Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit. Ich halte solche Deutung dieses Marx-Wortes für nicht zulässig. Der Kapitalismus in Schweden ist derselbe wie der Kapitalismus in Deutschland. In seiner Wesenheit ist der Kapitalismus heute derselbe, wie der, den Marx untersuchte, und in dieser Wesenheit keineswegs ein sich wandelnder Organismus. Es verändern sich die die dominanten Sphären des Kapitals. In den vorkapitalistischen Gesellschaften war das Leihkapital, in den frühkapitalistischen das Handelskapital, mit der Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise wurde das Industriekapital, heute ist das Finanzkapital die dominierende Sphäre. Veränderungen gab es auch in den dominierenden Eigentumsformen des Kapitals: Bis zum Ausgang des 19. J. waren es die Einzelunternehmen, seitdem die Kapitalgesellschaften. Entsprechend wandelten sich die personalen Gestalten in der Verfügung über das Kapital: Vom Einzelunternehmer über die Aktienbesitzer und Manager bis zu den Herren über die großen Geldsammelstellen der Banken, Investmentfonds und Versicherungen.
Von alledem unberührt blieben die Wesenseigenschaften des Kapitals:
* Kapital ist nach Marx „prozessierender Wert“, „Selbstverwertung des Werts“, „Plusmacherei“. Die allgemeine Formel des Kapitals heißt „Geld – mehr Geld“. Da am Anfang wie am Ende des Prozesses der Kapitalverwertung dasselbe steht - das Geld als allgemeines Äquivalent - kann der Unterschied nur in der Quantität bestehen: Hieraus folgt die grenzenlose Maßlosigkeit des Kapitals; seine moralische Konsequenz heißt „unstillbare Gier“.
* Ziel, Antrieb, Motiv der Kapitalbewegung sind nicht menschliche Bedürfnisse, nicht der Verbrauch; nicht die Konsumtion, sondern die Akkumulation. Dem KLapital ist es gleichgültig, ob es in der Herstellung von Rosenöl oder von Schmierseife angelegt ist. Der Gebrauchswert – genauer: der vom Käufer akzeptierte Gebrauchswert, der auch ein nur vorgetäuschter sein kann – ist wichtig, aber nur indirekt, r nur als Träger von Tauschwert.
* Kapitalismus bedeutet soziale Polarisierung. Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation ist nach Marx die Akkumulation von Reichtum auf der einen Seite und von Armut, Elend, Pauperismus auf der anderen Seite. Das Kapital erzeugt eine „industrielle Reservearmee, die Arbeitslosigkeit.
* Das Grundprinzip im Verhalten der Kapitale ist die Konkurrenz, das Gegeneinander. Sie ist um so härter, rabiater, je direkter kapitalistische Unternehmen wirtschaftlich verbunden sind. Die größten Feind des Schokoladenfabrikanten sind der andere Schokoladenfabrikant und seine direkten Zulieferer und Abnehmer.
* Das dem Zusammenwirken von innerem Profitmotiv und äußeren Konkurrenzzwängen erzeugt Antriebskräfte von einer unvergleichlichen Wucht, für die es in aller Geschichte nichts Vergleichbares gibt.
* Die fundamentale wirtschaftliche und soziale Schwäche des Kapitalismus, zugleich die ausschlaggebende Ursachen seiner Wirtschaftskrisen, ist das Zurückbleiben der Gesamtnachfrage hinter dem Gesamtangebot. Sie ist durch eine zweieinige Wirkung des Profitprinzips verursacht: durch die Tendenz zur schrankenlosen Vergrößerung des Angebots einerseits und der Tendenz der Minimierung der Herstellungskosten, des Lohnes vor allem und damit der Nachfrage andererseits.
Natürlich gibt es Entfaltung, verschiedene Entwicklungsstufen des Kapitalismus; so der Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zu monopolitischen Strukturen mit dem Aufkommen der Kapitalgesellschaften im Ausgang des 19. Jk., in den letzten Jahrzehnten mit der immer stärkeren Dominanz der großen „Geldsammelstellen wie Investmentfonds, Versicherungen. Formen und Dimensionen der Kapitalbewegung verändern sich Die Entwicklungen, Veränderungen in den Wirkungsformen des Kapitalismus sind aber nicht Abschwächungen, Aufhebungen dieser Wesenheiten, sondern deren Entfaltung, „Modernisierung" seiner Äußerungsweisen. Seine Wesenheit selber verändert sich nicht. Und sie „schlagen durch“ auf die realen Vorgänge solange es diesen Kapitalismus gibt
Die Autoren der 13 Thesen scheinen das nicht zu wissen oder nicht zu akzeptieren. Gingen sie von den Grundeigenschaften des Kapitalismus aus, wäre auch ihr DDR-Bild differenzierter und nicht genau dasselbe wie der herrschende Zeitgeist und die bürgerlichen Parteien es malen. Sie müssten dann auch bedenken, dass eine sozialistische Gesellschaft keine solchen gewaltigen, gewalttätigen Triebkräfte aufbringen kann und darf wie es die kapitalistische Kombination von Profitstreben und Konkurrenzzwängen, von Gier und Angst hervorbringt. „Soweit der Kapitalismus kräftigere soziale Energien hervorzubringen vermag, liegt es daran, daß hinter seien primitiven und unsozialen Mechanismen viel mehr `Dampf` steckt als hinter manchen unserer Regelungen“ schrieb ich in der Zeitschrift „Wirtschaftswissenschaft“ 11/1988.
Die Thesen-Autoren glauben, im Kapitalismus das Prinzip der Konkurrenz durch die Kooperation ersetzen zu können, wie Friedrich Engels dies von einer sozialistischen Gesellschaft erwartete; sie glauben überhaupt, das Profitprinzip im Kapitalismus überwinden zu können. Das alles sind wichtige sozialistische Ziele; da sie aber dem Wesen des Kapitalismus widersprechen, müssen Wege zu ihrer Erreichung aufgezeigt, mit besonderer Sorgfalt erwogen werden.
Alle ernsthaften Versuche, die Ursachen der heutigen Wirtschaftskrise aufzuklären, nennen die soziale Polarisierung, unzureichende Massenkaufkraft als eine der wichtigen, wenn nicht als wichtigste Ursache. Dass es sich hier um eine „Krise des Überflusses“ handeln würde, gehört zu den absurden linken Verirrungen. Die Thesenautoren verzichten auf eine Klärung dieser Ursachen. Sie halten das offenbar für unnötig, da sie die weltfremde Meinung teilen, dass Verzicht auf Wirtschaftswachstum überhaupt nötig sei.
Die wirkliche Entwicklung der kapitalistisch dominierten Gesellschaften ist immer das Resultat von Kapitallogik und ihr widerstrebender politisch-sozialer-kultureller Bewegungen. Diese Bewegungen sind zwar auch durch Kapitalinteressen beeinflusst, von denen aber auch relativ unabhängig.
Nehmen wir als Beispiel die wichtige und von Marx ausführlich behandelte Frage der Arbeitszeitentwicklung. Marx begründet, dass in der Kapitallogik die Tendenz der Verwandlung der gesamten Lebenszeit in Arbetszeit , Reproduktionszeit eingeschlossen, enthalten sei. Marx verweist auf „das ökonomische Paradoxon, daß das gewaltigste Mittel zur Verkürzung der Arbeitszeit (die Maschinerie) in das unfehlbarste Mittel umschlägt, alle Lebenszeit des Arbeiters und seiner Familie in disponible Arbeitszeit für die Verwertung des Kapitals zu verwandeln.“ Marx schildert die rabiaten Verlängerungen der Arbeitszeit im Frühkapitalismus, geißelt die massenhafte Einführung von Kinderarbeit. (MEW Bd. 23, S. 430). Derselbe Marx begrüßt emphatisch die 1864 durch das britische Parlament beschlossene Zehnstundenbill und schreibt in einem aus diesem Anlass von der Internationalen Arbeiterassoziation herausgegebenen Verlautbarung: „Die Zehnstundenbill war nicht nur eine praktische Errungenschaft. Sie war der Sieg eines Prinzips. Zum erstanmal unterlag die politische Ökonomie der Mittelklasse in hellem Tageslicht vor der politischen Ökonomie der Arbeiterklasse“ (MEW 16, 11) Marx war durch diese Entwicklung keineswegs verunsichert und sah sich deshalb auch keinesfalls zu Korrekturen seiner Aussagen über die kapitalistische Tendenz zur Verlängerung der Arbeitszeit veranlasst. Es ist eben zu unterscheiden, was Kapitalismus, was Kapitallogik bedeutet und was in einer Gesellschaft geschieht. Keine Gesellschaft ist „Kapitalismus pur“. Diesen Unterschied machen die Autoren der pds-Thesen eben nicht. Wenn man streng mit ihnen verführe, müsste man ihnen vorwerfen, dass sie Marx gefälscht haben. Marx sagte eben nicht, dass der Kapitalismus „kein fester Kristall…“ sei, sondern „dass die jetzige Gesellschaft kein fester Kristall….“ Sei. Gesellschaft und Kapitalismus sind nicht dasselbe. Die schwedische Gesellschaft unterscheidet sich gewiss von der bundesdeutschen, nicht aber der Kapitalismus in Schweden und Deutschland.
Dieser für Rechtssozialisten typische Fehler ist folgenreich: Wenn die realen Entwicklungen in der Gesellschaft als Entwicklungen „des Kapitalismus“ ausgegeben werden, werden auch Errungenschafen antikapitalistischer Bewegungen als Früchte des Kapitalismus gedeutet. Alle Schleusen zu Beschönigungen des Kapitalismus sind dann weit geöffnet. Die Verkürzungen der Arbeitszeit sind keineswegs Errungenschaften des Kapitalismus, sie wurden vielmehr in harten Kämpfen gegen das Kapital erreicht. Allerdings muss man hier auch manchem Linkssozialisten sagen: Selbst in „prinzipiellen Fragen“ sind Siege über das Kapital in den „jetzigen Gesellschaften möglich: Nichts von ihren Zielen müssen Sozialisten auf den „Tag nach dem Sieg“ verschieben.
Zu den herausragenden Eigenschaften des Marxschen Genies gehört eben seine außerordentliche Schärfe des Denkens. Er benennt präzise Identitäten, Unterschiede, unterschiedliche Zusammenhänge eines und desselben Vorgangs. In ein und demselben Tauschakt unterscheidet er das Geld in seiner Geldfunktion (Geld als Zirkulationsmittel) und in seiner Kapitalfunktion (wenn dieser Akt ein Moment des Kapitalkreislaufs ist). Diejenigen, die heute noch das Geld generell als Kapital deuten, haben das immer noch nicht verstanden. Die Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert ist für Marx der “Springpunkt der politischen Ökonomie“.
Der Marxsche „Springpunkt“ kommt auch in den fds-Thesen vor. Im Zusammenhang mit dem Ökologieproblem. Er bestehe in der Marxschen Feststellung, dass die Produktion von Waren sowohl Produktion von Tauschwert wie von Gebrauchswert und damit auch Verbrauch von Naturstoff sei. Diese Banalität soll eine Marxsche Entdeckung sein und ihm die Bezeichnung „Springpunkt“ wert gewesen sein?
Die Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert ist für Marx deshalb der Springpunkt der politischen Ökonomie, weil sie die Verbindung zwischen der Arbeitswerttheorie und der Mehrwerttheorie herstellt. Due Arbeitswerttheorie – aller Wert wird durch die lebendige menschliche Arbeit geschaffen – ist vor Marx entwickelt worden. Zu ihren Begründern gehörte auch Adam Smith, der wichtigste Vertreter der klassischen politischen Ökonomie: Smith kam der Erklärung des Mehrwerts/Profits sehr nahe, „verhedderte“ sich aber mit seiner Erklärung des Lohns als Wert/Preis der Arbeit. Wenn Lohn der Preis der Arbeit wäre, wo käme dann der Mehrwert her; nur durch Lohnprellerei, Unterbezahlung des Werts der Arbeit? Dieses Rätsels Lösung gelang Marx allein; weil er zwischen Wert und Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft unterscheidet. Der Wert der Ware Arbeitskraft wird durch ihre Reproduktionskosten Unterhalt der Familie eingeschlossen) bestimmt, und hat eine sozial-historische Dimension. Der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft ist ihre Fähigkeit, einen größeren Wert zu erzeugen, als sie selöber wert ist. Und das eben ist der Mehrwert.
Leider kommt in den fds-Thesen der Mehrwert nicht vor. Einfach vergessen haben ihn die Autoren wohl nicht; denn sie sagen ausdrücklich, dass die Eigentumsform – öffentliches oder privates Eigentum – mit der sozialen Qualität des Eigentums nichts zu tun habe. Dass allein die Eigentumsform für Sozialisten nicht die Eigentumsfrage ausmacht, dass es um die Qualität des gesamten Prozesses der Aneignung, seine demokratische Gestaltung ankomme, ist wohl wahr; dass es aber belanglos sei, wer sich den Mehrwert aneignet, ist wohl zu abwegig in linker Weltsicht.
Im Programmentwurf der Programmkommission findet sich eine m.E zutreffende Darstellung der Zusammenhänge zwischen notwendiger Veränderung der Wachstumspfade, Ökologie, Beschäftigung und Veränderungen in der Arbeitswelt. IM fds-Entwurf wird den wichtigsten Problemen dieses Komplexes aus dem Weg gegangen, weil Sie sich durch Wachstumsverzicht sich von selber erledigen sollen. Auf die Probleme des Wirtschaftswachstums bin ich an anderer Stelle eingegangen („Brauchen wir Wachstum?“ ND v. 25.9.10). Wenn man die Alternative nur im kontradiktorischen Gegensatz „Wachstum – kein Wachstum“, statt im konträren Gegensatz „kein Wachstum auf bisherigen Pfaden – neue Qualität des Wachstums“, werden die entscheidenden Fragen wirtschaftlicher Evolution ausgeblendet. Die fds-Autoren behandeln folglich auch nur Probleme der Arbeit und der Arbeitszeitverkürzung, „gerechter Teilung der Arbeit“ als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit.
An den Anfang ihrer Überlegungen stellen die fds-Autoren ihre Behauptung, Arbeit sei Unfreiheit, die Freiheit beginne erst in der Freizeit, und glauben sich hier im Einverständnis mit Marx, von dem in der Tat zu lesen ist, dass Arbeit das Reich der Notwendigkeit sei, jenseits dessen das Reich der Freiheit beginne. Vielleicht kann man das auch anders deuten kann als die Autoren. Vielleicht meint Marx hier die Arbeit im Kapitalismus und nicht Arbeit schlechthin. Jesenfalls wendet sich Marx ausdrücklich gegen Arbeit als Reich der Unfreiheit. Er wendet sich gegen Adam Smith, welcher die Arbeit als Fluch im Gefolge menschlicher Erbsünde sieht, als Verlust von Freiheit und Glück, weil von Ruhe. „Dass das Individuum ’in seinem normalen Zustand von Gesundheit, Kraft, Tätigkeit, Gechicklichkeit, Gewandtheit’ auch das Bedürfnis einer normalen Portion von Arbeit hat und von Aufhebung der Ruhe, scheint A. Smith ganz fern zu liegen.“ Dass Arbeit auch „Betätigung der Freiheit.., Selbstverwirklichung, Vergegenständlichung des Subjekts“ sei, eben „reale Freiheit, deren Aktion eben die Arbeit, ahnt A. Smith ebenso wenig“ (MEW, Bd. 42, S. 512).Die Qualitäten in der Arbeitswelt, deren progressive Veränderungen, die „Humanisierung der Arbeit“ müssen wichtige Anliegen der Sozialisten bleiben.
Auch Verkürzung der Arbeitszeit bleibt ein wichtiges Ziel. Aber wegen ihres Eigenwertes und nicht wegen des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit, wie die fds-Autoren meinen. Erstens ist heute genügend Arbeit für alle da; würde alle dringend zu verrichtende Arbeit auch geleistet, hätten wir akuten Arbeitskräftemangel. Zweitens würde Arbeitszeitverkürzung das kapitalistische Übel der Arbeitslosigkeit keineswegs auszurotten. Würden alle Arbeitslosen plötzlich auswandern, ergäbe sich nur ein zeitlich begrenzter Beschäftigungseffekt. Die von Marx begründete Tendenz zur „Überbevölkerung“, „Reservearmee“ würde mit normaler kapitalistischer Entwicklung wieder „nachwachsen.“ Und zwar nicht wie Rohstoffe nachwachsen, sondern wie der einer Eidechse ausgerissene Schwanz wieder nachwächst. Junge welt 13.10.2010 Harry Nick
I.
In politischen Bewegungen gibt es immer drei unterscheidbare Strömungen. Warum gerade drei, und nicht zwei oder vier? Weil es immer drei unterscheidliche politische Positionen zu den herrschenden Zuständen, deren Veränderungsbedürfnissen und –möglichkeiten gibt . Die einen meinen, dass die Zustände so wie sie sind, grundlegender Veränderungen nicht bedürfen; wie es ist, sei es im Hauptsächlichen gut. Das ist der konservative Flügel, der auf Tradition, Beharrung setzt. Die dem entgegengesetzten Flügel angehören, sind mit den Zuständen unzufrieden, halten Veränderungen, Verbesserungen für nötig. Die "Mitte" schließlich ist für Veränderungen, aber in einer "angemessenen", "vernünftigen", realistischen Weise.
Heftige Einwände gegen die Unterscheidung in Linke und Rechte innerhalb ihrer Bewegung gibt es offenbar vor allem unter den Linken. Wolfgang Gehrke bezeichnete solche Unterscheidungen als „Unkultur“. Der Schriftsteller und Linkssozialist Gerhard Branstner meinte: „Die Unterteilung in rechts, Mitte und links ist ein bürgerlicher Allgemeinplatz und stimmt immer. Nur nicht für eine sozialistische Partei.“
Der Grund für solche Abwehr scheint weniger die Befürchtung zu sein, sich in "Schubladen"wiederzufinden, als die Unzufriedenheit darüber, nicht als Mehrheit angesehen, zu ihr gerechnet zu werden.
Von daher erklärt sich offenbar die Bevorzugung einer anderen Teilung, einer Zweiteilung: „Es gibt uns, die wir Recht haben und dann gibt es noch die anderen“ Aus der rechten Ecke tönt es: „Wir“, die Kreativen, Aktiven, die Reformer , Modernisierer, Erneuerer und die anderen, die Traditionalisten, Konservative, Ewig-Gestrige, „Bedenkenträger“, wenn nicht gar „Betonköpfe“. Und aus der linken Ecke: „Wir“, die Hüter der reinen Lehre, die „wahren“ Sozialisten, die unerschrockenen Kämpfer, und die anderen, die Reformisten, Revisionisten und Opportunisten, wenn nicht gar Verräter. Auch die Zweiteilung in Reformer und Revolutionäre ist irreführend. Wie immer man Reformisten und Revolutiomäre definieren mag, werden diejenigen nicht verschwinden, die entweder keines von beiden oder beides zugleich sind; und das ist die Mehrheit. Dass es eine Mehrheit jenseits aller Flügel gibt, erfährt man von den Flügel-Sozialisten nicht.
II.
Verständlich, dass gerade in einer sozialistischen Partei diese drei Strömungen mit besonderer Deutlichkeit hervortreten, dass die Auseinandersetzungen zwischen ihnen hier besonders lebhaft sind.
Wie könnte das auch anders sein?! In einer sozialistischen Partei kann es nicht, wie heutzutage in den sozialdemokratischen Parteien, nur um Varianten einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft gehen, sondern um Kapitalismus und Antikapitalismus, um programmatische Alternativen von Gesellschaftssystemen. Die politische Dauerpose einer sozialistischen Partei in den heutigen Gesellschaften ist unvermeidbar der Spagat: sozialistische Politik in einer dominant kapitalistischen Gesellschaft verfolgen, in dieser Gesellschaft wirken und gleichzeitig sich in fundamentaler Opposition zu ihr befindend.
Die Linkssozialisten schätzen die Möglichkeiten grundlegender sozialer Verbesserungen in dieser kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Ordnung, d.h. ohne Umwälzungen der Macht- und Eigentumsverhältnisse, als sehr gering ein oder leugnen sie gar.. Sie betonen ihre fundamentale Opposition zu dieser Gesellschaft und lehnen Regierungsbeteiligungen im Prinzip ab.
Die Rechtsozialisten vertreten keine deutlich erkennbaren antikapitalistischen Positionen. Für sie bieten die heutigen Gesellschaften auf Grund der Entfaltungsmöglichkeiten der "Zivilgesellschaft" genügend Raum für erfolgreiche Anstrengungen um demokratische Fortschritte, soziale Verbesserungen. Für sie haben Regierungsbeteiligungen einen "Eigenwert", persönliches Fortkommen eingeschlossen. Sie neigen zu weitgehenden Kompromissen mit der herrschenden politischen Klasse.
Die Linkssozialisten neigen zu nostalgischer Verklärung, wenig kritischen Beurteilung der DDR-Gesellschaft. Sie betonen vor allem die sozialen Errungenschaften der DDR. Die Ursachen für das Scheitern dieses sozialistischen Versuchs sehen sie eher in Opportunismus und Verrat als in den inneren Systemschwächen dieses Sozialismus-Modells.
Die Rechten in der Linkspartei meinen, dass dieser Sozialismus der sozialistischen Bewegung mehr geschadet als sie vorangebracht hätte. Manche meinen gar, dass die DDR überhaupt nicht eine sozialistische Gesellschaft gewesen war.
Die „Mitte“ bilden keineswegs, wie linkes Vorurteil das sieht, die unschlüssigen, ängstlichen und ewig schwankenden Kleinbürger. Die „Mitte“ setzt sich ein für eine realistische Politik notwendiger Veränderungen in dieser Gesellschaft, und lässt sich hiervon weder durch Einbindungen in die heutigen Macht- und Interessenstrukturen, noch durch illusionäre Vorstellungen abhalten.
Die Parteiprogramme der PDS waren keine Programme der „Flügel“; auch der 1. Entwurf des Parteiprogramms der Partei DIE LINKE ist es nicht. Es waren und sind Programme der Mitte. Und das ist gut so.
III.
Es geht bei der Unterscheidung dieser Strömungen nicht um verschiedene „Schubladen“, sondern um das Verständnis der aus objektiven Interessenlagen resultierenden Beziehungen zwischen diesen Strömungen. Folgendes scheint mir hier besonders wichtig:
Erstens. Linke Parteien tendieren zu ganz normalen Parteien auch in der Weise, dass auch in ihnen der herrschende Zeitgeist weht, wenn auch nicht so heftig und mit mehr oder weniger Gegenwind. Wie in dieser Gesellschaft weht der Zeitgeist auch hier von rechts nach links. Für die jeweils Linkeren ist auch in der Linken der Zeitgeist ein Gegenwind, der ihnen ins Gesicht bläst; für die Rechteren ist er Rückenwind.
Das bedeutet: Die Rechte hat auch in einer Linkspartei nicht nur größere Möglichkeiten des Hineinwirkens in die Gesellschaft, größere Chancen medialer Wahrnehmung und Artikulation; sie hat auch die Sympathien und praktische Beihilfe der politischen Klasse, des Zeitgeistes, die Unterstützung der Medien in den innerparteilichen Auseinandersetzungen. Die Rechten haben mehrfach versucht, Linkssozialisten aus der Partei zu drängen oder ihnen nur eine „Wärmestube“ einzuräumen, wofür sie „die Klaüüe halten“ sollten.
Zweitens. Die Mechanismen der repräsentativen Demokratie bewirken in einer sozialistischen Partei in besonders starkem Maße eine „Aufwärts-Favorisierung“ des rechten Flügels.
Die Zahl der Anhänger und der Einfluss des linken Flügels sind in der Basis stärker als auf der nächsten Ebene, den Hauptversammlungen, auf denen die Parteitagsdelegierten gewählt werden, und in den Hauptversammlungen stärker als auf den Parteitagen. Analog nimmt das Gewicht der Vertreter des rechten Flügels von Ebene zu Ebene zu; es ist auf den Parteitagen deutlich stärker als in der Parteibasis.
Das hat mehrere Ursachen. Außer der Hintergrundstrahlung des herrschenden Zeitgeistes, und natürlich auch in Wechselwirkung mit ihr, spielen materielle Interessen eine Rolle.
Es sind zunächst die elementaren Gepflogenheiten in der Vertretungs-Demokratie, welche einen bestimmten Personenkreis favorisieren. Wer hat auf den Hauptversammlungen die besten Chancen, das Delegierten-Mandat für einen Parteitag zu erhalten? Natürlich diejenigen, die man am besten kennt, vom Bezirksvorsitzenden über den von der Partei gestellten Stadtrat usf. Welche Chance hätte ein Basisgruppenvorsitzender, sich in einer fünfminütigen Vorstellung auch nur annähernd bekannt zu machen? Und was hat er über seine Verdienste um die Partei zu berichten im Vergleich zu einem rührigen Mitglied des Bezirksvorstandes?
Diese Feststellungen haben mit Kritik nichts zu tun. Natürlich sollte der Vorsitzende des Bezirksvorstandes ein Mandat erhalten. Das Gesamtergenis aber ist bedenklich: Mandate erhalten fast ausschließlich Amts- und Mandatsträger.
Ich bin entschieden dagegen, Amts- und Mandatsträger unter den Generalverdacht zu stellen, sich von materiellen Erwägungen leiten zu lassen, wenn auch das nicht generell verurteilt werden kann. Materielle Interessen wirken auch dort, wo man sie sich nicht eingesteht, sich ihrer nicht bewusst ist. Jedenfalls sind Amts- und Mandatsträger auch persönlich nicht nur an Wahlerfolgen der Partei, sondern auch an Erhalt und Aufstieg in ihren Positionen interessiert. Und das ist nun Mal über den rechten Flügel am aussichtsreichsten.
Der Einfluss der Parteibasis kann gestärkt werden durch die Verringerung des Schlüssels bei Delegiertenwahlen; er ist größer bei einem Schlüssel 1:10 als bei einem Schlüssel 1:20; wenn auf 10 Mitglieder ein Delegierter entfällt, hat ein einfaches Mitglied eine größere Chande, auch delegiert zu werden, als wenn auf 20 Mitglieder ein Delegierter entfällt.
Denkbar wäre auch eine Quotierung; zum Beispiel, wenn von 10 Delegierten mindestens drei auf solche entfallen müssten, die kein Einkommen aus politischen Funktionen beziehen.
Am allerwichtigsten sind wohl die Stärkung der direkten Demokratie, Abstimmungen der gesamten Mitgliedschaft über beonders wichtige Fragen.
Drittens. Die Linken sollten sich der Verführungen fundamentalistischer Weltsicht und Politik und ihrer Gefahren bewusst werden.
Fundamentalismus gibt es vor allem an den Rändern des rechten Flügels rechter und an den Rändern linker Flügel in linken Bewegungen. Fundamentalismus ist immer auch eine Art von religiösem Denken. Er kommt der menschlichen Sehnsucht nach Verläßlichkeit, Klarheit, nach einer menschlichen Welt, nach Glücksverheißung, besser entgegen, gibt stärkeren Halt als bloße Rationalität dies vermag.
Fundamentalisten stehen fest auf den Fundamenten einer Lehre. Ihre wichtigste Waffe ist die Wiederholung, das Anknüpfen, der Appell an Überzeugungen, die alle, auch ihre Widersacher haben. Kapitalismus bedeutet soziale Polarisierung, „aber“ es sind, wie Marx anlässlich des 1864 in England gesetzlich eingeführten 10-Stundentags sagte, auch in prinzipiellen Fragen Siege des Proletariats im Kapitalismus möglich.
Funbdamentalismus - und das ist sein weiterer Vorteil – ignoriert dieses „aber“. Wie auch die Theorie es im allgemeinen vernachlässigt. Fundamentalismus versteht sich deshalb als die „reine Lehre“. Fundamentalismus spart sich jeglichen Zweifel, die Arbeit des Suchens, des ständigen Lernens und Lesens aktuellerer Literatur aus. Fundamentalisten müssen ebensowenig neue Theorie produzieren wie diejenigen, die in dieser Gesellschaft „angekommen“ sind
Niemand kann auch wie der Fundamentalist sich üben in der Rhetorik ewiger Wiederholung, an ein und demselben Satze jahrzehntelang feilend, soweit er überhaupt mehr sagen will, als Sätze der Grundleger zu zitieren.
Der Fundamentalist wandelt im Lichte und kennt nicht die Qualen und Gefahren und Stolpersteine , die Irrwege und Irrlichter in diesem Dämmerlicht, das zwischen Wissen und Nicht-Wissen, zwischen Gewißheiten und Ratlosigkeit liegt. Er ist selbstsicher und immer ausgeruht. Er braucht nicht zu stottern wie mancher, der sich mit dem "aber" abmüht und manchmal so dämlich ist, mit seinen Selbstzweifeln ausgerechnet an Fundamentalisten sich zu wenden.
Die rationale Stärke der Fundamentalisten ist vor allem die scheinbar bruchlose, folgerichtige Verlängerung der Fundamentalthesen der Grundleger hin zu den von ihnen, den Fundamentalisten, gegebenen konkreten Handlaungsanleitungen. Fundamentalisten sind mit Verweisen auf die Fundamentalthesen kaum zu widerlegen.
Die Fundamentalisten wähnen sich nicht nur als Wächter der reinen Lehre, als Fundamentalisten können sie gar nicht anders, sind sie es. Ihr angemaßtes Richteramt kommt ihnen als Fundamentalisten ganz selbstverständlich zu.
Fundamentalisten unter den Marxisten sind die genuinen orthodoxen Marxisten, von denen Joseph Alois Schumpeter sagte, daß sie ihre Widersacher nicht nur beständig als im Irrtum, sondern auch als in der Sünde befangen sehen. Das rationale Argument aus dem Munde des Fundamentalisten ist immer auch ein moralischer Vorwurf.
Die scheinbare Stärke fundamentalistischen Denkens ist auch seine Schwäche: Die von Wahrheit und Wirklichkeit wegführende Vereinfachung. Es hat die Kraft einer allgemeinen Schwäche des "gesunden Menschenverstandes“ für sich, von dem Friedrich Engels sagte, daß sie im mechanischen Denken bestehe. Das dialektische Denken ist anstrengender, es muss die Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit "mitdenken", Gegensätzliches "zusammen" denken. Fundamentalistisches Denken ist eine Art von grausamem Denken, grausam gegen die Widersacher und die Wirklichkeit vergewaltigend.
Der fundamentale methodologische Irrtum der Fundamentalisten ist ihre Annahme, daß die scheinbar folgerichtige "Verlängerung" wahrer Aussagen zu höheren Wahrheiten führe, jedenfalls von der Wahrheit nicht wegführen könne. Wie sich in Wahrheit in die Unendlichkeit verlängerte parallele Geraden dort schneiden und seitenverkehrt wiederkehren, können Extensionierungen wahrer Sätze zur Unwahrheit führen.
III.
Die Stärke gerade einer Bewegung der Linken, ihrer inneren Kraft und ihrer Ausstrahlung in die Gesellschaft hängt entscheidend von der politischen Kultur, von der Art des Umgangs miteinander ab; schließlich erstreben sie eine Welt, in der alle Menschen in einem menschlichen Verhältnisse zueinander leben.
Unbedingte Voraussetzung hierfür ist, dass die verschiedenen Strömungen akzeptiert werden, dass dies nicht als Schwäche, sondern als Vorteil, als Chance verstanden wird. Das aber hängt davon ab, ob die Linke ihre innerparteilichen Auseinandersetzungen für produktiven Lernprozess zu nutzen vermag, ob sie zu größerer Klarheit führen oder ob sie die Energien verzehren, die Kräfte lähmen, Selbstzerstörung bewirken.
Natürlich muss es unter den Linken auch Gemeinsamkeiten in der Weltsicht und in den politischen Positionen geben. Alle Linken haben die Pflicht, sich für die gegenwärtigen Interessen der arbeitenden Menschen, der sozial Benachteiligten, der Frauen, der Kinder und Alten einzusetzen. Die Vertröstung auf ein „Jenseits“, auch wenn ein Jenseits des Kapitalismus gemeint ist, ist nichts Sozialistisches. Es ist nur ein anderes des von Heinrich Heine zu Recht geschmähten „Eia popeia vom Himmel.“
Sozialisten müssen aber auch nach einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus trachten. Der Weckruf der Gräfin Dönhoff „Zivilisiert den Kapitalismus!“ hat tatsächlich Wirkung gezeigt: Kapitalistisch-kritische Sichten sind weit über das Linken-Spektrum hinaus verbreitet. Selbst Bürgerliche denunzieren den „Raubtierkapitalismus“. Wenn ich das unsägliche Wort „Alleinstellungsmerkmal“ auch mal verwenden würde, so würde ich sagen: Für Sozialisten ist es der Antikapitalismus. Und der ist nach aller Erfahrung unentbehrlich für den Kampf gegen die kapitalistischen Übel schon heute.
Disput Dez. 2010